Barbra Streisand in Berlin: Liebesschwüre mit Streicherbaiser
Hallo Ber-lean! Die amerikanische Diva Barbra Streisand beehrt mit ihren Liedern zum zweiten Mal die Stadt. In der O2-World liegen ihr 12000 zu Füßen.
Respekt, diese Menschen kleben wahrlich nicht an ihren Stühlen. Auch wenn sie im A-Block der 02-World 560 Euro für ihren schnöden Stapelsitz bezahlt haben. Sie stehen, bevor die Diva überhaupt da ist. Sie stehen nach jedem Song, den die Diva singt. Sie stehen und stehen. Sie wollen ihr Ticket nicht absitzen, sondern ablieben. Und haben sich dafür in Schale geworfen, sogar Abendkleider sind zu sehen.
12000 sind Samstagabend in die so gut wie ausverkaufte Arena gekommen, um Barbra Streisands zweites Konzert in Berlin zu erleben. Das erste, 2007 in der Waldbühne, war eine Sensation. Einmal, weil die in Brooklyn geborene Tochter österreichischer Juden bis dato kaum in Europa aufgetreten war. Und weil es zu einem einzigen Triumphzug geriet. Unmöglich, so einen historischen Moment zu toppen.
Das versucht Barbra Streisand auch gar nicht. Als sie nach einer mit der Brooklyn Bridge beginnenden Dia-Show und der Orchester-Ouvertüre zu „Funny Girl“ in funkelnder Goldrobe die Bühne betritt, folgt dem Sentiment sofort Selbstironie. „Hallo Ber-lean!“, steht auf dem Teleprompter, der gut sichtbar an der Decke hängt. Sie freue sich, wieder hier zu sein, spricht auf Englisch weiter und flachst: „Ihr begrüßt mich ja, als hätte ich Eisbein und Sauerkraut erfunden!“
Dass ihre Stimme auch mit 71 immer noch zartschmelzend und kraftvoll, kurz traumschön ist, hat sie ein paar Minuten vorher mit dem Eingangssong „On A Clear Day“ aus dem gleichnamigen, von Vincente Minnelli 1970 verfilmten Musical bewiesen. Zwar fehlen die gläserne Höhe und das Monstervolumen der jungen Jahre, doch das raue Bonnie-Tyler-Timbre, das sich dafür eingestellt hat, steht ihr auch nicht schlecht.
Streisand wird nicht müde, ihre berühmte Nase und den legendären Silberblick auf fleißig projizierten Bühnenfotos und in weich gezeichneten Filmeinspielern ihrer mehr als 50 Jahre umfassenden Karrierejahre zu zeigen. Sie kontert schlagfertig die Liebesschwüre des Publikums und ähnelt in ihrer matronenhaften Huld immer mehr der kernigen jüdischen Mamme, die sie auch in ihrem jüngsten Kinofilm „Unterwegs mit Mum“ spielt. Vor allem liefert sie aber perfektes amerikanisches Old-School-Entertainment. Eine gut geölte Showmaschine, samtig eingeschlagen in Understatement.
Das 60-köpfige Orchester ist so in den Bühnenboden versenkt, dass man gerade noch die Köpfe ahnt. Die dunkle Bühne gehört ganz der Diva, die erst Gold, dann Schwarz und Rot trägt und neben den Ziergeländern, die die Laufstege begrenzen, nur von virtuos gesetzten Spots und Strahlern eingerahmt wird. Ihr Barhocker ist vorne am Bühnenrand platziert. Daneben steht das von einer Assistentin erst mit einem weißen, nach der Pause mit einem roten Rosenstrauß und dem obligatorischen Teeservice eingedeckte Tischchen. Erstaunlich, wie sie es damit fertigbringt, in einer Mehrzweckarena die Illusion eines Clubkonzerts zu erzeugen. So „Nice And Easy“ wie der gleichnamige Song. Ihren Freund, den jede vermeintliche Spontaneität negierenden Teleprompter, erklärt sie gleich im ersten Drittel mit einer alten Geschichte zu ihrem Rettungsanker.
27 Jahre habe sie sich angeblich nach einem Textaussetzer bei ihrem Konzert im Central Park 1968 nicht live vors große Publikum getraut. Erst dieses Gerät ermöglicht ihr das wieder. Der Auftritt in Berlin ist tatsächlich erst der 98. der mit zehn Grammys dekorierten Sängerin, die auch als Schauspielerin alle denkbaren Trophäen gewann, und nach Elvis und vor den Beatles Platz zwei der erfolgreichsten Künstler der Musikgeschichte belegt.
Der Arrangeur gehört gefeuert
Daran haben die sämige Popschnulze „Woman In Love“ und der Discostampfer „Enough Is Enough“ ihren Anteil, die Streisand im Partyteil der Show zum Besten gibt. Die lebt nicht nur von Powerballaden, sondern auch von stillen Standards wie „My Funny Valentine“. Das hat sowohl mit der Ausdauer als auch mit der entspannten Haltung des Altstars zu tun – beides ist traurig und beruhigend zugleich. Die berauschende Maßlosigkeit, der jeden Song der jungen Streisand zum mitunter schwer erträglichen Schauspiel machte, ist weg. Diese Frau singt nicht mehr, als ob es um ihr Leben ginge. Sie hat jetzt einfach eins. Nur im zuckrigen Liebesduett „How Deep Is The Ocean“ mit ihrem Sohn Jason Gould gibt sie noch die überkandidelte Pathos-Queen. Mutters Augenstern ist so geraten, wie sich das für den Spross einer Schwulenikone gehört: ansehnlich, schwul, ihr ergeben und sängerisch talentiert. Seine artig beklatschte Solonummer ist allerdings verzichtbar.
Apropos Schwulenikone. Beim Frage-und-Antwort-Spiel mit dem Publikum, das Streisand auch bei diesem Konzert ihrer fünf Stationen umfassenden Europatour mit der Brille auf der Nase und einem Zettelkasten inszeniert, fragt ein Fan aus Berlin, ob sie auch noch zum schwul-lesbischen Stadtfest ginge. „Nö“, landet Streisand einen Riesenlacher, „ich habe gedacht, ich treffe euch alle hier.“
Aus Südafrika, Polen, New York oder Wien seien die Fragesteller angereist, liest sie vor. Und antwortet auf die unvermeidliche Frage, was ihr zu Berlin einfällt: „Apfelstrudel, Kaiserschmarren und Schnitzel“. Von der kulinarischen Verwirrung ist sie nicht zu heilen, das hat sie schon 2007 erzählt. Anders als damals hält sich die Menschenrechtskämpferin diesmal mit langen Reden oder gar politischen Aussagen zurück. Nur Nelson Mandela und dem Umweltschutz erweist sie ihre Reverenz.
Mehr passt nicht zum Charakter dieses gut, aber nicht glänzend absolvierten Best-of-Programms. Wobei nicht so sehr Gäste wie der Sohn, die Schwester Roslyn Kind, ein Solo-Trompeter und ein Berliner Chor stören – die bringt jeder Altstar mit, um eine zweieinhalbstündige Show zu überstehen. Sondern die Glätte, die in den süßlichen Streicherarrangements wie im Reprisen-Charakter wahrlich großer Nummern steckt, die mal eben mit einer Minute dreißig abgehakt werden. So wie die göttliche Ballade „The Way We Were“ aus dem gleichnamigen Filmmelodram. Da erklingt im Piano- und Streicherintro, auf das Streisand 2013 so herzzerreißend wie 1973 summt, in der 02-World plötzlich ein niedliches Glöckchen. Für diesen Todesstoß gehört der Arrangeur gefeuert.
Sie wisse nicht, ob sie noch einmal die Strapaze einer Tour auf sich nehme, sinniert die allen Applaus dankbar quittierende Diva aus Malibu gegen Ende des mit Stephen Sondheims „Send In The Clowns“ ausklingenden Abends. Andererseits: „It ain’t over till the fat lady sings“ – und so fett sei sie ja noch nicht, zitiert Streisand einen von Wagner-Opern abgeleiteten Spruch. Insofern ist vielleicht doch noch mal ein Streisand-Konzert drin. Gern ohne den Hofstaat, aber mit genau dieser erwachsenen Stimme: Barbra unplugged – das wär’s.
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