"Rusalka" an der Komischen Oper Berlin: Märchen sind grausam
Es raubt einem den Atem: Barrie Kosky zelebriert an der Komischen Oper Dvoraks „Rusalka“
Es ist einer der schönsten und berührendsten Opernschlüsse überhaupt - und der finale Höhepunkt des Abends: Die Nixe Rusalka, die so gern ein Mensch sein wollte, ein Weib mit Seele und heißem Herzen, kehrt in ihr angestammtes Element zurück, tödlich verzweifelt, für immer stumm. Die Reue des Prinzen, der sie nicht lieben konnte, kommt zu spät, ihr Kuss löscht sein Leben aus. Ein Liebestod zeitgleich mit Debussys „Pelléas“ und nach Wagners „Tristan“, ein missglückter Weltenwechsel, der an alle Melusinen und Nymphen der Kulturgeschichte auf einmal denken lässt, an die „Küsse“ und „Bisse“ der Kleist’schen Penthesilea, an Nabokovs Lolita, an Ingeborg Bachmann. Und an Antonin Dvorak als nach wie vor unterschätzten Musiktheaterkomponisten.
Bei Barrie Kosky an der Komischen Oper schwingt dies alles auf zaubrisch-unaufdringliche Weise mit, wenn der Prinz am Ende in sich zusammensackt, ein Häufchen Frack und Elend, die hölzerne Angelrute zwischen die Beine geklemmt, halb Phallus, halb rettender Strohhalm. Rusalka indes schiebt sich den Angelhaken in den Mund, will Köder sein und letzter Fang, Lustobjekt und Märtyrerin zugleich. Wie Ina Kringelborn da mitten auf der Bühne steht und die Schnur sich spannt zwischen ihren Lippen und seinem Vergehen, wie sie auf Zehenspitzen balanciert und mit den Armen rudert, als flöge, als versänke sie in den Urfluten unseres Bewusstseins – das raubt einem den Atem, lange noch.
An Stellen wie diesen die Farbenpracht der Musik und die enorme Klugheit der „Rusalka“-Dramaturgie nicht an zu viel Betroffenheit oder szenischen Kitsch zu verraten, ist eine der großen Stärken dieser Inszenierung. Dvorak mag seine einzige bekannte Oper ein „lyrisches Märchen“ nennen und damit eine falsche romantische Fährte legen – die Belege für ein ganz im Symbolismus der Zeit wurzelndes Drama aber (Uraufführung 1901 in Prag), in dem alle äußeren Erscheinungen innere Vorgänge spiegeln, sind übermächtig. Die Leitmotivtechnik, die Menschen und Wasserwesen miteinander verstrickt, Volkston und Psychoanalyse: Sigmund Freud wurde nicht von ungefähr in Mähren geboren, im heute tschechischen Freiberg.
Die Kraft des Märchens
Während sich jüngere Aufführungen in Brüssel (Stefan Herheim) oder München (Martin Kusej) ganz jenem tiefenpsychologischen Aspekt verschreiben und die unmögliche Liebe zwischen Rusalka und ihrem Prinzen wahlweise sexualkundlich-inzestuös deuten oder als Bigotterie der spätbürgerlichen Gesellschaft, setzt Barrie Kosky auf die Kraft des Märchens. Die drei Waldelfen etwa (fabelhaft frisch im Spiel und stimmlich perfekt austariert: Julia Giebel, Annelie Sophie Müller, Silvia Hauer) könnten mit ihren strammen Zöpfen und Schnürstiefeln ebenso gut dem „Struwwelpeter“ entsprungen sein wie Michael Hanekes „Weißem Band“, und wenn Agnes Zwierkos idiomatisch singende Jezibaba mit viel Quarz im Alt und einem echten schwarzen Kater auf dem Arm auftritt, dann stehen im Geiste alle Hexen dieser Welt Spalier.
Die Körpersäfte jenes armen, alsbald gemeuchelten Viehs trichtert die Jezibaba in der nächsten Szene Rusalka ein, auf dass der Nymphe, „Schnurriburribumm“, unter Schmerzensschreien eine riesige Gräte aus dem Leib gezogen wird und sich ihre Schwanzflosse in zwei menschliche Beine verwandelt. Märchen sind grausam, sagt diese Aktion, so grausam wie eine unerfüllte Liebe oder ein falsches Leben. Die Flosse ist das einzige etwas missratene Versatzstück dieses ästhetisch und atmosphärisch buchstäblich wasserdichten Abends (Kostüme: Klaus Bruns): bei aller Symbolkraft doch zu klobig im Design, wie ein Schlafsack, dessen Reißverschluss klemmt.
Das Theater legt sich auf die Couch
Dabei gibt Klaus Grünbergs Raum Rätsel auf. Das Ganze spielt drei Akte lang auf der Vorbühne, Grünberg stellt darauf in verkleinertem Maßstab noch einmal das Proszenium des Hauses, von einer Wand begrenzt, in der sich eine Tür befindet. Diese Tür spuckt alles aus, was das Geschehen braucht: Die Pfeife rauchende fremde Fürstin (Ursula Hesse von den Steinen), die Rusalka den Prinzen abspenstig macht, blitzende Kochtöpfe und zuckende Aale für die Gesinde-Szene (mit Peter Renz als grimmiger Wildhüter), Rusalkas Hochzeitskleid. Nur der Chor und bisweilen auch Dimitry Ivashchenkos balsamisch timbrierter Wassermann singen aus dem Off respektive aus dem zweiten Rang. Alles nur Vorspiel? Ein Theater, das sich eigenhändig auf die Couch legt, indem es sich auf die gute alte Personenregie besinnt und jeden Schnickschnack unterlässt?
Ina Kringelborn und Timothy Richards jedenfalls, die beiden Protagonisten, spielen mindestens so virtuos wie sie singen. Zwei Idealbesetzungen. Sie: mit körperreichem, von Anfang an tragisch infiziertem, nicht immer ganz konsequent fokussiertem Sopran (das „Lied an den Mond“ verliert so sofort seinen Ariencharakter, was gut ist!); er: mit großer lyrischer Intensität im Tenor – interessanterweise stets leicht guttural geführt, weil dieser Prinz eben an nichts so sehr leidet wie an sich selbst. Patrick Lange am Pult des hoch konzentrierten Orchesters der Komischen Oper weiß diese Qualitäten zu nutzen, auch indem er die Stimmen oftmals einfach mitnimmt und dabei vor kompakten Klängen und schneidigen Akzenten nicht zurückschreckt. Ein stark am Theater orientiertes Dvorak-Spiel, das in seiner Bodenständigkeit überzeugt.
Zum stummen (!) Beginn nach der Pause traut man seinen Augen nicht: Da schweben lauter schwarz verschleierte, mit Totenschädeln und allerlei Glitzerkram ausstaffierte Gestalten durch die besagte Tür, die „Rusalka“-Personage in der Unterwelt, ein schaurig-schöner Albdruck. Und plötzlich, der Computeranimation sei Dank, beginnen die Konturen der Vorbühne psychedelisch zu tanzen und zu zucken, die Stuckaturen zu fließen, alle Poren zu pulsieren. Als wär’ die ganze Oper ein Fiebertraum – und als könnten nur Märchen davon handeln, dass Nixen und Prinzen ihr Glück suchen.
Wieder am 26.2., 3., 13., 17.3.