Ottla für alle: Marbach und Oxford erwerben Kafka-Briefe
Das Deutsche Literaturarchiv Marbach und die Bodleian Library in Oxford, die beide umfangreiche Kafka-Sammlungen unterhalten, erwerben das Ottla-Konvolut zu gleichen Teilen. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart.
Zuletzt konnte niemand mehr am guten Ausgang des Auktionskrimis um Franz Kafkas Briefe an seine Lieblingsschwester Ottla zweifeln. Das Berliner Antiquariat Stargardt hatte Anfang des Jahres angekündigt, die 111 Autografen, zu denen auch 32 Postkarten und 34 Bildpostkarten gehören, am 19. April bei einem Anfangsgebot von 500.000 Euro zu versteigern. Die Angst ging um, der Nachlass des Schriftstellers, könne zerfleddert und der Öffentlichkeit entzogen werden.
Denn schon einmal, im Jahr 1987, war ein zentraler Teil von Kafkas Korrespondenz, die Briefe an Felice Bauer, bei Sotheby’s auf Nimmerwiedersehen in unbekannte private Hände gelangt. Nun erwerben das Deutsche Literaturarchiv Marbach und die Bodleian Library in Oxford, die beide umfangreiche Kafka-Sammlungen unterhalten, das Ottla-Konvolut zu gleichen Teilen. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart.
Man darf, nachdem Ulrich Raulff, Direktor in Marbach, bei einer Pressekonferenz unmittelbar nach der Unterzeichnung sämtlicher Verträge in der Berliner Kulturstiftung der Länder das maßvolle Verhalten der Erben lobte, aber davon ausgehen, dass er sich in Höhe des Schätzwertes bewegt. Weitere Kosten entstanden durch die Entschädigung des Antiquariats Stargardt.
Als Zusatzgabe aus dem Besitz der Erben in Paris und Prag kommen 23 Briefe von Julie Kafka an ihre Kinder Franz und Ottla, drei Briefe von Kafkas letzter Geliebter Dora Diamant an Ottla und neun Briefe von Kafkas Freund Robert Klopstock an die Schwester. Diese Dokumente sind alle unveröffentlicht; nur wenige Forscher konnten bisher Einsicht nehmen. Aufbewahrungsort der Autografen ist Marbach, wo sie ab Ende Mai auch ausgestellt werden sollen. Oxford hat im internen Leihverkehr aber jederzeit Zugriff und wird sich auch an allen konservatorischen Maßnahmen beteiligen. Die Bodleian Library, wo das Konvolut bis zum vergangenen November als Leihgabe lag, will auch federführend eine Website mit allen Kafka-Manuskripten in ihrem Besitz einrichten. Richard Ovenden, Leiter der Handschriftenabteilung in Oxford, rühmte zurecht das Modell von internationaler Kooperation statt Konkurrenz.
Der Erfolg dieser Rettungsaktion, so Ulrich Raulff, hatte viele Väter, aber eine Mutter. Die entscheidenden Verhandlungen mit den Erben von Ottla Kafka führte Isabel Pfeiffer-Poensgen, die Generalsekretärin der Kulturstiftung. Die Mittel zum Kauf stammen auf deutscher Seite aus dem Bundeskulturministerium, vom Land Baden-Württemberg, der Kulturstiftung der Länder sowie zahlreichen privaten Stiftern. Unter ihnen ist auch die Stuttgarter Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck sowie ihre britische Tochter McMillan. Auf englischer Seite kommt das Geld vor allem von den Friends der Bodleian Library. Welcher Schatz damit der wissenschaftlichen Öffentlichkeit bald wieder zur Verfügung steht, zeigt der opulent ausgestattete Katalog voller Faksimiles und Transkriptionen, den Stargardt für die Auktion herstellen ließ (eine Leseprobe findet sich unter www.stargardt.de/de/franz_kafka).
„Liebe Ottla“, heißt es in einem Brief vom April 1917, als wär’s ein Kommentar in eigener Sache, „vorläufig ist noch alles hier in beiläufiger Ordnung, aber wie lange es noch bleiben wird, weiss man nicht; gleich kann es ja nicht zusammenfallen, da Du es so ordentlich zurückgelassen hast, aber vielleicht oder wahrscheinlich lockert es sich schon im Geheimen und ich weiss es noch gar nicht. Rede ich von ,allem’ meine ich natürlich mich.“
Undenkbar, dass ein Investor sich der Autografen bemächtigt und sie dann womöglich einzeln weiterverkauft hätte. Nur wenig sympathischer, dass ein reicher Kafka-Fan sich ihrer angenommen hätte – selbst wenn er sie wie Bill Gates den Codex Leicester von Leonardo da Vinci großfürstenhaft präsentiert hätte. Zumindest in diesem Präzedenzfall war der Schock heilsam. Der Markt darf nicht das letzte Wort haben.
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