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Kommt zu mir. Christus-Statue von Miroslaw Petecki im polnischen Swiebodzin. Für die Biennale fertigt er in den Kunst-Werken eine Kopie des gigantischen Kopfes.
© Tomasz Stafiniak

Berlin-Biennale: Macht, Kunst, Angst

Occupy, Arabellion, Kriegsspiele: Die 7. Berlin Biennale will die Kunst mit gesellschaftlicher Sprengkraft aufladen. Doch das Beste, was man von ihr sagen kann, ist dass sie ist in dem Versuch, die Kunst zu ermächtigen, grandios scheitert. Damit gibt sie ihr das Wichtigste zurück: die Autonomie.

In großen Lettern steht „Ceci n’est pas une porte“ über dem bis auf einen engen Durchlass zugemauerten Tor der Kunst-Werke geschrieben. Magritte, Urvater des surrealistischen Gedankens mit seinem berühmten Gemälde „Ceci n’est pas une pipe“, hätte seine Freude daran. Hinter der Pforte aber diskutieren am Morgen der Ausstellungseröffnung ein Sicherheitsexperte, ein Sprecher der Occupy-Bewegung und der Kurator der Berlin-Biennale, Artur Zmijewski. „So machen sie das immer,“ mault der Occupy-Vertreter. „Mit Verweis auf Feuerwehr und Fluchtwege wird alles verboten.“ Eine Stunde später fegen Handwerker die Reste der spontan über Nacht hochgezogenen Mauer weg. Occupy trifft Kunst und beide wiederum auf die unnachgiebigen Sicherheitsanordnungen öffentlicher Gebäude. Eins zu null für die staatlichen Bestimmungen, Occupy und die Kunst haben das Nachsehen.

Worte sind Waffen. Tomas Rafas Werk „Art Covers Politics“ zeigt Demonstranten in Lissabon.
Worte sind Waffen. Tomas Rafas Werk „Art Covers Politics“ zeigt Demonstranten in Lissabon.
© Luís Ramos

Die siebte Berlin-Biennale ist ein Experiment. Sie will weniger Kunst zeigen als Arbeiten, die politische Ereignisse schaffen, politische Wahrheiten enthüllen. Mit diesem Konzept hat es der polnische Kurator Artur Zmijewski schon vor der Eröffnung weit gebracht: Medienskandale, Aufregung allenthalben über den provozierenden Aufruf zu einer Sammelaktion des umstrittenen Sarrazin-Buches, Ärger in der Szene über den Open Call zur Teilnahmebewerbung unter Angabe der politischen Gesinnung. Seit ihrer Gründung vor 14 Jahren hat es die Berlin-Biennale nie zuvor auf eine solche öffentliche Resonanz im Vorfeld gebracht.

Allein die Ankündigung einer Grenzüberschreitung, dem Surrogat Kunst reale Wirkung verleihen zu wollen, hat schon Alarm ausgelöst. Das mit 2,5 Millionen von der Bundeskulturstiftung unterstützte Unternehmen lässt den Kunstbetrieb wohlig schaudern. Die Koinzidenz von Biennale-Eröffnung und Gallery Weekend ist kein Zufall. Die ab Freitag aus aller Welt erwarteten Sammler goutieren gerade solche Renitenz.

Der Film „Schlacht um Berlin ’45“ handelt von einem Re-enactment des Kriegs.
Der Film „Schlacht um Berlin ’45“ handelt von einem Re-enactment des Kriegs.
© Maciej Mielecki

So gilt die größte Aufmerksamkeit der Occupy-Bewegung und ihrer vermeintlichen Besetzung der Kunst-Werke. Die läuft jedoch gesittet ab. Die Aktivisten haben in der Ausstellungshalle ein Zelt aufgeschlagen, in dem ihre ausgerollten Schlafsäcke liegen, Plakate kleben an den Wänden, Slogans sind aufgepinselt und Stühle für ein Plenum zusammengerückt. Das wirkt zwar authentisch, aber zugleich harmlos wie ein begehbares Bühnenbild.

Der Besucher wird das Gefühl nicht los, dass hier ein eher rührendes Stück aufgeführt wird – wie schon in der Pressekonferenz. Die Vertreter der Occupy-Bewegung animieren zum Mitmach-Theater: Die Journalisten mögen als Zeichen der Zustimmung mit den Händen nach oben, als Zeichen der Ablehnung mit den Händen nach unten wedeln. Dann folgen Fragen: Empfindet ihr die Gesellschaft als gerecht? Haltet ihr einen grundlegenden Wandel für notwendig? Was könnt ihr dazu beitragen? Keine Antworten. Allein die Hände der Aktivisten flattern fleißig rauf und runter. Occupy trifft auf die Kunstkritik. Ergebnis: unentschieden.

Anspruch auf politische Zielgerichtetheit

Die Einladung von Occupy-Gruppen zur Biennale ist wieder so ein Coup von Zmijewski. Sie demonstriert öffentlichkeitswirksam den Anspruch auf politische Zielgerichtetheit – egal wohin. Joanna Warsza, die Zmijewksi assistiert, nennt dies „agonistisches Kuratieren“ – alle machen mit. Diese siebte Berlin-Biennale dürfte zwar als die am stärksten politisierte, aber auch am meisten indifferente Schau in die Geschichte eingehen.

Die Arbeiten in den Kunst-Werken als Hauptspielstätte der Biennale nivellieren sich gegenseitig nicht nur durch ihren gleichbleibend hohen Erregungsgrad, sondern auch durch ihre widersprüchlichen politischen Stoßrichtungen. „Breaking the News“ etwa mit gefilmten Beiträgen sogenannter Künstler-Journalisten über Aktionen feministischer Ukrainerinnen, Unruhen in Athen, Demonstrationen in London, Gewalt gegenüber Palästinensern hinterlässt nicht anders als bei jeder Nachrichtensendung gerade mal ein unwohles Gefühl über die Schlechtigkeit der Welt. Besucher, die über die samtenen Sitzmöbel im abgedunkelten Raum stolpern, nehmen im besten Fall blaue Flecken als Erinnerung mit.

„Forget Fear“ hat Zmijewski seine Ausstellung genannt – ausdrücklich, um sich und den Künstlern Mut zu machen. Aber dazu müsste es der Besucher erst einmal mit der Angst zu tun kriegen. Die Ausstellung erweist sich als wohlfeiles Angebot an ein saturiertes Publikum, das nicht einmal hier den erhofften Kick erlebt. Mehr denn je wird die Kunst mit ihrer eigenen Machtlosigkeit konfrontiert, wenn sie nur zu öffentlichen Willensbekundungen animiert. Antanas Mockus’ Installation „Blood Ties“ versucht allen Ernstes, Morde in Mexiko zu verringern, indem er den Besucher ein Papier unterschreiben lässt, dass er bis zum Ende der Biennale am 1. Juli den eigenen Drogenkonsum unterlässt oder zumindest reduziert.

Das Dilemma dieser Biennale findet in dem Beitrag „New World Summit“ von Jonas Staal ihren Ausdruck. Der holländische Künstler hat Flaggen all jener Organisationen aufgehängt, die international als Terroristengruppen gelten. Deren Vertreter treffen sich am 4. und 5. Mai in den Sophiensälen zum Austausch. Staal hat dieses absurde Parlament schon einmal unter einer Glashaube imaginiert: mit Stühlchen, Fähnchen, Rednerpulten en miniature kreisrund aufgestellt wie in der Unesco. Wollen wir wirklich wissen, was die Vertreter von Al Qaida, FARC, ETA sich zu sagen haben? Und reizt der riesige Christuskopf des Polen Miroslaw Patecki, eine Kopie seiner am Rande von Swiebodzin errichteten gigantischen Jesus-Statue, nicht eher zum Lachen? Sollen wir ernsthaft das Institute for Human Activities in den Kongo begleiten, um dort ein Gentrifizierungsprogramm zu verfolgen? Darüber kommen interessante Beiträge wie Lukasz Surowiec’ Pflanzung junger Birken aus der Umgebung von Auschwitz an verschiedenen Orten in Berlin oder die Anfänge der künftigen Ausstellung mit Erinnerungsstücken von Vertriebenen jeglicher Herkunft im Deutschlandhaus leider zu kurz. Sie besitzen eine Strahlkraft und Nachhaltigkeit, die der Ausstellung ansonsten fehlt. Das Beste, was man von der siebten Biennale sagen kann: Sie ist in dem Versuch, die Kunst zu ermächtigen, grandios gescheitert. Damit gibt sie ihr das Wichtigste zurück: ihre Autonomie.

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