"Lover!", Scott und Zelda Fitzgeralds Briefwechsel: Liebeshöllenzauber
Jetzt auf Deutsch: der bewegende Briefwechsel zwischen F. Scott und Zelda Fitzgerald
Sie sind schick, verwegen und trinkfest und im Amerika der Zwanzigerjahre ein legendäres Paar: die Schöne aus den Südstaaten und der Schriftsteller von der Universität in Princeton. Das fängt an mit seinem ersten Roman „Diesseits vom Paradies“. Nach wenigen Stunden ist die erste Auflage vergriffen und der Auftakt zu einer neuen Epoche geschaffen, die er später Jazz Age nennt.
New York liegt den beiden zu Füßen. Zelda badet nachts im Brunnen vor ihrem Hotel, und die Bühnen der Stadt spielen die Szene kurze Zeit später nach. Scotts zweiter Roman „Die Schönen und die Verdammten“ wird ebenfalls ein Triumph. Seitdem gibt es für die beiden kein Halten mehr. Sie wechseln die Wohnorte wie nervöse Autofahrer die Fahrspur: heute Hollywood, morgen Paris und übermorgen ganz woanders. Zusammen mit Freunden legen sie komplette Bars trocken, das Leben scheint eine einzige Party: „Wir sind ja beide ziemlich sensationelle, leuchtend bunte Bilder“, hat sie ihm 1920 geschrieben. Sie reisen mit Personal und verprassen Geld, als könnte es schimmeln, wenn es liegen bleibt. Brauchen sie neues, schreibt er eine seiner immer üppiger honorierten Erzählungen. Ihre Liebe inszenieren sie als Gesamtkunstwerk.
Am Ende der Roaring Twenties nehmen nicht nur die ökonomischen, sondern auch ihre persönlichen Probleme zu: Eifersucht, Krach und nicht zuletzt Konkurrenz, weil auch Zelda sich verstärkt dem Schreiben widmet. Die Rolle als Muse reicht ihr nicht mehr, und ihr Mann empfindet das zeitweise als bedrohlich. Sie flüchtet sich ins Ballett, er zunehmend in den Suff. Ein manisches Tanzen und Trinken beginnt, verschwenderisch und exzessiv wie alles bei den beiden. Im Frühjahr 1930 erleidet Zelda einen ersten Zusammenbruch und wird in eine Klinik in der Nähe von Paris gebracht. Es folgen Halluzinationen, ein Selbstmordversuch und ein weiterer Klinikaufenthalt am Genfer See.
Zu dieser Zeit, im Zeichen von Zusammenbruch und Zerwürfnis, setzt der umfangreiche Briefwechsel zwischen F. Scott und Zelda Fitzgerald ein. Sicher, es haben sich einige Briefe aus der Zeit vor ihrer Hochzeit erhalten, flüchtig hingeworfen mit einer Botschaft: All You Need Is Love. Aber aus der Ära ihrer gemeinsamen Eskapaden kein einziger Brief. Der wäre auch kaum nötig gewesen, waren die beiden doch, wie Scott schreibt, zu jener Zeit „ein einziger Mensch“.
Gefühlsbettler auf Erden
Erst als dieser Mensch in zwei Teile zerbricht, beginnen die Briefe zwischen ihnen. Sie enthalten harte Vorwürfe mit einer langen Abrechnung von jeder Seite, im Jahr 1930. Da ist viel von Krankheit die Rede, von Verausgabung und Erschöpfung, von Minderwertigkeitskomplexen und Selbstsucht, von zu viel Ballett bei ihr und zu viel Alkohol bei ihm. Und davon, wie er immer bewundert werden will und wie er darüber alles andere vernachlässigt. Vernünftigere Paare hätten sich danach scheiden lassen. Zelda hingegen schreibt Scott, „dass Liebe bitter ist und doch alles, was es gibt, und der Rest für die Gefühlsbettler auf Erden“ sei.
Immerhin wird diese Liebe zwei heikle Persönlichkeiten die nächsten zehn Jahre über Wasser halten. Es sind lange Jahre, die Zelda immer wieder in anderen Kliniken und Instituten verbringt, in denen sie bisweilen zum Versuchskaninchen für experimentierwütige Ärzte wird, in denen sie aber trotz allem auch schreibt und malt. Ihre Ästhetik ist einfach und schwierig zugleich: Ausdrücken, was sich dem Ausdruck entzieht, und das ist entschieden sie selbst. Es sind auch lange Jahre für ihn, in denen er immer wieder mit Alkohol, Gesundheits- und Geldproblemen zu kämpfen hat: „Ich ruiniere meine Gesundheit, um Geld zu verdienen + verbrauche dann das Geld, um meine Gesundheit wiederherzustellen.“
Alkohol ist alles
Seine Tuberkulose lässt sich Anfang der Dreißigerjahre nicht mehr leugnen, sein Alkoholismus ebenso wenig. Der Philosoph Gilles Deleuze hat dazu angemerkt: „Was dem Alkoholismus unter all den Ereignissen gleichen Typs exemplarischen Wert gibt, ist die Tatsache, dass der Alkohol zugleich Liebe und Verlust der Liebe, Geld und Verlust des Geldes, Heimat und Verlust der Heimat ist.“
Zwar lebten Scott und Zelda Fitzgerald noch einmal für eineinhalb Jahre in Baltimore zusammen, doch gut geht das nicht. Statt dessen wandert ihre Liebe ins Briefmedium aus. Dort bekommt sie allmählich andere, ernstere Töne. Die sind nicht minder intim, doch klingen sie wie nach einem rauschenden Fest: verkatert. Genau diese Kombination von Rausch und Kater ist ihr gemeinsames Schicksal, ein Schicksal, das sich verblüffend parallel zu den amerikanischen Zeitläuften entwickelt. Dazu hat er beigetragen, verlegt er doch in seinen Erinnerungen sogar den Börsencrash von 1929 eigens auf das Jahr von Zeldas erstem Zusammenbruch. Ihre Zeit ist die der Zwischenkriegszeit, nach dem Ersten und vor dem Zweiten Weltkrieg. Als gäbe es nichts anderes als dieses kurze, gedrängte Fluidum, das zwei Jahrzehnte währt, inklusive Krise und Klimax zur Halbzeit: eine klassische Tragödie, in deren letzten Akten sie das Schreiben von Briefen zum Ritual erheben. Sie zeichnet immer mit „Ergebenst“, er mit „In Liebe“. Es sind Vertraulichkeiten und Verlässlichkeiten in einem zunehmend schwieriger und fremder werdenden Alltag.
Die nun auf Deutsch vorliegende Auswahl ihres Briefwechsels dokumentiert das so minuziös wie eindringlich, ist außerdem mit kundigen Erläuterungen sowie einem gestochenen Nachwort von Hanns Zischler versehen. Lediglich die notwendigen Überbrückungen der brieflosen Zeiten durch die Herausgeber fallen hier und da ein wenig bieder aus. Dennoch vermögen sie nicht das Anrührende dieser Briefe zu übertönen: Wie sich da zwei zusammen sehr weit aus dem Fenster gelehnt haben und sich dann noch – und nur noch – im Fallen gegenseitig Halt geben, das nötigt schamvollen Respekt ab.
Im April 1939 fliegen sie noch einmal gemeinsam nach Kuba. Scott trinkt während der gesamten Reise, so dass sie ihn nach New York zurückbringen muss, wo er umgehend ins Krankenhaus kommt. Es ist das letzte Mal, dass sie sich sehen. Am 21. Dezember 1940 stirbt F. Scott Fitzgerald an einem Herzanfall. Acht Jahre später kommt seine Frau bei einem Brand im Highland Hospital, North Carolina, ums Leben. Zum Schluss war es vor allem eine Liebe in Gedanken. Genützt hat sie beiden. Alt werden kann man damit nicht.
F. Scott und Zelda Fitzgerald: Lover! Briefe. A.d. Englischen v. Dora Winkler. Hg. von J. R. Bryer und Cathy W. Barks. Ausgewählt, erläutert und mit einem Nachwort von Hanns Zischler. DVA, München 2004. 264 Seiten, 19,90 €.
Thomas Wegmann
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