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Das imposante „Così“-Bühnenbild von Uta Gruber-Ballehr.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

"Così fan tutte" an der Komischen Oper: Liebesarien am Arbeitsplatz

Restaurierung und Rokoko: Alvis Hermanis verlegt an der Komischen Oper Berlin Mozarts „Così fan tutte“ in die Werkstatt.

Das Theaterleben plant die wirkungsvollsten Zufälle. Etwa den, dass der lettische Regisseur Alvis Hermanis am selben Abend an zwei Berliner Bühnen präsent ist, und nicht den geringsten. Während in der Schaubühne seine Puschkin-Adaption „Eugen Onegin“ gespielt wird, hat er in der Komischen Oper Premiere mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Così fan tutte“.

Gemeinsam ist beiden Inszenierungen, dass sie aus dem Heute in den historischen Hintergrund der Werke steigen. Zeitfühlig hat der Regisseur aus der „Enzyklopädie des russischen Lebens“ eine atmosphärische Lektion über die dortige Gesellschaft im 19. Jahrhundert gemacht. Ein bezwingendes Duett aus Forschung und Poesie.

In der Mozart-Oper schwankt alles ins Ungewisse, weil es in der Liebe keine Garantie gibt. Mit diesem Inhalt hat Lorenzo da Pontes Libretto eine der abenteuerlichsten Rezeptionsgeschichten hinter sich, die das Theater kennt. Legion sind die Versuche, das Stück durch Bearbeitungen, Verschlimmbesserungen (siehe Bretzners „Weibertreue oder Die Mädchen sind von Flandern“) oder Überstülpen fremder Handlungen von Shakespeare oder Calderón zu „retten“. Die Musikwissenschaft stimmt in demselben Fahrwasser dem Urteil eines „ledernen Textes“ (Hermann Abert) und „Mangel an Originalität“ bei.

Vernünftige Liebe im bürgerlichen Sinn ist das natürlich nicht zu nennen, wenn der weibliche Wankelmut als eines der ältesten Lieblingsthemen der Buffa Experiment einer männerbündlerischen Wette wird und zu eiligem Partnertausch und Scheinehe führt. Wo das Zeitbild von Ehe und Liebe normative Geltung fordert, ist Leidenschaft nicht gefragt. Daher das Verdikt der Frivolität.

Im 20. Jahrhundert wird allmählich erkannt, dass „Così fan tutte“ mehr ist als ein Schwank mit göttlicher Musik, nämlich Auseinandersetzung mit wesentlichen menschlichen Fragen im stilisierten Rahmen des Dramma giocoso. Die entscheidende Wendung geht von der musikalischen Interpretation aus, von Dirigenten wie Richard Strauss und Karl Böhm. Regisseure wie Harry Kupfer und Hans Neuenfels erkennen die Verwirrung der Herzen in der gefährlichen Verkleidungskomödie, besonders das Leiden am Happy End.

Alvis Hermanis geht so weit, von einer „Tragödie“ zu sprechen: „Alle Figuren sind Opfer dieses existentiellen Dramas.“ Es fällt jedoch schwer, seiner Inszenierung an der Komischen Oper solche Tiefe zu glauben. Ausgangspunkt im Hier und Jetzt ist ihm diesmal eine Restaurierungswerkstatt, und in der Bildwelt des Rokoko entdeckt der Regisseur eine Entsprechung zu der Musik Mozarts, nämlich ihrer Sinnlichkeit und Passion. Welche der beiden Liebespaare ursprünglich zusammengehören, wird sogleich klar, während sie sich in weißen Kitteln mit den alten Gemälden und sich selbst beschäftigen. Erotik am Arbeitsplatz.

Das einprägsame Bühnenbild von Uta Gruber-Ballehr, eine großzügige Werkstatt als angenehme Arbeitswelt, hat Raum für viel groß projizierte, weiche alabasterfarbene Haut, Rüschen, Spitzen, Porträts von François Boucher und Jean-Honoré Fragonard (Video: Ineta Sipunova, Licht in sensiblem Wechsel: Diego Leetz).

Es wäre schon vorstellbar, dass sich die Restauratoren in diese ihre Figuren verlieben und versenken. Aber die schöne Laszivität der Bilder weicht eher wiederum einer historisierenden Kostümkunde, deren Hermanis Meister ist (siehe Puschkins Versroman). Da wird bei den Frauen geschnürt und geknüpft und Krinolinenfasson entwickelt.

Man spricht deutsch.

Man spricht deutsch. Ferrando, Bräutigam Dorabellas, schwärmt in alter Manier vom „Odem der Liebe“, Fiordiligi, Braut Guglielmos, steht für die Treue wie „der Felsen“. Als Rokoko-Kavalier indes beginnt Guglielmo, auf Italienisch um die Verlobte des anderen zu werben und mit Dorabella zu duettieren: „Che nuovi diletti“. Fiordiligi jedoch, noch nicht gänzlich umgestimmt, den falschen Liebsten zu erhören, fleht verzweifelt um „Mitleid“ statt „pietà“. Dieses Jonglieren mit den Sprachen ist ein hübscher Einfall und unterstützt dabei die vom Intendanten Barrie Kosky erklärte Absicht, an seinem Haus die Opern häufiger in der Originalsprache aufzuführen zu finden. Die Zeit der Übersetzung ist ideologisch vorbei.

Don Alfonso, der vecchio filosofo, der den Menschenversuch à la Marivaux einfädelt, bleibt unbehelligt von Rüschen und Perücken in seinem Arbeitskittel. Tom Erik Lie singt die Partie mit angenehmer Textdeutlichkeit. Als Kompagnon seines Intrigenspiels hat sich der alte Philosoph die schwangere Putzfrau der Werkstatt vorgenommen, eine Despina mit dem feinen, souveränen Gesang von Mirka Wagner. Steigerungsfähig, aber nicht vokal blühend klingen die Kantilenen in den hohen Stimmen von Nicole Chevalier und Ales Briscein. Im zweiten Stimmpaar mit Theresa Kronthaler und Dominik Köninger hat es der Bariton einfacher, seine Rolle mit Charme auszustatten.

Das Leichte der Musik, das Flehen und Schmeicheln, die schönen Sexten und Terzen, warmes Holzbläserensemble und atemversetzendes Brio – der Zauber der Partitur wird von Henrik Nánási, dem Generalmusikdirektor am Pult, nicht selten nivelliert. Dennoch profiliert sich seine Interpretation mit dem Orchester der Komischen Oper in Klarheit und Präzision.

Das passt zu der Inszenierung, weil sie eher restaurierte Gemälde, Handwerk, historisierende Kostüme im Sinn hat als Menschenbilder und Herzen, die sich selber nicht mehr verstehen. Wer sich verkleidet, wird ein anderer. Maskerade gehört zum Stück, das professionell aufgeführt wird. Was auf der Strecke bleibt, ist seine geheimnisvolle Vieldeutigkeit.

Weitere Vorstellungen am 9. und 15. November sowie 1., 10., 15., und 19. Dezember.

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