Lars Eidinger als Georg Trakl: Liebe kann auch Sünde sein
Der Film „Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden“ erzählt das Drama von Georg Trakl. Lars Eidinger spielt den Dichter.
Szenen einer Bilderbuchliebe. Sie treffen sich zu heimlichen Rendezvous, unternehmen Sonntagsausflüge mit dem Fahrrad, tauschen ihre Kleider, lassen sich lachend im Gewitter nassregnen, albern miteinander, küssen sich. Aber keiner darf davon wissen. Denn Inzest ist ein Tabu. Heute immer noch und erst recht im Kaiserreich Österreich-Ungarn des Jahres 1909. „Glaubst du, dass es eine Sünde ist?“, fragt sie. Er entgegnet cool: „Das ist mir egal.“ Der Film „Tabu – Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden“ ist ein Liebesdrama, das schnell in die Schlüpfrigkeit einer Telenovela rutschen könnte.
Den österreichischen Dichter Georg Trakl verband eine enge Beziehung mit seiner vier Jahre jüngeren Schwester Grete. Er ließ sie in vielen Texten als Figur auftauchen, nannte sie „meinen geliebten kleinen Dämon“ und schrieb ein Gedicht mit dem Titel „Blutschuld“, in dem er die Jungfrau Maria um Verzeihung bittet. Wofür? Für eine inzestuöse Beziehung? Die Aussagen von Zeitzeugen widersprechen einander. Trakls Förderer Ludwig von Ficker konstatierte später, der Schriftsteller habe in der „Beziehung zum eigenen Blut“ seine „Selbstvernichtung“ gesucht, der Jugendfreund Erhard Buschbeck sprach hingegen von einer „Gedankensünde, die niemals in die Realität herübergegriffen hat“.
Salopp statt pathetisch
Derlei Zweifel haben Drehbuchautorin Ursula Mauder und Regisseur Christoph Stark beiseitegeschoben. Sie erzählen von einer Leidenschaft, die ins Verderben führen muss. Dabei sind die Übergänge zwischen Leben und Literatur fließend. Lars Eidinger spielt Trakl als fiebrig-fahrigen Sinnsucher, der der Wirklichkeit – ein ödes Pharmaziestudium, Konflikte mit der kaltherzigen Mutter, Depressionen – mit Alkohol, Kokain und Schreiben zu entkommen trachtet. Das ist nahe am Klischee vom unverstandenen Genie, dem Eidinger entgeht, indem er Pathos durch Saloppheit ersetzt. Expressionistische O-Mensch-Verzweiflung weht durch die Verse, die immer wieder als Rezitation über die Bilder gelegt sind. Aber Eidinger spricht sie im nüchternen Duktus eines Nachrichtensprechers: „Über den weißen Weiher / Sind die wilden Vögel fortgezogen. / Am Abend weht von unseren Sternen ein eisiger Wind. / Über unsere Gräber / Beugt sich die zerbrochene Stirne der Nacht / Unter Eichen schaukeln wir auf einem silbernen Kahn.“
Peri Baumeister, eine Kino-Entdeckung, ist Grete. Sie reist Trakl aus Salzburg nach Wien hinterher, beginnt ein Musikstudium, heiratet ihren Professor, den Rainer Bock als duldsamen Vaterersatz darstellt, und wird schwanger vom Bruder. Grete ist in dieser Liebe die treibende Kraft, Georg zögert und zaudert. Nicht mehr „zwei Halbe“ wollen die Geschwister sein, sondern „ein Ganzes“. Ihr Glück finden sie nicht.
Regisseur Christoph Stark war im Jahr 2000 mit seinem Kinofilm „Julietta“ aufgefallen, der Kleists „Marquise von O.“ auf die Love Parade versetzte. Auch in „Tabu“ nimmt er sich Freiheiten beim Umgang mit einer überlieferten Geschichte und trifft trotzdem den richtigen Ton. Anfangs ist der Film selbst purer Expressionismus. Im Zickzack umkurvt die Kamera die Figuren auf einem Bahnhof und bei einem Fest im elterlichen Salon. Später beruhigt sich das Seelendrama zum Kammerspiel. Georg und Gretel taumeln dem Ende entgegen und wirken dabei sehr heutig. „Alle Straßen münden in schwarze Verwesung“, schreibt Trakl in seinem letzten Gedicht „Grodek“. Er ist erst 27 Jahre alt, als er im November 1914 in einem Militärspital an einer Überdosis Kokain stirbt. Die Schwester erschießt sich 1917.
Ab 31. Mai in den Berliner Kinos Capitol, Cinema Paris, Hackesche Höfe und Kulturbrauerei.
Christian Schröder
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