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Traumfrau. Ein Gefreiter Fritz als Bühnenheld an der Ostfront.
© Schwules Museum

Ausstellung im Schwulen Museum: Männer in Frauenkleidern - mitten im Krieg

Aufgerüscht unter Soldaten: Männer in Frauenkleidern waren im Ersten Weltkrieg die umjubelten Stars der Fronttheater. Und bis heute sind die Streitkräfte eine Hochburg der Travestie - das zeigt nun eine Ausstellung in Berlin.

Wahrscheinlich gibt es keine homophoberen Institutionen als Armeen. „Männlichkeit“ in möglichst martialischer Form ist dort das Ideal, und weil Homosexuelle als „unmännlich“ gelten, versuchen die Befehlshaber, sie von den Kasernen fernzuhalten. Was natürlich nicht gelingt. Gleichzeitig waren und sind die Streitkräfte bis heute eine Hochburg der Travestie. Allerdings eher unfreiwillig, aus der Not geboren. Im Schwulen Museum steht eine deutsche Soldatenuniform mit Pickelhaube aus dem Ersten Weltkrieg neben einer Vitrine mit dem Strafgesetzbuch von 1898, in dem die Seite mit dem Paragraphen 175 aufgeschlagen ist, und etwas weiter ist das prachtvoll gerüschte Kleid eines Damendarstellers zu sehen. Bereits dieses Ensemble im Eingang der Ausstellung „Mein Kamerad – die Diva“, verdeutlicht die Widersprüche, von denen hier in höchst anschaulicher wie vergnüglicher Form erzählt wird.

Die Uniform steht für die Schrecken des Ersten Weltkriegs, an die hundert Jahre nach seinem Beginn allerorten erinnert wird. Der Paragraph 175, der die Homosexualität kriminalisierte, zeigt die Vehemenz, mit der die wilhelminische Gesellschaft gegen Schwule vorging, insbesondere im Militär. Und das Frauenkleid demonstriert, dass es dort eben doch möglich war, die Zeichen der Geschlechtszugehörigkeit zu wechseln und mit der eigenen Identität zu spielen. Wenigstens für ein, zwei Stunden. Männer in Frauenkleidern waren die umjubelten Stars sowohl der Fronttheater wie auch der Gefangenentheater. Es hatte sie bereits vorher gegeben, aber im Ersten Weltkrieg wurden sie zu einem Massenphänomen. Die Kuratorin Anke Vetter schätzt, dass es allein im deutschen Heer etwa 750 Fronttheatertruppen gab.

Erwin Piscator spielte im Fronttheater am liebsten alle weiblichen Hauptrollen selbst

„Waren wir nicht zuweilen ein klein wenig verliebt in Dich Flatternde, Anmutige? Hast Du nicht immer irgendwie verwundet, mein zierliches Figürchen?“, so schwärmt der Gefangene Willi Hennings 1918 vom Damendarsteller Bodo Wildt, den er in einer Aufführung von Gerhart Hauptmanns Stück „Der Biberpelz“ im Internierungslager auf der Ile Longue gesehen hat. In derlei Schilderungen schwingt erotisches Verlangen mit, auch wenn die meisten Zuschauer und Darsteller in den Gefangenenlagern heterosexuell waren. Doch echte Frauen hatten sie teilweise jahrelang nicht mehr gesehen. Geleitet wurde die Schauspieltruppe in der Bretagne von G. W. Pabst, der später zum berühmten Filmregisseur aufsteigen sollte. Er war 1914 bei der Überfahrt von den USA nach Europa von den Alliierten festgenommen worden.

Pabst war ein Mann mit künstlerischen Ambitionen, neben der Studenten-Schmonzette „Alt-Heidelberg“ inszenierte er im Lager auch anspruchsvolle zeitgenössische Stücke wie Hauptmanns Märchendrama „Die versunkene Glocke“. Aber Soldaten wie Kriegsgefangene erwarteten vom Theater Ablenkung von ihrem tristen Alltag, deshalb zählten Klamotten wie „Flachsmann als Erzieher“, „Im Weißen Rössl“ Oder „Der Raub der Sabinerinnen“ zu den am häufigsten gespielten Stücken. Selbst der künftige Theaterrevolutionär Erwin Piscator, der nach einer schweren Verwundung 1917 zu einem Fronttheater stieß, brachte dort vor allem Boulevard-Reißer wie „Die spanische Fliege“ oder „Charleys Tante“ auf die Bühne. Die weiblichen Hauptrollen spielte er am liebsten selbst.

„Die Verehrung verschiedener Damendarsteller nahm mitunter gefährliche Formen an“

Zwei Wände der Ausstellung sind mit Fotos von solchen Frauen gefüllt, die Soldaten waren. Damenimitatoren, Sopransänger oder „Soubrettenparodisten“ hatten schon vor 1914 zu den Attraktionen der Varietétheater gehört. Doch erst in den Kriegstheatern zogen sie alle Blicke auf sich. Ihr Rollenregister war groß, es reichte von der „Königin von Saba“ über Salome, eine Geisha oder Balletttänzerin bis zur – eine Paraderolle für den Komiker Weiß Ferdl – bayrischen Bäuerin.

Diven sind weit entrückt, für ihre Verehrer unerreichbar. Nicht alle Damenimitatoren mochten Diven sein. Aber sie führten ihren Zuschauern die Unerreichbarkeit wirklicher Frauen vor Augen. „Die Verehrung verschiedener Damendarsteller nahm mitunter gefährliche Formen an“, erinnerte sich der Kriegsgefangene Reinhold Meßner später, versicherte aber, mit Homosexualität habe dies nichts zu tun gehabt. Es handelte sich um ein Theater der Träume, bei dem, schrieb ein Hauptmann Flatz, „die Illusion proportional zur Intensität des Dekolletés schwindet, wenn männliche Mädchen allzu sehr enthüllt werden“. Männliche Mädchen gehören bis heute zu jedem Krieg. Die Ausstellung endet mit Fotos eines Andrea-Berg-Imitators beim KFOR-Einsatz im Kosovo.

Schwules Museum, bis 30. November, Mi–Mo 14 bis 18 Uhr, Sa 14 bis 19 Uhr

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