Kultur: Männchen im Hotel
Check ein bei Lessing: „Minna von Barnhelm“ am Deutschen Theater Berlin mit Martina Gedeck und Nina Hoss
Unglaublich, was in Lessing steckt! Eine Welt voller Komödien. Man hört fast schon Hollywoods Pingpong- Dialoge perlen, also vielleicht Katharine Hepburn und Cary Grant in „The Philadelphia Story“, wenn das Fräulein von Barnhelm und der Major von Tellheim aufeinander einreden – und pfeilgerade aneinander vorbei. Mit Martina Gedeck als kämpferisch Liebender und Ulrich Matthes als ehrversessenem Offizier hat Regisseurin Barbara Frey natürlich auch Kinoprominenz auf der Bühne des Deutschen Theaters. Aber vor allem auf der unteren sozialen Ebene ist diese „Minna von Barnhelm“ gut disponiert – mit Nina Hoss als kackfrech-koketter Kammerzofe, Sven Lehmann (Tellheims hündisch-verspieltem Burschen) und – ein Kabinettsstück – Horst Lebinsky als Berliner Hotelier. Hinreißend, dieser aufdringliche Schnüffler, den Damen stets zu Diensten. Ein beflissener Untertan, geldgierig, ein Voyeur mit leicht sadistischer Neigung. Lebinsky spielt raffinierten Boulevard, schlägt elegant commedia dell’arte- Töne an.
All das erlaubt Lessings Lustspiel von 1767, ohne dass die Inszenierung ihm Gewalt antun müsste. Diese „Minna“ wird für das Deutsche Theater sicher ein Erfolg, denn sie kommt der wachsenden Nachfrage nach behutsam modernisierten Klassikern entgegen. Kein Schweinkram, eine saubere Sache. Viel Beifall für das Ensemble, mit Genugtuung gemischt. „Minna von Barnhelm“ schaffte den (allzu) versöhnlichen Ausklang einer turbulenten Woche, in deren Verlauf Berlins Kulturpolitik ein ebensolches Lust- und Frustspiel um Ehre und Stil aufführte und der Intendant Bernd Wilms den Pass zum Weiterlaufen bekam – Verlängerung bis ins Jahr 2008. Kultursenator Thomas Flierl saß im Parkett, auch Christoph Hein war da, der jetzt vielleicht sogar erleichterte Interimskandidat. War da was?
Deutsche Stoffe, das ist das Spielzeitmotto. Es funktioniert, denn man spürt hier immerhin Lessings Universalität. Barbara Freys Umgang mit dem vielleicht sprachschönsten deutschen Klassiker wirkt erst einmal respektvoll neugierig. Man macht hübsche Entdeckungen. Zum Beispiel die Geschichte mit Minnas und Tellheims vertauschten und verpfändeten Verlobungsringen. Sie spielen das groß aus, die weltliche Variante, Vorläufer der Ringparabel um die Weltreligionen in „Nathan der Weise“. Schön auch, wie sie das Geld-Motiv entwickeln. Das Komische an diesem Stück ist ja, dass fast ein jeder einem anderen Geld schenken will, Geld aufdrängt; und keiner will es haben. Ähnlich verhält es sich mit den Herzen. Liebe und Leidenschaft, all das liegt offen auf dem Tisch. Seltsame Ehrbegriffe halten diese noblen Leute davon ab, einfach endlich zuzugreifen. Das bringen sie schon nicht mehr so gut.
Damit nähert man sich dem Problem. Es ist schon so, dass dieses ausgeprägte Ehrgefühl des 18. Jahrhunderts für unser Verständnis an Gezicke heranreicht. Die Regisseurin ist unentschieden: Kann man das Ehrending noch ernst nehmen, oder machen wir uns nicht doch nur darüber lustig? Wenn es aber wirklich so ist, dass man mit dem alten Ehrenkodex im Grunde nichts mehr anzufangen weiß und keine Übersetzung dafür findet, dann wird Lessing hohl im Kern.
Ulrich Matthes hat seinen Offiziers- und Mannesstolz mit Löffeln gefressen. Er steht dazu, steif und stramm. Er ist dichter an Kleist dran als an Lessing. Ein Grübler. Ein Komiker? War Lessing vielleicht doch eher ein akademischer Komödiendichter? Freys Inszenierung reißt Räume auf, und oft schaut man ins Leere. Am Ende geschieht das auch tatsächlich: Die Figuren stehen wie eingefroren unterm Sternenhimmel. Werden die jetzt glücklich, wo sich doch alles aufgelöst hat? Vor ihnen liegen die Mühen der Edlen.
Bettina Meyers Bühnenbild hat viel Luft. Halbhohe Wände, ein Hotelzimmer, mittlere Kategorie, irgendwo und überall, mit ausgesucht hässlicher Ornamenttapete. Room Service, Minibar, und rückwärtig, auf dem Hof, ein Müllcontainer. Die Drehbühne dreht sich ein bisschen viel. Dreht sich meist dann, wenn der Dialog sich zuspitzt, wenn es zur Sache gehen müsste, und vielleicht auch mal an die Wäsche. Aber sie laufen voreinander weg. Es ist alles wunderbar, was Martina Gedeck macht; schmollend im Bett, mondän über ihre Reisekoffer hingegossen. Sie ist so durcheinander, dass sie keine Lust und Zeit hat, sich mal richtig anzuziehen. Sie ist eine schöne Frau, sie braucht keine Aufmachung, keine Garderobe. Und sie ist immer: für sich. Nicht nur sie. Auch Nina Hoss’ Franziska, die putzmuntere Naive, das hüpfige Kind: Jeder wirbt für sich allein. Es gibt keine Nähe zwischen Minna und Tellheim, und daher auch keine glühende Distanz. Barbara Frey baut Figuren, die eingesperrt sind in ihrem edlen Menschentum. Da hilft auch das lockere Tempo wenig. Da stehen sie geprellt und werden nicht abgeholt. Berühren verboten!
Ein merkwürdiger Abend. Es könnte so toll sein, und dann wird es fad. Die Regisseurin macht Versprechungen, und sie lösen sich nicht ein. Sie verteilt Kostpröbchen, man freut sich. Und bleibt hungrig zurück. Es steckt so viel in diesem Lessing, Barbara Frey deutet es an. Die Gesellschaftskomödie, den Schwank, die rappelige Beziehungskiste. Doch sie weiß nicht, in welche Richtung sie gehen soll. Lessing lokalisierte „Minna von Barnhelm“ in Preußen, in Berlin, nach dem Siebenjährigen Krieg. In einem Staat, der von Krieg und Expansion lebt, schafft Frieden seltsame Irrungen und Wirrungen. Das Thema Krieg und Frieden wird im Deutschen Theater recht arglos abgehandelt. Und die Pointe verpufft, dass der nächste Krieg in Persien über die Bühne geht.
Wären sie doch schlechtere Menschen, wie der schmierige Wirt. Dann wäre alles nicht so schwierig.
Wieder am 2., 3., 5., 15. und 16. Februar.
Rüdiger Schaper
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