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Arctic Monkeys-Frontman Alex Turner probiert Posen aus.
© Davids

Die Arctic Monkeys in Berlin: Magischer Schlafzimmerrealismus

Band mit Bodenhaftung: der Auftritt von Arctic Monkeys in der Columbiahalle

Das Beste, was die Freundin eines Rockstars erwarten kann, ist ein großer Song. Wenn alles vorbei ist. Alex Turner hat einen solchen Song geschrieben. Und als er nach einer halben Stunde, die das Konzert seiner Band Arctic Monkeys in der Berliner Columbiahalle dauert, zu eben diesem Song, „Fireside“, gelangt, da fällt auch ihm auf, dass er vielleicht mal etwas unternehmen sollte. Etwas, das über die Musik hinausgeht und seinem Status als Rockstar gerecht wird.

Also schnappt er sich das Mikrofon, wirft sich in Positur, was bei dem 27-Jährigen bedeutet, das Gewicht auf ein Bein zu verlagern, dem Publikum das Profil zu zeigen und den Kopf grotesk in den Nacken zu werfen. Er darf das gerade, weil ein Ersatzgitarrist seinen Part übernimmt. Und weil der Song, eine Art Doo-Wop-Shuffle, der zu Turners melancholischeren gehört, durchaus eine gewisse Deutungstiefe hat. Immerhin ist der Sänger darin von dem Wunsch getrieben, seiner Exfreundin, die so lange in derselben Hotelsuite gelebt hat wie er, zu erzählen, was er seit ihrer Trennung alles „gefunden“ hat. Es ist vielleicht genau das, was das Mädchen nicht hören will. Aber wie bewegt man sich dazu? Auf der Bühne ist die eingefrorene Silhouette eines scheuen Menschen zu sehen, der zum Entertainer wird.

Es ist das alte Spiel der Posen: Ich zeige euch, wer ich nicht bin. Turner trägt ein edles Rockabilly-Jackett, darunter ein Hemd mit weißen Saumkanten, was ihn auch optisch seinem Idol John Lennon näher bringt. Doch der Junge aus Sheffield findet seine Rolle da oben noch immer absurd. So sieht man Turner mit ausgesuchter Eleganz in schlingernde Bewegungen verfallen, als sei er betrunken. Vielleicht ist er es sogar. Ist ja auch wirklich ein bisschen viel derzeit.

Das letzte Album der Band „AM“ ist mit so vielen Superlativen bedacht worden, dass es schon wieder peinlich ist. Aber großartig bleibt es. Beim Auftritt von Turner und seinen Kumpels aus Kindertagen, Drummer Matt Helders, Jamie Cook an der Gitarre und Bassist Rick O’Malley, bilden die neuen Lieder den Kraftkern. Klar, die Knaller von 2006 sind unverzichtbar, „Dancing Shoes“ oder „I Bet You Look Good On The Dancefloor“, die diese Band über Nacht berühmt gemacht haben. Damals ging es noch um Tempo und Lärm, um Partys und Disco-Besuche, um den Überschwang von Teenagern, die sie gerade noch gewesen waren. „Do I Wanna Know?“, mit dem sie den Abend eröffnen, ist von einer anderen Kategorie. Man kann sich der Dinge nicht mehr sicher sein, der Liebe nicht und den eigenen Gefühlen, nicht der Tatsache, eben noch zueinander gehört zu haben, wie Turner jetzt weiß. Die Musik der Band ist gravitätischer geworden, entschleunigte Emphase. Sie kocht und zischt nicht mehr, sie brodelt. Statt ihre eigenen Songideen durch ruppige Breaks zu zertrümmern, setzen die Vier beim Komponieren jetzt auf dieselbe schlingernde Eleganz, die Turners Körpersprache ergriffen hat. Und er selbst hat dazu Texte ersonnen, die etwas von magischem Realismus haben.

Als Turner gegen Ende, um sich von der tobenden Menge zu seinen Füßen zu verabschieden, „I wanna be yours“ sagt, da kündigt er nicht nur den nächsten Song an, eine wundervolle Ballade, die weit in die Gefilde des Soul ragt, sondern er meint das wohl tatsächlich als Rollentausch. Wie viel lieber wäre ihm jetzt, nicht der sein zu müssen, der er nicht ist.

Am Ende des Abends steht abermals eine Frage: „R U Mine?“ Es ist der Song, der am besten die harte Gangart des Riff-Rock mit der Verspieltheit des Pop verbindet. In diesem Moment gehören der Frust und die Einsamkeit nicht mehr den Frustierten und Einsamen allein. Sondern allen.

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