Filmfestival in Saarbrücken: Mach, mach, mach!
Auf der Suche nach neuen Wegen: Beim 39. Max Ophüls Preis in Saarbrücken dominieren die zweifelhaften Kinohelden.
Die Männer und der Film: derzeit eine unheilvolle Allianz. Stichwort Weinstein, Stichwort Wedel. Aber nicht nur reale Mannsbilder geben Anlass zu Scham und Sorge, beim 39. Max Ophüls Preis in Saarbrücken konnte einem bange werden angesichts zweifelhafter Leinwandhelden. Zwei der überzeugendsten Wettbewerbsbeiträge beim Festival des jungen deutschsprachigen Films zeigten strauchelnde Männer, hadernd mit den vermeintlich an sie gerichteten Erwartungen. In „Cops“, dem Langfilmdebüt des Österreichers Stefan A. Lukacs, stählt ein Polizist der Wiener Sondereinheit WEGA seinen Körper, versteht physische Kraft als größtes Kapital. Als er bei einem Einsatz einen Mann erschießt, beginnt seine Psyche aufzubegehren. Das Trauma als Zeichen von Schwäche wird in einem System der allgegenwärtigen Stärke zum Problem; für die filmische Verarbeitung dieses Dilemmas und des Reizthemas Polizeigewalt gab es sowohl den „Preis für den gesellschaftlich relevanten Film“ als auch den Publikumspreis.
„Toxische Männlichkeit“ attestierte auch der Schweizer Regisseur Dominik Locher dem Helden seines Films „Goliath“. Als David von seiner Freundin erfährt, dass sie schwanger ist, sich die beiden trotz Zweifeln für das Kind entscheiden, nimmt das Drama seinen Lauf. Die künftige Vaterrolle verunsichert David, auf der Suche nach Halt landet er im Fitnessstudio, dann bei anabolen Steroiden. Die Folge: eine regelrechte Mutation und zunehmende Gereiztheit, die bald in häusliche Gewalt umschlägt.
Wie sein Film-Protagonist ging auch Dominik Locher ins Fitness-Studio
Ein autobiografischer Kern steckt in der Geschichte, denn Dominik Locher begann selbst mit Krafttraining, bevor er Vater wurde. Im Ophüls-Wettbewerb trat er nun gegen seine Frau an, die Regisseurin Lisa Brühlmann. Ihr Drama „Blue My Mind“ zeigt ebenfalls eine radikale körperliche Transformation, hier als originelle und intensiv inszenierte, dabei vom Berlinale-Shooting-Star Luna Wedler eindrucksvoll gespielte Pubertätsmetapher.
„Power-Couple des Schweizer Films“ nannte „Die Zeit“ kürzlich Lisa Brühlmann und Dominik Locher. Dass nun Brühlmann den Preis für die beste Regie mit nach Hause bringt, passt ins Bild eines weiblich dominierten Jahrgangs, in dem Doris Dörrie den Ehrenpreis entgegennahm und die Auszeichnungen für den Schauspielnachwuchs erstmals nicht geschlechterparitätisch verteilt wurden, sondern beide an Frauen (Hauptrolle: Loane Balthasar in „Sarah spielt einen Werwolf“, Nebenrolle: Anna Suk in „Cops“).
Krisenhafte Virilität bot auch das Dokumentarfilmprogramm. „Germania“ führt hinein in den Mikrokosmos einer schlagenden Verbindung. Im Münchner Corps gelten archaische Werte, es werden Lieder über Treue und Ehre geschmettert, Bierkrüge geext. All das wertet Lion Bischof in seinem Film nicht, er beobachtet bloß. Sein Interesse habe mehr dem gegolten, was die Protagonisten im Leben suchen: Zugehörigkeit und den Weg vom Jungen zum „echten Mann“.
Auffallend unpolitisch kam der Spielfilmwettbewerb daher, es überwogen Einzelschicksale. Wie beim Nachwuchsfestival üblich, wurden Tücken des Erwachsenwerdens erzählt, dazu Krankengeschichten. Zudem werden Genrefilme beliebter bei deutschsprachigen Regisseuren, in Saarbrücken erlebten neben dem Polizeidrama „Cops“ ein Mystery-Thriller sowie zwei sehr unterschiedliche zeitgenössische Märchen ihre Uraufführung.
Dass mit Lisa Millers „Landrauschen“ eine vorwiegend von Laiendarstellern getragene Komödie über die Rückkehr einer jungen Frau in ihr bayerisch-schwäbisches Heimatdorf zum großen Gewinner avancierte („Bester Spielfilm“, „Bestes Drehbuch“, „Preis der ökumenischen Jury“), durfte verwundern. Zwar hat die Verquickung von Dokumentarischem und Fiktionalem ihren Charme, der Kontrast zwischen ländlichem Konservatismus und der Liberalität der Jungen seinen Witz, doch kommt der Film holprig daher.
In Zeiten von Streamindiensten werden Filmfestivals immer wichtiger
Festivals wie der Ophüls-Preis werden in Zeiten von Streamingdiensten wieder wichtiger, wegen ihres Eventcharakters. Sie bieten Exklusives, Fragerunden mit Filmcrews nach den Vorstellungen, und werden gut besucht. Der Verdacht liegt nahe, dass nicht das Medium Film an Bedeutung verliert, sondern die Institution Kino. Kaum ein Festival kommt ohne ein öffentliches Streitgespräch zu diesem Thema aus, auch Saarbrücken nicht.
Unter dem Titel „Filmflut im Kino“ diskutierten Filmverleiher, -förderer und Kinobetreiber über Sperrfristen, Vertriebsmodelle, Marketing. Sie richteten einen Appell an Kinobetreiber, ihre Lethargie abzulegen. Das Neuköllner Kino „Wolf“ gilt dabei als positives Beispiel, Geschäftsführerin Verena von Stackelberg berichtete von Vorstellungen für Schulklassen, per Skype zugeschalteten US-Regisseuren und vom angeschlossenen Café.
Auch eine Regisseurin saß auf dem Podium: Tini Tüllmann bringt ihren auf Festivals erfolgreichen Film „Freddy/Eddy“ an diesem Donnerstag mit 14 Kopien auf die große Leinwand. Ohne Verleih, ohne Vertrieb, auf eigene Kosten. Für den Mehrwert sorgt sie selbst, tingelt Kleinstadtkinos ab. „Bescheuert“ nannte ein Diskutant diese Art der Selbstausbeutung halb verständnislos, halb bewundernd. Klar ist: Wenn solch ein Modell zur Regel wird, dürfte die aus Idealismus gespeiste Energie der Filmemacher spätestens nach der zweiten Produktion verbraucht sein.
Umso wichtiger sind Formate, die keine großen Budgets verlangen und so zum Experimentieren einladen. Junge Zielgruppen, Episoden von rund zehn Minuten und erzählerische Freiheiten: Das macht Webserien aus, von denen fünf in Saarbrücken liefen. Auch an deren Macher dürfte Doris Dörries ermunternder Aufruf gerichtet gewesen sein. Als Filmemacher, so Dörrie, brauche man häufiger jemanden, der sagt: „Mach, mach, mach! Probier es aus!“ Kaspar Heinrich
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