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Es liegt an euch, nicht an mir! Peter Gabriel in sehnender Erlöserpose.
© dpa

Peter Gabriel in der Waldbühne: Lieber so als so

Peter Gabriels Berliner Waldbühnenkonzert wird weniger zum Jubiläumsevent für sein legendäres Album "So" als man erwarten konnte. Der Abend zeigt vor allem die Lust des Musikers, seine Hits mit neuem Blick zu betrachten..

„So!“, sagt jemand, der fertig ist und will, dass etwas Neues beginnt. Peter Gabriel macht das auch so: „So ...“, sagt er, in eine Pause hinein. Eben hat er eine längere Ansprache an sein deutsches Publikum gehalten, auf Deutsch und abgelesen von einem Blatt, danach könnte es nun losgehen. Wie ein Ruck geht es durch ihn hindurch, er setzt sich etwas aufrechter an sein Piano. „So ...!“

Ein schönes kleines Wort. Als es 1986 in großen Lettern auf Gabriels fünftem Studioalbum prangte, war es ein Rätsel. Nichts bedeutend. Einfach da. Es füllte eine Leerstelle, von der jeder erst durch das Wort selbst wusste, dass sie leer war. Es war Gabriels größter Pop-Triumph. Das Album sollte mit seinen Hits „Sledgehammer“, „Big Time“, „Don't Give Up“ und „Mercy Street“ die späten achtziger Jahre prägen. Es sollte aber auch einen Anspruch erheben, der seinen Schöpfer langsam verstummen ließ. Nur ein weiteres gutes Album würde ihm gelingen. Obwohl Gabriel praktisch nur noch in seinem Real-World-Refugium in Bath arbeitete.

Daher ist es vielleicht nicht die originellste Idee, das Jubiläum des so phänomenal erfolgreichen Albums zum Anlass für dessen Wiederaufführung zu nehmen. Denn erstens sind Alben eben Alben und Konzerte etwas anderes. Und zweitens ist es nun wirklich egal, ob „So“ nun ein Vierteljahrhundert alt ist oder eben noch älter, was es zweifellos ist. Aber für die Ankündigung, es in Originalbesetzung wiederaufleben zu lassen, muss sich die Mathematik diesmal beugen. Denn es geht auch um einen Freundschaftsdienst.

Wie Neil Young seine besten Momente mit der Band Crazy Horse zelebrierte, und Bruce Springsteen, wenn es wichtig wurde, auf die E-Street Band zurückgriff, weiß Gabriel um die Bedeutung seiner Weggefährten für seine Musik. Bestimmte Songs lassen sich gar nicht aufführen – es sei denn von einem Orchester, wie Gabriel es zwischenzeitlich demonstriert hat –, wenn nicht Tony Levin am Bass steht, Manu Catché trommelt, David Rhodes die Gitarre und David Sancious Synthesizer spielt. Ihr Sinn für Perfektion ist dabei das eine. Gabriel selbst will seine Kompositionen immer wieder neu sehen. Das ist etwas anderes.

Peter Gabriel ist ein souveräner Visualist seiner eigenen Musik. Der Videoclip-Pionier hat das MTV-Zeitalter mit seinen obskur-psychedelischen Bilderwelten geprägt. Als Traumwandler verbindet er die theatralische Sprache der Pantomime mit der des Musicals. Mit seiner „OVO“-Inszenierung im Londoner Millennium Dome verschränkte er das Drama des begabten Kindes eindrucksvoll mit den großen Menschheitsthemen Krieg, Glaube, Unterdrückung und fand darüber den Weg aus seinem Studio ins Rampenlicht zurück. Als am Sonntagabend in der Berliner Waldbühne Gabriels jüngste Tournee zu Ende geht, ist sie deshalb viel weniger Jubiläumsevent, als man meinen könnte. Vor allem der düster-dystopische Mittelteil, in hart flackernde Schwarz-Weiß-Optik getaucht, zeigt Gabriels Lust auf einen neuen Blick.

Dabei folgt er seinem Lebensthema, wenn er mit „Family Snapshot“ die Klage des kleinen Jungen intoniert, der von seinen Eltern mehr Aufmerksamkeit fordert und darüber zum Mörder wird. „I shoot into the light“, die Schlusszeile dieses Songs über einen Attentäter um des Ruhmes willen, wird von Lichtstrahlern über Gabriels Haupt ins Metaphysische überhöht. Dass die Grausamkeiten dieser Welt aus frühkindlichen Zurückweisungen hervorgehen und dass es einer magischen Kraft von oben bedarf, um nicht irre zu werden daran, illustriert Gabriel in seinen Songs in immer neuen Varianten. Unheilvoll grollend verliert die Musik dabei die Zuversicht, die Pop verströmt. Düster und bedrohlich wirkt sie. Und die über die Bühnenleinwand flackernden Bilder lassen die Musiker wie erste Opfer eines Zustands totaler Kontrolle erscheinen.

Das hat Wucht. Dabei geht es Gabriel sogar um Reduktion. Nicht immer gelingt die. Während Gabriel zum Auftakt „Shock The Monkey“ akustisch abrüstet und langweilig macht, gewinnen seine komplexen Songs, indem von ihnen manchmal nur ein charakteristischer Beat, nur ein Riff oder eine melodische Nebenfigur übrig bleibt. Nach diesem Prinzip befreit Gabriel schließlich auch die Songs der „So“-Phase vom Stigma der Überpointierung. „Red Rain“, dieser Angsttraum vom apokalyptischen Ende, ist ein kreiselnder Rhythmus, indifferent auch gegenüber allem, was seit seiner Entstehung nicht passiert ist – der Atomschlag etwa. Ebenso „Mercy Street“, diese wundervolle Ballade, die nun trudelnd und fliehend vom Unglück der Poesie erzählt.

Wenn all das schon zuvor eine sublime politische Botschaft hatte, so wählt Gabriel am Ende die plakative Geste. Beschwört die Flut herauf, auf Deutsch, die alles fortschwemmt, und den Turm, der Menschen frisst. Bis es einer dann richten soll. „Biko“ ist Gabriels pathetische Anti-Apartheids-Geste. Den Song zu spielen, ergibt heute keinen großen Sinn mehr. Aber Peter Gabriel kündigt ihn mit dem Hinweis auf die Segnungen des Smartphones an. Das sei ein Werkzeug der Demokratisierung, das den elenden Tod Steven Bikos in einem südafrikanischen Gefängnis überflüssig machen würde. „It's up to you“, sagt Peter Gabriel und dreht das Mikrofon Richtung Publikum. Es liegt an euch. Und geballte Fäuste recken sich zu Tausenden in den Nachthimmel.

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