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Mit Rucksack und Zeichenblock durch Südasien: Der Autor und seine beiden Freunde auf dem Buchcover.
© Cassirer/Carlsen

Interview: „Man wird zu einem Teil des Ortes“

Für seine Grafik-Diplomarbeit reist der Hamburger Zeichner Philip Cassire durch Nepal, Indien und Bangladesch. Jetzt ist das Buch unter dem Titel „Was kostet ein Yak“ erschienen. Im Interview spricht er über den besondere Zugang des Zeichners zu fremden Welten.

Sie sind in die Himalaya-Region gereist, um sich für die Abschlussarbeit Ihres Grafikstudiums inspirieren zu lassen. Hatten Sie keine Angst sich auf dieser Reise möglicherweise zu verlieren?
Nein, eher im Gegenteil. Ich freute mich darauf, mich ein Stück weit selber wiederzufinden. Ich hatte drei Monate Zeit, mir Gedanken zu machen über das Projekt, über mich und einfach keinerlei Verpflichtungen anderen gegenüber. Diesen Zustand, begrenzt auf eine Zeit von drei Monaten, hatte ich erst zweimal in meinem Leben, ein wunderbares Gefühl von Freiheit.

„Was kostet ein Yak“ ist eine Art Reisetagebuch - inwiefern haben Sie sich von der Tradition der „Carnet Voyage“ inspirieren lassen?
Gar nicht, bei der „Carnet Voyage“ handelt es sich ja eher um Collagen aus Illustrationen, Text und vielleicht noch alten Bustickets oder anderem, unterwegs gesammeltem Material. Mein Buch ist schon mehr ein Comic im traditionellen Sinne. Obwohl ich zugeben muss, das es doch Parallelen in meinem Comic zu dieser Art des Reisetagebuches gibt. Einige Panels erklären unabhängig von der Handlung Besonderheiten des Ortes. Gerade solche erklärenden Illustrationen sind typisch für die „Carnet Voyage“.

Der Comic ist eine Auswahl an Erlebnissen und Anekdoten, die Sie und Ihre Freunde auf der Reise gemacht haben. Gibt es für Sie eine persönliche Lieblingsgeschichte in diesem Comic oder gar eine, die Sie nicht erzählt haben?
Es gibt beides. Meine Lieblingsgeschichte im Comic ist der Teil über die Fahrt über den Rohtang Pass, die höchste mit dem Auto befahrbare Straße der Welt. Wir fuhren mit einem, mit Amphetaminen zugedröhnten Fahrer in affenartiger Geschwindigkeit Richtung Gebirge, mit der Gewissheit, das er uns die nächsten 24 Stunden auf vereisten Pisten über eine Stecke von 5.300 Höhenmetern kutschieren würde. Ich hatte, muss ich gestehen, noch nie soviel Angst beim Autofahren. Es war aber auch die mit großem Abstand bildgewaltigste Autofahrt meines Lebens. Eine Geschichte, die es leider nicht in den Comic geschafft hat, war ein 40 km langer Gewaltmarsch bei Nacht von einer sehr schrecklichen Trance-Party durchs Gebirge zurück zu unserem Guesthouse. In der gleichen Nacht gab es die schlimmsten Waldbrände seit Jahren in Nepal, was uns etwas zu gute kam, da die einzige Lampe die wir hatten, eine Led in einem Billigfeuerzeug war. Es war teilweise auch recht eindrucksvoll, bei Nacht an brennenden Hängen vorbeizulaufen.

Sie erzählen die Erlebnisse Ihrer Reise aus der Ich-Perspektive, ohne sich aber, wie beispielsweise Guy Delisle in seinen „Aufzeichnungen“, stark in den Vordergrund der Erzählung zu stellen. Geht es Ihnen weniger um das Konfrontieren mit der eigenen Kultur als vielmehr um das Beobachten des Fremden?
Ich denke, das sich der Leser selber mit „dem Fremden“ auseinander setzt, da ja wahrscheinlich die meisten Leser aus dem gleichen Kulturkreis stammen wie ich selbst. So hab ich mich wenig mit Vergleichen zwischen der westlichen und der asiatischen Kultur aufgehalten. Dem Leser wird es selbst überlassen sich mit der Andersartigkeit der Länder zu befassen.

Diplom-Grafiker: Philip Cassirer.
Diplom-Grafiker: Philip Cassirer.
© privat

Dennoch sind viele selbstironische Bezüge in dem Comic, etwa wenn Sie die Position von Reisenden in asiatischen Überlandbussen beschreiben, Verstopfungsprobleme und Drogenkonsum thematisieren oder einfach nur die Ratlosigkeit angesichts kultureller Unterschiede aufzeigen. Warum haben Sie diese Passagen eingebaut?
Weil es gerade solche Situationen oder Umstände sind, die das Reisen durch Schwellenländer beziehungsweise Länder in der Dritten Welt ausmacht. Man reist mit anderen Standards und Ansprüchen, als man es in Europa machen würde. Viele Europäer würden das Reisen im Bus in Indien einfach als unbequem und schrecklich beschreiben – und teilweise auch zu Recht. Aber auf der anderen Seite ist es auch ein ganz anderes ungewöhnliches und abenteuerliches Reisen, das man sich dort zumutet. Auch der Umstand der schlechten medizinischen Versorgung bei Verstopfung im Gebirge und das damit verbundene Glück, dann doch in der Nähe einer Apotheke zu sein, sind Sachen, die in unseren Breitengeraden nicht oder selten vorkommen. Auch wenn ich nicht leugnen kann, das ich hier und da nicht ganz frei von Sorge war, sind doch gerade die schwierigen Situationen im Nachhinein die, die man am ehesten mit Humor sehen kann beziehungsweise die am meisten Spaß machen, wenn man sie erzählt.

In der Mitte ihres Comics sieht man Sie auf einer Doppelseite mit Ihren Freunden in einer Rikscha sitzen, dem alltäglichen Chaos des Verkehrs im indischen Varanasi ausgeliefert. Was hat das Chaos, dem Sie sich bei dieser Reise auslieferten, mit Ihnen gemacht?
Es gibt einem ein anderes Verständnis für Chaos. Man kommt besser gesagt zu dem Schluss, das Chaos bei uns in Deutschland nicht existiert. Außerdem bekommt man ein Bild davon, was Überbevölkerung heißt und wie sie sich äußert. Zu Hause bin ich ein sehr ordentlicher Mensch aber ich genieße auch das Chaos und die Unordnung, gerade wenn sie der Normalzustand ist.

Man sieht Sie auch immer wieder in die Alltagskultur eintauchen, sei es, wenn Sie einen Tag lang in einer Rikscha-Werkstatt arbeiten, mit einheimischen Kindern kicken oder einem Straßenmaler zeigen, wie ein richtiges Porträt aussieht. Wie wichtig waren diese Ausflüge in das normale Leben der Menschen, die Sie umgeben haben?
Sehr wichtig! Ohne diese Eindrücke würde etwas Bedeutendes fehlen. Wie soll man ohne die Menschen, die dort leben, einen richtigen Einblick in eine Kultur erhalten. Würde man nur alles betrachten, aber sich der Menschen komplett entziehen, wäre die Reise eher mit einem Museumsbesuch gleichzusetzen als mit der Erfahrung, die sie für mich war. Ohnehin ist es völlig unmöglich, sich den Menschen in Bangladesch, Indien und Nepal zu entziehen. Laufen sie mal als einziger Europäer durch Dhaka und versuchen sie, sich nicht in ein Gespräch verwickeln zu lassen.

Öffentlicher Arbeitsplatz: Der Zeichner im Selbstporträt.
Öffentlicher Arbeitsplatz: Der Zeichner im Selbstporträt.
© Cassirer/Carlsen

Viele Rucksack-Reisende werden sich in Ihren Helden und Ihrer Mischung aus Naivität, Übermut, Selbstüberschätzung, Abenteuerlust und Pragmatismus sicher wiedererkennen. Der Comic liest sich auch wie eine Art Bildgeschichte über das Reisen als solches. Was macht Ihrer Meinung nach das Rucksack-Reisen aus?
Die Spontaneität, mit der man sich entscheidet, Sachen zu tun oder nicht zu tun. Die Freiheit sich in einem Land zu bewegen, wie man seine Fortbewegungsmittel wählt, die Orte zu denen man reist. Man teilt seine Zeit spontan ein und landet am Ende nie auf der eigentlich angedachten Route.

Zugleich fehlen die typischen Tipps vom 1x1 des Traveller-Daseins, Sprüche wie "Heat it, peal it or forget it". Ihr Comic ist kein Handbuch des Reisens, eher eine nostalgische Liebeserklärung an diese ungewisse Erkundung der Welt.
Ja, das stimmt.

Jeder Traveller kennt das Gefühl der Absurdität und des Kafkaesken in fremden Ländern, dem er sich notgedrungen ausliefert und am Ende verwundert ist, dass er heil wieder in seinem Guesthouse angekommen ist. Sie schildern einige dieser Erlebnisse. Wo verläuft die Grenze zwischen Leichtsinn und angebrachter Vorsicht?
Diese Grenze ist unklar. Natürlich muss man als allein Reisender vorsichtiger sein, als in einer Gruppe. Dennoch ist es auch stets ein Abwägen. Bei zu großer Vorsicht läuft man Gefahr, sich interessanter Situationen und Begegnungen zu entziehen. Oft bleibt einem auch nichts anderes übrig, als sich in Gefahr zu begeben. Wenn auf der Strecke, auf der man reist, nur alte, überladene Rostlauben unterwegs sind, kann man eben nur mit denen fahren. Es sei denn, man läuft. Aber so groß war die Todesangst dann doch nie.

Abenteuerlustig: Eine Seite aus dem Buch.
Abenteuerlustig: Eine Seite aus dem Buch.
© Cassirer/Carlsen

Gibt es eine Art goldene Regel, die man als Reisender befolgen sollte?
Kaufe nie Drogen von Leuten, die dir welche anbieten, auf jeden Fall nicht in der Großstadt. Es gibt bestimmt noch mehr, aber die wollen mir gerade nicht einfallen.

Die meisten Rucksack-Touristen reisen mit der Digitalkamera im Anschlag. Sie sieht man immer wieder zeichnen. Was unterscheidet das Zeichnen vom Fotografieren? Ist es kontemplativer?
Meiner Meinung nach ja, obwohl ich mich da auch gern von einem Fotografen eines Besseren belehren lasse. Aber allein der Umstand, dass der Prozess des Zeichnens eine längere Anwesenheit vor Ort erfordert, ist ein Anzeichen dafür. Gerade das ist auch das Interessante daran. Man wird zu einem Teil des Ortes, den man zeichnet, und wird, manchmal mehr und manchmal weniger, von seiner Umwelt war genommen. Oft gucken einem die Leute über die Schulter, wollen sehen was man macht. Und darüber kommt man manchmal mit Leuten ins Gespräch.

Nepal und Indien sind zu Sehnsuchtsorten der westlichen Rucksack-Reisenden geworden, viele scheinen sich dort eine Art Erweckung zu versprechen. Was ist so faszinierend an diesen Ländern?
Die Landschaft und ihre Vielseitigkeit ziehen mich magisch an, aber natürlich auch die Landeskultur an sich. Ich habe vorher noch kein Land gesehen, in dem Religion lebendiger und allgegenwärtiger praktiziert wird als in Indien. Aber auch die starken Gegensätze zwischen malerischen Landschaften und dem bunten, verrückten Treiben in überbevölkerten Städten, dem Gestank und Dreck haben eine spezielle Anziehungskraft. Die meisten Leute, die ich kenne lieben Indien. Ich kenne aber auch ein paar, die nach einer Woche den Rückflug gebucht haben. Die Anziehungskraft, die von Indien ausgeht, ist schwer zu beschreiben. „You love it or you hate it“, ich glaube dazwischen gibt es nichts. Am besten fährt man selbst hin oder man kauft das Buch. Oder beides (lacht).

Zahlreiche Panoramen und Weitwinkelaufnahmen zeugen von ihrer Faszination für die Landschaft. Was genau hat sie da eingefangen?
Der weite, unverstellte Blick, der sich auftut. Wir Westeuropäer kennen das gar nicht mehr. In Deutschland muss man für einen solchen Blick lange suchen, in Indien und Nepal hat man ihn andauernd. Man setzt sich in einen Bus, ist einen Tag lang unterwegs, und wenn man aussteigt hat man den Eindruck, sich in einem Filmset wiederzufinden.

Im Fluss: Eine weitere Seite aus dem Buch.
Im Fluss: Eine weitere Seite aus dem Buch.
© CAssirer/Carlsn

Hatten Sie stilistische Vorbilder im Kopf, bevor Sie mit dem Zeichnen des Comics begonnen haben?
Nicht wirklich. Als Kind habe ich gerne „Tim und Struppi“ gelesen, wo es ja auch viel um ferne Länder und Kulturen geht. Ich glaube die Zeichnungen von Hergé haben mich indirekt beeinflusst, obwohl ich mir seine Sachen nicht erneut angeschaut habe. Für das Buch waren meine Skizzen von der Reise Vorlage und für den Stil maßgebend.

Ihr Comic trägt den Untertitel „Von heiligen Kühen und heiligen Bergen“, die im Comic aber selbst kaum auftauchen. Ist die heilige Kuh, um die es Ihnen geht, vielleicht vielmehr eine implizite, nämlich unsere allzu schnell aufgesetzte westliche Brille, durch die wir das Leben in diesen Ländern allzu schnell bewerten?
Alle Kühe, die in meinem Buch vorkommen sind heilige Kühe. Aber natürlich ist die heilige Kuh auch ein Synonym für das westliche Verständnis von indischer Kultur und Religion. Oft spricht man von der heiligen Kuh mit einem Lächeln. Unter dem Motto: Die Inder verehren Kühe statt Götter, wo ja schon Abraham das goldene Kalb als blasphemisch aburteilte. Die Viecher behindern den Verkehr und keiner macht was. Die Inder verehren aber nicht nur Kühe, sondern auch Götter, Affen, Ratten, Seen, Flüsse, Menschen, Berge und vieles mehr. Man kommt nicht umhin, es amüsant zu finden, was in diesem Land nicht alles heilig ist, gerade als Atheist. Die Kuh ist für die westliche Welt nur der Platzhalter für eine in unseren Augen befremdliche Weltreligion.

Sie waren inzwischen wieder auf Reisen. Kommt als nächstes ein neuer Reisecomic? Oder wenden sie sich jetzt dem trashigen Zombie-Comic zu, das sie vor der Reise noch im Kopf hatten? Stilistisch schimmert diese Vorliebe an mancher Stelle durch.
Stimmt, der Trash-Comic steht noch aus. Dem Reisecomic gönne ich jetzt erst einmal eine Pause. Ehrlich gesagt bin ich zwar gerade auf der Suche nach einem neuen Thema, bin aber noch nicht fündig geworden. Ich spiele mit der Idee, mit einem Autor ein Gemeinschaftsprojekt zu machen, es schlummern aber auch noch einige angefangene Seiten zu Bukowski-Kurzgeschichten in einer Schublade. Mal schauen was es wird.

Philip Cassirer: Was kostet ein Yak. Von heiligen Kühen und heiligen Bergen. Carlsen, 64 Seiten, 14,90 Euro. Mehr unter www.abcassirer.de.

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