Steampunk-Abenteuer: Magie der Apparate
Zurück in die Zukunft: Comic-Fachhändler Frank Wochatz hat ein Herz für Steampunk-Geschichten und empfiehlt den Vierteiler „Die Korsaren der Alkibiades“, dessen erster Band kürzlich erschienen ist.
Vor ein paar Tagen war ich in unserer lokalen Videothek und wollte mir den grandiosen Film „20.000 Meilen unter dem Meer“ leihen. Der Film war nicht da, aber zu meinem großen Erstaunen kannte der Verleiher den Film nicht und hatte offenbar auch noch nie den Titel gehört. Nach langem Hin und Her hatte der Mitarbeiter den Titel korrekt in seine Suchmaschine getippt. Ich wies dann noch darauf hin, dass ich die Verfilmumg mit Kirk Douglas von 1954 suche (und nicht die mit Michael Caine), worauf mich der Kollege mehrfach fragte, wer denn Kirk Douglas wäre und ob ich nicht Kurt Russel meine.
Offenbar geraten manche Dinge langsam in Vergessenheit. Und das, obwohl es in den vergangenen Jahren durchaus medienübergreifende Referenzen an die alte Sci-Fi Literatur von Jules Verne, H.G. Wells & Co. gab, die eventuell manchmal nur aus dem Bewusstsein gerückt sind - womit wir beim Thema des Artikels, dem Steampunk wären.
Wenn technische Gebilde, Apparate, vorwiegend aus Holz, Messing oder anderen Metallen, fremd wirkende mechanische Gerätschaften, Schrauben, Zahnräder, Nieten etc. in einer Zeit auftauchen, in diese Dinge nicht gehören, dann spricht man von Steampunk. Als Gegenstück zum Cyberpunk versteht sich der Steampunk als Sci-Fi-Disziplin, in der davon ausgegangen wird, dass sich die Technologie der Dampfmaschine durchgesetzt hat. Soweit die Wortschöpfung. Besonders präzise ist diese Bezeichnung natürlich nicht. Vielmehr ist der kleinste gemeinsame Nenner der Werke aus Film, Literatur oder Comic, die dem sog. Steampunk zugeordnet werden, die Dominanz der anachronistischen, eigentlich nicht in die entsprechende Zeit passenden Mechanik und der Apparate. Die Dampfmaschine selbst wird selten direkt thematisiert, oft wird auf den Antrieb der Apparate gar nicht weiter eingegangen. Elektronik oder Computer gibt es in der Regel in solchen Szenarien nicht. Wobei die Stilistik auch nicht als die „reine Lehre“ aufgefasst werden darf. Oft werden nur einzelne Steampunk-Elemente benutzt, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen. Man denke da beispielsweise an die finale Szene in Hellboy „Die goldene Armee“, in der der Held fast wie einst Charlie Chaplin in „Moderne Zeiten“ (nur nicht so bedeutungsschwanger) von einem riesigen Getriebe verschlungen wird, um dann an anderer Stelle wieder aufzutauchen.
Nur, worin liegt der Reiz solcher Szenarien? Zum einen wohl darin, das der Steampunk ein Gegenpol zur allgegenwärtigen Computerwelt bildet. Zum anderen hat es sicher etwas damit zu tun, das die etwas älteren Semester in Ihrer Jugend mit Büchern und Verfilmungen von Verne und Wells aufgewachsen sind. Und Verne oder Wells waren die größten Steampunker - ohne es zu wissen und logischerweise ohne, dass es solche Bezeichnungen überhaupt gab. Und so muten auch zeitgenössische Werke des Steampunks wie z.B. Comics des belgischen Künstlers Francois Schuiten an, als hätte jemand um 1900 ganz ohne Wissen über Computer und High-Tech einen Sci-Fi entworfen. Klassische Architektur wird da mit „altmodisch futuristischen“ Bauwerken gemischt, dazwischen immer wieder seltsame Geräte wie Fortbewegungsmittel. Man denke dabei z.B. an die Seilbahnfahrräder aus Schuitens „Jenseits der Grenze“ (erschienen bei Schreiber & Leser). Auch hier sind die Apparate eher Randelemente innerhalb der Geschichte.
Eine aktuelle Genre-Perle ist der Comic „Die Korsaren der Alkibiades“ von Liberge und Filippi. Hier wird das Rad der Zeit noch weiter zurückgedreht. Wir befinden uns in England im Jahre 1825. Fünf junge Menschen werden entführt und für eine Geheimorganisation rekrutiert, an der sie ein Auswahlverfahren durchlaufen, welches einmal absolviert ihr Leben verändern wird. Der Comic ist in fulminanten Bildern franko-belgischer Comickunst rasant erzählt. Bemerkenswert ist der Detailgrad der Zeichnungen. Auf die Steampunk-Elemente möchte ich hier nicht weiter eingehen, lasst Euch überraschen.
Das erste Album der Geschichte bildet ein schönes Intro zu der Serie (ordentlicher Cliffhanger am Ende inklusive), dessen zweiter Teil noch im November erscheinen wird. Wir dürfen gespannt sein, ob das hohe Niveau gehalten wird. Ich bin da angesichts der Qualität des ersten Bandes optimistisch. „Die Korsaren der Alkibiades“ ist ein wunderbarer, altmodischer Abenteuercomic mit moderner Steampunkstilistik - fast so schön wie 20.000 Meilen unter dem Meer.
Denis-Pierre Filippi, Eric Liberge: Die Korsaren der Alkibiades Bd. 01: Geheime Eliten, Hardcover, 48 Seiten, Ehapa-Comic-Collection, 13,95 Euro. Mehr unter diesem Link.
Unser Gastautor Frank Wochatz ist Geschäftsführer des auf anspruchsvolle grafische Literatur spezialisierten Comic-Fachgeschäfts „Comics und Graphics“, Prenzlauer Allee 46 (Berlin-Prenzlauer Berg). Die Website lautet www.bluetoons.de, außerdem gibt es hier siet kurzem auch ein sehr lesenswertes Comic-Blog.
Frank Wochatz
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