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Auf dem Weg nach oben: Udo Lindenberg (Jan Bülow) philosophiert mit dem Produzenten Mattheisen (Detlev Buck).
© DCM

Viel Alkohol und reichlich Tränen: „Lindenberg! Mach dein Ding“ zeigt die Lehrjahre das Panikrockers

Udopien für Millionen: Im Biopic „Lindenberg! Mach dein Ding“ spielt Newcomer Jan Bülow den jungen Udo Lindenberg, bevor er berühmt wurde.

Es ist über ein Jahrzehnt her, 2008 war es, um genau zu sein, als Udo Lindenberg mit dem unter anderem mit Jan Delay, Silbermond und Till Brönner eingespielten Album „Stark wie zwei“ sein umjubeltes, supererfolgreiches Comeback hatte.

Seitdem hat man den Eindruck, dass Lindenberg sich auf einer Art „Never Ending Tour“ befindet, dass er noch größer, überlebensgrößer geworden ist, als er es in den siebziger und achtziger Jahren sowieso schon war: nicht nur eine Institution des deutschsprachigen Pop und Rock, sondern eine gesellschaftlich-politische Institution. Eine öffentliche Figur, die gleich nach der ewigen Kanzlerin und dem Bundespräsidenten kommt.

Udo Lindenberg ist auf einer Sonderbriefmarke verewigt, er hat vergangenes Jahr das Bundesverdienstkreuz bekommen, 2014 den Verdienstorden der Stadt Berlin, er hat es zu Musical-Ehren gebracht, er hatte eine Ausstellung im Porsche-Museum, seine Touren mit Konzerten in den größten Hallen und Stadien des Landes sind Jahr für Jahr ausverkauft, eine neue (Auto-)Biografie (die mindestens vierte) stand vergangenes Jahr wochenlang in den Bestsellerlisten.

Und wenn er in Interviews sich für eine „bunte Republik“ einsetzt, ist er das beste Beispiel dafür, wie bunt und tolerant diese Republik zumindest in großen Teilen geworden ist. Was fehlt da noch?

Natürlich ein Film, allerdings kein Dokumentarfilm, den hat es vor ein paar Jahren schon gegeben. Nein, ein Spielfilm, ein Biopic, und zwar nicht über den sattsam bekannten Udo Lindenberg mit seinem ewigen Hut und ewig schwarzem Outfit, ein Film über einen Menschen und Musiker, der inzwischen oft wie eine Karikatur seiner selbst wirkt, wie eine Comicfigur.

Sondern ein Film über den frühen Udo, über seine Kindheit und Jugend, über seine ersten Schritte in die Popwelt, kurzum: über Udo Lindenberg, wie er wurde, was er seit seiner Single „Hoch im Norden“ und dem so durch und durch autobiografischen Album „Alles klar auf der Andrea Doria“ ist.

Newcomer Jan Bülow darf den jungfräulichen Lindenberg mimen

Gedreht hat diesen Film mit dem Titel „Lindenberg! Mach dein Ding“ die Regisseurin Hermine Huntgeburth, die unter anderem mit ihren filmischen Adaptionen von Sven Regners zweiten Lehmann-Roman „Neue Vahr Süd“ oder Fontanes „Effi Briest“ bekannt geworden ist. Lindenberg spielt bei ihr der gerade mal 23 Jahre alte Jan Bülow.

Natürlich hat dieser junge, weitgehend unbekannte Schauspieler den Vorteil, den sozusagen noch jungfräulichen Lindenberg zu mimen, er ist befreit von dessen allzu bekanntem Image. Doch seine Authentizität ist verblüffend.

Schon von Beginn an wirkt es, als sei Bülow nie jemand anderes gewesen als jener junge Mann aus der tiefsten westdeutschen Provinz, der nach Stationen in Düsseldorf als Hotellehrling und im libyschen Tripolis als Aushilfsschlagzeuger einer Jazzband auf einem US-Militärstützpunkt zwar nicht die Welt, aber in Hamburg doch die Bundesrepublik der siebziger Jahre erobert.

Idealer Einstieg in den Film

Huntgeburth lässt Lindenberg in ihrer ersten Szene frustriert durch die Wüste taumeln, mit einer Flasche Whiskey in der Hand. Er ist gerade von den US-Soldaten von der Bühne gepfiffen worden. Als er liegt, rezitiert er immer wieder Zeilen, die er so oft als kleiner Junge auf Zuruf seines Vaters Gustav auf einem Tisch in dessen Stammkneipe aufsagen musste: „Herbstlich färben sich die Blätter /Immer schlechter wird das Wetter“.

Für einen biografischen Film ist das ein idealer Einstieg. Er macht deutlich, dass der Film sich auf mehreren Zeitebenen bewegt; dass es sobald weiter zurückgeht im Leben des Helden, in dessen Kindheit ins Gronau. Huntgeburth blendet vor und zurück, erzählt im Wechsel hier von Lindenbergs Aufwachsen in der westfälischen Kleinstadt und dort von seiner frühen Zeit in Hamburg auf dem Kiez, so lange, bis sich die Erzählstränge nach dem Tripolis-Abenteuer vereinigen.

Udos Kindheit ist eine rührend-beklemmende Milieustudie

Gerade die Kindheitsszenen sind eine rührend-beklemmende Milieustudie: Klein-Udo muss mit seiner Mutter (Julia Jentsch) und den drei Geschwistern nachts aus dem Bett, wenn sein Vater (Charly Hübner) betrunken nach Hause kommt und ein Publikum braucht. Wofür? Er hört Platten mit Aufnahmen von Toscanini und von Webern und dirigiert dazu im Frack und mit zurückgekämmten Haaren. Oder Udo muss seinem Vater die Klempnerschlüssel reichen, während dieser erzählt, dass der Lindenberg-Installationsgroßhandel von Generation zu Generation weitergegeben wird. Aber Udo bekommt vom Vater zum Geburtstag auch sein erstes Schlagzeug.

Huntgeburth zeigt diese Welt in den gedeckten Farben der Zeit, in Braun-, Ockergelb- und Dunkelgrüntönen. Auch wenn manches zum Lachen ist, überwiegt die kleinbürgerliche Tragik. Der gilt es zu entkommen. So wie es in „Daumen im Wind“, einem ganz frühen Lindenberg-Song heißt: „Ich steh’ immer noch an der Autobahn / und träume von der weiten Welt / vielleicht soll ich den Daumen etwas höher heben / denn ich will meine Träume nicht nur träumen / ich will sie auch erleben.“

Also folgt Hamburg, wo es farblich auf dem Kiez nicht so viel anders ausschaut als in Gronau, vielleicht noch schummeriger, zwielichtiger, bei Weitem aber nicht so düster wie in Fatih Akins „Goldenem Handschuh“. Und wo es in Läden wie dem Onkel Pö einigermaßen glamourös zugeht, wo sich Subkultur und Rotlichtmilieu auf Schritt und Tritt begegnen. Aber eben auch der Chef einer großen Plattenfirma (Detlev Buck) nach Stars Ausschau hält.

Filmbiografie mit Albumcharakter

Hermine Huntgeburths Film hat manchmal etwas von einem Familienalbum, das zum Blättern einlädt. Es fehlt die Passage in Ost-Berlin nicht, wohin es Udo des Öfteren wegen einer Frau namens Petra (Saskia Rosendahl) hinzieht, dem berühmten Mädchen aus Ost-Berlin. Auch das Pokern um seine erste Million ist mit dabei. Oder die Rückkehr nach Gronau, bei der Lindenberg am Sarg seines Vaters unter Zuhilfenahme einiger Schnapsfläschchen ein letztes Mal Zwiesprache mit diesem hält.

Doch trotz des Albumcharakters, trotz betont witziger, etwas klamottenhaft wirkender Szenen aus dem Musikbusiness verliert der Film nie seinen Erzählfaden. Wie ein guter Roman konzentriert er sich auf die Entwicklung eines jungen Musikers, der nach vergeblichen Bemühungen auf die Idee kommt, Deutsch zu singen, Rock mit deutschen Texten zu machen, sich von den Nazis, wie es an einer Stelle heißt, die verpönte deutsche Sprache zurückzuerobern und diese popgerecht zu formen und zu zerkauen.

Es war wirklich mal cool, Lindenberg zu hören

Man ahnt, dass es vielleicht wirklich mal cool war, Lindenbergs Rockmusik zu hören. Dass diese Musik etwas hatte, was es vorher noch nie gab, dass sie einen Aufbruch bedeutete, sie gleichermaßen witzig wie revolutionär war. Und man meint auch, in die Psyche des späten Udo zu blicken, dem Kern seines Charakters auf die Spur zu kommen, oft durch Details, die Huntgeburth dezent einflicht, ohne dass sie groß kommentiert werden.

[Der Film startet am Donnerstag in den Kinos.]

Die vielen Lockerungsbiere schon in Lindenbergs Jugend, die Hand seiner Mutter, die diese ihm als kleiner Junge reicht, die er als Erwachsener wieder ergreift, die Gronauer Jugendliebe, die als erwachsene Frau auf dem Weg in dieselbe, nach wie vor rußverschmierte Siedlung ist, aus der sie kommt (und die nie Cello gespielt hat).

Es versteht sich, dass der Film mit Udos Auftritt 1973 in der Musikhalle endet, wo er kaum auf den Beinen stehen kann, stürzt und dann im Liegen „Bei Onkel Pö spielt ’ne Rentnerband seit zwanzig Jahren Dixieland“ anstimmt. Und dass auch die Szene gegen Ende nicht fehlen darf, in der Udo mit einem riesigen Cadillac und haufenweise Banknoten und Champagner auf dem Rücksitz seine Mutter spazieren fährt. Beides gehört zum Repertoire der wohl wahren Lindenberg-Legenden. Und doch obsiegt das Gefühl, Udo Lindenberg noch nie so nahegekommen zu sein, ihn noch einmal in seiner ganzen Unverstelltheit erlebt haben zu dürfen.

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