Komische Oper: Lustige Witwen
Tolldreiste Komödie: An der Komischen Oper Berlin entdeckt Regisseur Frank Hilbrich „Das bronzene Pferd“ neu, den Hit der Pariser Theatersaison 1835. Die Farce hat auch heute das Zeug zum Publikumsrenner
Traditionell gibt es an der Komischen Oper ja wenig zu lachen. Hier geht es immer um existenzielle Dinge, hier befragt man die Klassiker des Repertoires so intensiv auf Heutigkeit wie kaum sonstwo in der Opernwelt, hier werden die Stücke von den Regisseuren durchleuchtet, analysiert, dechiffriert, in jüngerer Zeit gerne auch mal gehäutet und entbeint.
Ausgerechnet mit einer französischen opéra comique lernt das Musiktheater an der Behrenstraße jetzt wieder das Schmunzeln. Chefdramaturg Werner Hintze hat Daniel François Esprit Aubers „Das bronzene Pferd“ ausgegraben, ein Paradebeispiel jener Gattung, auf die sich Walter Felsenstein bei der Gründung der Komischen Oper berief: „Wir wollen Musik aus der komödiantischen Situation, nicht als Stimulans“, schrieb er 1947, „Gesang als gesteigerte, unentbehrliche Aussage, nicht als Schlager und Einlage.“ Genau das gelingt Frank Hilbrich und seinem Inszenierungsteam jetzt mit dieser Ausgrabung – weil sie der heiteren Farce nicht mit Zynismus begegnen, nicht mit der Besserwisserei der Gesellschaftsdurchschauer, sondern mit größtmöglicher Liebe. Und handwerklichem Perfektionsanspruch.
Genau so ist auch das Original gemacht. Als „Das bronzene Pferd“ 1835 in Paris seine Uraufführung erlebte, waren Auber und sein Librettist Eugène Scribe längst ein eingespieltes Team. 17 Stücke hatten sie bereits zusammen geschaffen, darunter Dauerbrenner-Erfolge wie „Fra Diavolo“ und „Die Stumme von Portici“. Der viel beschäftigte Dichter entwarf das Szenario, in seiner Schreibwerkstatt wurde dann an Situationskomik und Dialogwitz gefeilt – und Auber lieferte seine charmante, eingängige, genuin pariserische Musik dazu. Piccoloflöte und Triangel, Instrumente, die deutsche Komponisten allenfalls am Rande interessieren, werden bei Auber zu Protagonisten, sorgen für das typisch Prizzelige seines Orchesterklangs. Dazu lassen Becken und große Trommel die Champagnerkorken knallen.
Bei der Premiere am Sonntag fängt der Dirigent Maurizio Barbacini mit den glänzend aufgelegten Musikern der Komischen Oper die energetische, animierende Schaumweinstimmung perfekt ein. Chapeau! Gleichzeitig wird so textdeutlich gesungen, wie man es hier schon lange nicht mehr erlebt hat. Und es lohnt sich, die Worte zu verstehen, denn die deutsche Übersetzung von Bettina Bartz und Werner Hintze bewegt sich durchaus auf Augenhöhe mit dem Originallibretto.
Die Geschichte spielt in alter Zeit, in einem chinesischen Dorf – es ist der alte Trick mit der exotischen Camouflage: Natürlich wird hier die Pariser Society der Entstehungszeit parodiert. Der Bauer Tschin-Kao hat seine Tochter Pe-Ki mit dem fetten, alten Mandarin Tsing-Sing verheiratet, aus purer Mitgiftgier. Pe-Ki liebt natürlich den mittellosen Knecht Yan-Ko, der Würdenträger wiederum wird eifersüchtig von seiner vierten Ehefrau Tao-Jin verfolgt. Des Weiteren treten auf: der Sohn des Kaisers von China, eine entführte Mogulprinzessin samt Ehrendame und (allerdings nur hinter der Szene) das titelgebende Bronzepferd, das männliche Reiter auf Wunsch zum Planeten Venus befördert.
Frank Hilbrich inszeniert den tolldreisten Irrsinn mit jenem szenisch-organisatorischen Aufwand und jener Detailversessenheit, die unabdingbar sind, wenn man das rasante Komödientempo drei Stunden lang konstant halten will. Volker Thiele hat ihm eine herrlich geschmacklose Neureichenvilla mit affigem Stuck und protzigen Sesseln in Pseudorokoko gebaut, Gabriele Rupprecht steckt die falschen Chinesen in grellbunte Karnevalskostüme und macht die Choristinnen auf der Venus zu Nacktmodels – durch bodenlange weiße Roben, die vorne mit perfekten Körpern bedruckt sind. Zum Auge, Ohr und Geist erquickenden spectacle aber wird das Amüsement erst durch die Ensembleleistung, durch das kollektive Pointen- Pingpong einer tollen Truppe.
Hemmungslos machen Juri Batukov als trotteliger Landwirt und Tom Erik Lie als Mandarin im ekelhaften fatsuit jeden Buffo-Quatsch mit. In seinem Kurzmäntelchen sieht der bebrillte Sung-Keun Park aus wie ein Diktatorensohn, barmt aber mit schmächtigen Tenor so herzergreifend um die unbekannte Schöne, die ihm allnächtlich im Traum erscheint, dass man ihm das Happy-End schließlich genauso gönnt wie dem jugendlichen Paar Pe-Ki und Yan-Ko (Stephan Boving).
Eine Wucht ist Erika Roos als Gattin Nr. 4, spitzzüngig, von bühnenfüllender Präsenz, koloratursicher sogar im Kopfstand – und die beste Freundin von Gattin Nr. 5, also Pe-Ki, die Annelie Sophie Müller gar lieblich singt und mit volksbühnenhaftem Görentonfall beeindruckend kess spielt. Wie jubeln die beiden, als ihr Gatte – vermeintlich – auf Nimmerwiedersehen den Rücken des Bronzepferds besteigt: die lustigen Witwen von Witzor.
Weitere Aufführungen am 20. und 26. März sowie im April, Mai und Juli.
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