Die Komponistin Sinem Altan: Lust auf neue Klangfarben
Für das Kinder- und Jugend-Musiktheater Atze in Berlin Wedding hat die türkische Komponistin Sinem Altan Erich Kästners Klassiker „Das doppelte Lottchen“ musikalisch bearbeitet. Eine Begegnung vor der Premiere.
Das Lottchen ist gar nicht wirklich doppelt. Die Darstellerinnen im Atze-Musiktheater sind ganz offensichtlich keine Zwillinge, und das ist auch so gewollt von der musikalischen Leiterin Sinem Altan. „Im Film braucht man einen anderen Realismus, da ist es schon wichtig, dass die beiden Schwestern in dieser Verwechslungskomödie Zwillinge sind. Im Theater können wir aber ganz anders arbeiten. Es reicht, wenn wir die beiden Lottchen mit bestimmten Requisiten und natürlich durch die Musik charakterisieren.“ Die Aufführung ist als Familienproduktion gedacht, weniger als reine Schulklassenveranstaltung. Trennung der Eltern, wie kommen die Kinder mit neuen Familienkonzepten klar, wie können sie sich gegen die Zumutungen der Erwachsenen wehren – das war schon die Ausgangssituation in der Atze-Produktion „Spaghettihochzeit“ und ist auch das Hauptthema von „Das doppelte Lottchen“ nach Erich Kästner. Der getrennt lebende Vater ist Dirigent an der Wiener Staatsoper, was Sinem Altan einen willkommenen Anknüpfungspunkt bei der Musikauswahl gibt. „Ich schöpfe immer gerne aus den Möglichkeiten des Ensembles und freue mich über die Entwicklungen, die sich erst auf den Proben ergeben. Ballettmusik und Opernmelodien werden zitiert, damit werden sich die Instrumente Cello, Klavier, Gitarre und Schlagzeug mischen, so dass auch hier die Grenzen zwischen E- und U-Musik nicht mehr gelten. Sehr wichtig wird auch eine Klangebene, die das Unausgesprochene zwischen den Figuren hörbar macht.“
Einen neuen, einen anderen Blick will die türkischstämmige Komponistin auf den Kinderbuchklassiker werfen. Sie kam mit elf Jahren zum Musikstudium nach Berlin und hat ganz direkt erfahren, was es bedeutet, aus einem mediterran geprägten Land in nördliche Breiten verschlagen zu werden. Die Temperaturen sind anders, es riecht anders, die Menschen gehen anders miteinander um. Diese neuen Lebensumstände hat sie nicht als Bedrohung empfunden, sondern als Reibungsflächen für Experimente. Die Lust an neuen Klangfarben lässt sie ausprobieren, wie die Kompositionen von Franz Schubert wohl mit traditionellen türkischen Instrumenten klingen. Dass solche Kombinationen funktionieren können, hat sie nie bezweifelt. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass sie auch funktionieren müssen – hier hilft nur ausprobieren. Beispielsweise mit ihrem Ensemble Olivinn, das die Grenzen zwischen türkischer Volksmusik, Jazz und westlicher Klassik sehr weit zieht. Gerade ist die erste CD fertig geworden, auf der Schuberts „Leiermann“ mit anatolischen Liebesliedern kombiniert wird. „Die Klangfarben treffen zunächst auf meinem Notenpapier aufeinander, dann erst in der Realität. Es gibt ja noch den technischen Prozess, in dem die Einzelteile zusammengefügt werden. In meinem Konzert für Baglama und Orchester habe ich die türkische Laute mit einem Symphonieorchester konfrontiert, da muss man sich schon sehr gut überlegen, wie das funktionieren kann, ohne dass die beiden Teile ihre Wurzeln verleugnen müssen“, sagt die 29-jährige Musikerin. Die Uraufführung fand im vergangenen Jahr mit dem Solisten Özgür Ersoy im Berliner Konzerthaus statt und war auch deshalb ein großer Erfolg, weil der Solist nicht nur sein Instrument virtuos beherrscht, sondern auch immer wieder neue Spielformen ausprobiert. Am Ende muss aber jemand festlegen, was funktioniert und was nicht. Bei aller Liebe zum gemeinsamen Arbeiten scheut die Komponistin Sinem Altan auch die Verantwortung für die Gesamtproduktion nicht: „Die Vorstellung, dass Theater demokratisch wäre, ist vollkommen utopisch. Lieber harte Entscheidungen treffen, als dass alles unförmig vor sich hinfließt. Nur dann kann eine Inszenierung auch für das Publikum funktionieren."
Premiere 29.4., 17 Uhr, weitere Vorstellungen am 30.4. sowie 3., 6., 7., 8., 10, 15., 17. und 31. Mai
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