zum Hauptinhalt
Will Entschleunigung im Betrieb. Ausstellungsmacher Kasper König, 73, in seinem Berliner Büro.
© Mike Wolff

Kasper König im Interview: „Man muss dem eigenen Betrieb gegenüber kritisch sein“

Kasper König, Leiter der Skulptur-Projekte Münster, zählt zu Deutschlands wichtigsten Kuratoren. Ein Gespräch zum Super-Ausstellungsjahr 2017 über Autonomie und Ökonomisierung der Kunst.

Herr König, 2017 ist das Superkunstjahr mit Documenta, Biennalen in Venedig, Istanbul und Lyon, nicht zuletzt die Skulptur-Projekte in Münster. Geht es noch um Kunst oder werden nur Events abgehakt?

Ich sehe darin kein Überangebot. Momentan erleben wir prekäre, ideologische Zuspitzungen via Religion, via Vorurteile. Wir sollten die Kunst als Transmissionsriemen in Anspruch nehmen, um die Komplexität der Welt zu feiern und nicht, um zu vereinfachen. Kunst hilft zu differenzieren. Mit den Skulptur-Projekten, die ja nur alle zehn Jahre stattfinden, befinden wir uns da in einer besonderen Situation. Die eingeladenen Künstler suchen sich einen Standort in der Stadt und realisieren ihre Vorstellungen – unter einer Bedingung: Das Werk soll nicht gemacht werden, um zu bleiben. Die Ausstellung ist kein Showroom. Es gibt keine Auftragsarbeiten, keine Kompromisse, keine Künstler, die nur ihre Duftmarke abgeben nach dem Motto: Das ist ein Jeff Koons, das ein Ohweiohwei.

Sieht man die Kunst noch angesichts der Fülle bei solchen Großausstellungen?

Es geht gerade ums Scharfstellen. Häufig nehmen wir Veränderungen nicht wahr, weil wir Teil von ihnen sind. In Münster zum Beispiel sind trotz allem einige Werke seit 1977 geblieben. Sie erwachen mit jeder Ausgabe der Skulptur-Projekte wieder neu: zum Beispiel das Epitaph von Ian Hamilton Finlay auf Annette von Droste-Hülshoff, der Findling von George Brecht mit dem Titel „Void“ oder Herman de Vries' Arboretum in einem ehemaligen Friedhof. Die Stadt drumherum hat sich verändert, auch wenn sie museal wirkt: im Krieg total zerstört, dann nach historischem Vorbild wieder aufgebaut. Nach 60 Jahren haftet der Rekonstruktion eine eigene Patina an, sie ist post-modern avant la lettre.

Stichwort Gegenwartskunst: Inwiefern drückt sich die allenthalben spürbare Bedrohung, die Angst auch in der zeitgenössischen Produktion aus?

Die Kunst hat einen eigenen Zeitrhythmus, eine andere Dauer. Es kann tröstlich sein, sich mit ihr zu beschäftigen, vor allem wenn ein Künstler eine Tiefenbohrung vornimmt. Für die Kunst hat es keinen Zweck, direkt auf aktuelle Ereignisse zu reagieren. Sie ist zu wichtig, als dass sie sich verbrauchen darf. Aber das Krisenthema ist natürlich längst angekommen. Wir hatten ein Projekt mit Santiago Sierra geplant, der die Grenzziehung nach Münster bringen wollte: eine 333 Meter lange Barriere, die von einem Lkw ziehharmonikaartig aus einem Container gezogen wird. Die Methode wurde an der ungarischen Grenze angewandt, um Flüchtlinge aus Syrien abzuhalten. Sierra wollte diese Grenze genau in der Achse des Schlosses errichten, aber wir hätten sie zwischendurch abbauen müssen für andere Veranstaltungen. Damit wäre die Grundidee verloren gegangen, denn es wäre es keine absolute Setzung mehr gewesen. Nun scheint sich das Projekt 2018 zum 100. Katholikentag in Münster zu realisieren. In diesem Kontext wäre der politische Bezug noch deutlicher.

Kann Kunst tatsächlich ein Katalysator für Politisches sein, eine Reaktion auf die zunehmende Abschottung vor Fremden, auf die Stimmungsmache der AfD?

Auf jeden Fall. Ich halte die Aussage von Martin Roth, zuletzt Chef des Victoria & Albert Museum in London, für einen Kurzschluss. Er sagte, wenn er noch Direktor der Staatlichen Museen in Dresden wäre, hätte er die Sammlungen aus Protest geschlossen. Das war unüberlegt. Stattdessen müssen wir klarmachen, warum Kunst auch für jene relevant sein kann, die sich nicht dafür interessieren. Dabei muss man jede Überheblichkeit vermeiden und zugleich erstklassige Arbeit leisten, ohne populistisch zu sein.

Wie stellen Sie sich das vor?

Man muss dem eigenen Betrieb gegenüber kritisch sein. Wenn die Skulptur-Projekte mithilfe öffentlicher Gelder die Bedeutung des öffentlichen Raums markieren, ist schon die Verteilung der Gelder ein Politikum. Das Engagement der Politiker verliert sich am Ende oft doch nur in Rhetorik und Selbstpromotion. Die Skulptur-Projekte besitzen eine größere Unabhängigkeit als andere Institutionen. Wir sind frei vom Erwartungsdruck eines Publikumserfolgs, denn es gibt keinen Eintritt, die Ausstellung spielt sich in der Stadt ab. Ich vermisse eine engagierte, differenzierte Kulturpolitik. Wir brauchen nicht ständig mehr Museen. Die Politiker haben immer Kohle für Neubauten, um sich selbst zu profilieren. Diese Kulturpolitik ist falsch gepolt, überhaupt ist der ganze Stolz auf Etaterhöhungen Augenwischerei, wenn es eigentlich nur um Machtzuwachs geht und nicht um ästhetische Aufklärung.

Starke Worte. Hört jemand auf Sie?

Nein, das habe ich bei meinem Gutachten für die Wiener Museen zu spüren bekommen. Die Politiker machten anschließend genau das Gegenteil. Erst später begriff ich, warum: Es ging nur um die Ökonomie, um die dritte Nacht. Die Touristen sollen drei Mal übernachten, damit sie, wenn sie abends ankommen, einen vollen Tag für Einkäufe haben. Das gilt auch in Berlin, nur der Tourismus zählt. Die Besucher sollen einen Tag kompakt zum Schloss und zur Museumsinsel mit dem Pergamonaltar gehen. Das ist dann unser Trumpf, wie anderswo der Louvre, der Prado oder die National Gallery. Die ökonomischen Kriterien sollten von den Politikern offen auf den Tisch gelegt werden.

Haben Sie etwas gegen das Humboldt-Forum? Hätten Sie lieber den Palast der Republik zurück?

Es war eine politische Mehrheitsentscheidung des Bundestags, den Palast der Republik abzureißen und das Schloss wieder aufzubauen, aber ich hätte ihn bewahrt. Für die Welt, für jemanden aus China oder Lateinamerika ist es unglaublich interessant, eine Stadt zu besuchen, in der zwei Geschwindigkeiten sichtbar werden: eine kapitalistische und eine kommunistische. Natürlich war der Bau hässlich, aber es war ein Palast des Proletariats. Und der rekonstruierte Feudalbau sieht echt doof aus.

Nicht nur für die Metropolen, auch für eine Stadt wie Münster spielt der Kulturtourismus eine Rolle. Wie gehen Sie damit um?

Die Stadt und der Landschaftsverband hätten die Skulptur-Projekte gerne im Fünf-Jahres-Rhythmus veranstaltet, zeitgleich mit der Documenta. Das hätte sich in den Augen der Kommune gerechnet – 2007 zählte Münster 650 000 Besucher, viele kamen aus Kassel. An diesen Erfolg wollte man schneller wieder anknüpfen. Damals habe ich meinen Hut wieder in den Ring geworfen und der Stadt gedroht, sie zu verklagen – auch im Namen des Erfinders der Skulptur-Projekte, Klaus Bußmann, der das als damaliger Direktor des Landesmuseums – also als Angestellter im öffentlichen Dienst – selbst nicht tun konnte. Eine Ausstellung wie die in Münster braucht Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Das Beste an ihr ist eigentlich die Verlangsamung, die Vertiefung, erst sehr viel später wird sichtbar, wie sich der öffentliche Raum verändert hat.

Auf den Biennalen, der Documenta und auch in Münster spielt das Performative eine immer größere Rolle. Warum?

Das ist eine Mode, aber es gibt einen Grund dafür. Die Selbstvergewisserung des Körpers wird immer wichtiger, je stärker wir uns virtuell erweitern. Unsere Beziehung zum Körper hat sich verändert, seitdem alles vernetzt ist. Dadurch bekommt die reale Handlung im Raum eine andere Dringlichkeit. Xavier Le Roy wird in Münster eine Arbeit mit vielen Akteuren präsentieren. Sie geht über dreieinhalb Monate und bezieht sich auf Skulptur und Zeit. Alexandra Pirici nimmt den Westfälischen Friedenssaal zum Ausgangspunkt für eine Langzeit-Performance. Der Westfälische Friede gilt als erster Friedensschluss ohne Waffengewalt, durch Kommunikation. Gleichzeitig hat er die nationale Staatenbildung befördert. Piricis Performance greift in Form von Sprache und Bewegung diese Themen von 1648 auf - Kommunikation, Identität, Territorialkämpfe, Nationenbildung. Die sind alle aktuell.

Das klingt fast nach einem Festival.

Nein, es soll eine Ausstellung bleiben, mit einer physischen, haptischen Relevanz. Ich gehöre zu der Generation, die durchaus für Institutionen ist - ob es sich um einen Knast, eine Psychiatrie oder einen Kindergarten handelt. Auch Museen sind solche öffentlichen Orte. In einem Sinne werden sie immer wichtiger, nicht als Stätten der Repräsentanz für Politiker, sondern für die Zukunft, für unser Zusammenleben, weil dort die Toleranz auf die Probe gestellt wird. Deshalb finde ich es zum Beispiel fragwürdig, dass die Neue Nationalgalerie in Berlin für fünf Jahre geschlossen bleibt. Es dürfte doch nicht schwer sein, in Berlin eine 10 000 Quadratmeter große Halle zu finden - wie damals beim MoMA in New York, als es umgebaut wurde und in Queens in einer Lagerhalle eine Außenstelle mit 100 Meisterwerken eingerichtet wurde.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn.

Zur Startseite