Pop: Warpaints neues Album: Liebe muss tanzbar sein
Königinnen der Düsternis, mit glamourösen Banden und der Vorliebe für Echos und Hall: Das neue Album der kalifornischen Rockband Warpaint.
Die großen Hypes in der Popmusik sind manchmal unergründlich. Im Fall der aus Los Angeles stammenden Rockband Warpaint liegt ein Grund zunächst offen auf der Hand: Die vier Musikerinnen scheinen Gott und die Welt zu kennen, ihre Bandbiografie wimmelt nur so vor prominenten Namen, von den Red Hot Chili Peppers über Vincent Gallo bis hin zu Chris Cunningham und Calvin Klein reicht die Liste. Zu allem Überfluss ist Gitarristin Theresa Wayman mit dem Sänger, Songschreiber und Dubstep-Helden James Blake liiert. Als Warpaint 2010 ihr Debütalbum „The Fool“ veröffentlichten, war das eines der Pop-Ereignisse in diesem Jahr – und Warpaint „the new queens of the underground“, wie der britische „NME“ zuverlässig titelte. Zu so viel Gewese um die Band passte, dass zum Beispiel beim Berliner Warpaint-Konzert viel Pop-Prominenz gesichtet wurde, R.E.M-Sänger Michael Stipe etwa oder Bandmitglieder von The National.
Keine Frage, dass da auch der heute erscheinende Nachfolger zu „The Fool“ lang erwartet wird, von Warpaint zudem prominent lanciert: Einen ersten Vorgeschmack auf das neue, schlicht „Warpaint“ betitelte Album lieferte ein seit dem Herbst vergangenen Jahres zu sehendes Live-Video für die Frühjahrskollektion von Calvin Klein Jeans, mit den ersten Takten des Songs „Love Is To Die“.
Dann aber wird es schon schwieriger. Denn im Vergleich zu diesen glamourösen menschlichen und modischen Banden stellt der Sound von Warpaint das Gegenteil von Promi-Rock oder Glam-Pop dar. Das ist auf dem neuen Album nicht anders als auf dem Debüt oder dem von Ex-Red-Hot-Chili-Peppers-Gitarristen John Frusciante produzierten Mini-Album „Exquisite Corps“.
Warpaint spielen Rockmusik für passionierte Melancholiker. Musik, die mehr zum gepflegten Wegträumen einlädt als zum offensiven Lebenszugriff. Mit Rock haben diese Songs letztendlich auch nur das Instrumentarium gemein: Gitarre, Bass, Schlagzeug, dazu manchmal mehrstimmiger Gesang und das eine oder andere Keyboard. Stringente Dreiminüter gibt es hier nicht – Warpaint öffnen lieber Räume, die voller Echos und Hall sind. Dazu kommt eine Stimmung, die das Online-Popmagazin „Pitchfork“ bei „The Fool“ an Filme wie „Rosemary’s Baby“ oder „The Shining“ erinnerte. Natürlich waren damals noch viel mehr Namen aus der Geschichte der Popmusik im Verweisspiel, zu offensichtlich erinnerten die Songs von Emily Kokal, Theresa Wayman, Stella Mozgawa und Jenny Lee Lindberg an die morbide Musik der Cocteau Twins oder die etwas stämmigere der Breeders, an die Düsternis der Postpunk-Ära von Joy Divison über The Cure bis eben zu den Spinnwebrigkeiten der Bands des englischen Labels 4AD.
Nun durfte man sich nach „The Fool“ schon die Frage stellen, wie anders diese Form von Atmosphären-Pop auf einem neuen Album klingen kann, um wie viel besser? Vielleicht haben sich das Warpaint auch gefragt, weil sie so lange mit neuen Songs auf sich warten ließen. Der offizielle Grund aber ist ein anderer. Sie wollten unbedingt den Briten Mark „Flood“ Ellis als Produzenten haben, einen Mann, der für Bands wie U2, New Order, Depeche Mode oder die Killers gearbeitet hat und es versteht, aus Musik mit depressiver Grundstimmung etwas Hoffnungsfrohes, vielleicht gar Mattglänzendes zu machen: gewissermaßen von „Love Is To Die“ zu „Love is to not die“ und „Love is to dance“, wie Warpaint in diesem Stück singen. Von Bass und Schlagzeug bestimmte Monotonie ist hier Trumpf, und doch schlängeln sich dazwischen viele Sehnsucht verheißende, an The Cure oder The Chameleons erinnernde Gitarrenfiguren, ertönen darüber an- und abschwellende Harmoniegesänge von Emily Kokal und Theresa Wayman.
Die wichtigste Aufgabe von Flood, wie Mark Ellis sich am liebsten nennen lässt, dürfte es gewesen sein, den vier Damen im Studio vor allem ihre manchmal enervierende Gleichförmigkeit ausgetrieben zu haben. Gerade auf der zweiten Hälfte des Albums wird es abwechslungsreich. Da folgt auf das mehr so hingehuscht-verwehte Stück „Teese“ eines mit einem kräftigen, von Jenny Lee Lindbergs Bass angetriebenen Dance-Groove und gar Sprechgesang, „Disco/Very“, und schließlich eines mit einem Tony-Allen-Sample, das zart-jazzig vor sich hinrumpelt. Erst dann folgt wieder ein Stück, das sich nicht groß von den Songs der vorherigen Alben unterscheidet.
Es gibt auch ein paar gezielte Aussetzer und Verspieler, so in dem hinreißenden „Intro“, in dem Schlagzeugerin Stella Mozgawa aus dem Takt kommt und ihr ein „Fuck“ und ein „Sorry“ entfährt, oder auch in „Disco/Very“, das abrupt endet, begleitet von der Frage „One more?“ und einem dann noch hingenuschelten „One later!“ aus dem Off. Das soll Spontaneität suggerieren, ein etwas allgemeineres Verfertigen der Songs beim Spielen, unterstreicht letztendlich aber nur diese ziemlich perfekte Produktion, deren Entstehungsprozess der Videokünstler Chris Cunningham zudem auf Film und Fotos bannte. So viel Schick und so viel Schönheit gab es lange nicht mehr im Ressort Düster-Pop. Gerrit Bartels
„Warpaint“ erscheint bei Rough Trade
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