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Marc (Hanno Koffler, l.) ist mit seiner schwangeren Freundin gerade erst in die Doppelhaushälfte gezogen. Sein Leben gerät aus den Fugen, als Kay (Max Riemel) in beim Waldlauf zu mehr Tempo anspornt.
© Salzgeber

Psychodrama: Liebe und Lüge

Plötzlich schwul: Stephan Lacant erzählt in seinem Debütfilm „Freier Fall“ von der Beziehung zweier Polizisten, mit Hanno Koffler und Max Riemelt.

Schwule Polizisten: Das klingt gefährlich nach dem „Relevanzkino“, das der Regisseur Dominik Graf vor einem Jahr den deutschen Filmschaffenden vorwarf. Warum mögen wir unsere Filme lieber gut gemeint als gut gemacht, unsere Geschichten lieber wichtig als richtig? Warum nicht einfach einmal eine triviale Liebesgeschichte erzählen?

Diese Befürchtungen kann Stephan Lacants Debütfilm „Freier Fall“, der auf der Berlinale die Reihe Perspektive Deutsches Kino eröffnete, schnell zerstreuen. Trivial genug ist er für Grafs Geschmack vielleicht nicht, gut gemacht ist er allemal. Vor allem legt er seinen Fokus nicht auf Coming-out und Ausgrenzung im Polizeikontext, sondern auf die Liebesgeschichte zweier Männer, die nun einmal Polizisten sind. Kann schon sein, dass es bei der Polizei, wo gemeinsam geduscht wird, homophober zugeht als an anderen Arbeitsplätzen. Doch die Meinung seiner Kollegen ist für Marc (Hanno Koffler) noch das geringste Problem.

Viel gravierender ist, dass er mit seiner hochschwangeren Freundin Bettina (Katharina Schüttler) gerade erst in eine Doppelhaushälfte neben seinen Eltern gezogen ist. Stabile Strukturen für die nächsten Jahrzehnte wurden geschaffen oder, dramaturgisch formuliert: Marc hat sich eine veritable Fallhöhe aufgebaut, von der er nun trefflich stürzen kann. Im freien Fall.

Wie jemand, der den sorgfältig bereiteten Boden unter den Füßen verliert, weiß auch Marc nicht, wie ihm geschieht, als er für seinen Kollegen Kay (Max Riemelt) plötzlich sehr viel mehr empfindet als Sympathie. Das ist der provokative Querkopf, mit dem er sich bei einer Schulung das Zimmer teilt und der gern mal kifft. „Pussy“ sagt Kay zu Marc, aufreizend lächelnd, um ihn beim Waldlauf zu mehr Tempo zu motivieren. Auf einer Lichtung bleiben sie stehen, Kay zündet einen Joint an und bläst Marc den Rauch in den Mund. Sie kommen sich näher, plötzlich berühren sich ihre Lippen. Marc ist entsetzt. „Das war ein Scherz. Mach dich mal locker“, besänftigt ihn Kay. Nein, Pussys sind sie nicht und wollen sie nicht sein. Aber es ist etwas geschehen.

Ein Begehren, das sich weitgehend im Verborgenen Bahn bricht, eine Dynamik aus Anziehung und Abstoßung, aus Widerstand und Nachgeben, Liebe und Lüge, Verlangen und Verzweiflung: Stephan Lacant wagt sich in seinem Debütfilm an einen schwierigen Stoff, weil seine Figuren ihre Befindlichkeiten fast vollständig durch Blicke und beredtes Schweigen ausdrücken. Ein Protagonist wie Marc, der nicht reflektieren oder gar artikulieren kann, was mit ihm eigentlich geschieht, hätte die Geschichte bei einem weniger kompetenten Erzähler zu einem zermürbenden Exerzitium werden lassen. Einen erheblichen Anteil am Gelingen hat das Hauptdarstellerduo, das großartig harmoniert. David Assmann

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