Das Berliner Staatsballett mit "Romeo und Julia": Lichtgestalt in der Finsternis
Abschied vom Berliner Staatsballett nach vier mageren Jahren: Nacho Duato choreografiert „Romeo und Julia“ – mit einer überragenden Polina Semionova.
Den Balkon muss man sich hinzudenken, wie auch den Kuss. Wenn sich in Nacho Duatos Version von Prokofjews Ballettklassiker „Romeo und Julia“ die Sprösslinge zweier verfeindeter Familien ihre Liebe gestehen, öffnen sich in der schwarzen Rückwand zwei blau leuchtende Rechtecke. Das grafisch abstrakte Bühnenbild, das Jaffar Chalabi entworfen hat, mutet doch recht trist an. Dass die Szene doch noch einen gewissen Zauber entfaltet, liegt an Polina Semionova und Gastsolist Ivan Zaytsev. Die beiden haben das unsterbliche Liebespaar schon am Mikhailovsky Theater in St. Petersburg interpretiert und geben auch an der Berliner Staatsoper ein schönes Paar ab.
Vor allem Polina Semionova, Gastsolistin beim Staatsballett und jüngste Berliner Kammertänzerin, ist einfach unwiderstehlich. Mit einer wunderbaren Natürlichkeit verkörpert die 33-Jährige die Julia, die bei ihr mehr ist als nur ein verknallter Backfisch. Semionova zeigt eine junge Frau, die um ihre Selbstbestimmung ringt, die ihr Glück nicht dem elterlichen Kalkül opfern will. Wie sie ihre überragende Tanztechnik mit darstellerischem Können verknüpft, ist fantastisch.
Polina Semionova ist der Trumpf in dieser durchwachsenen Inszenierung. Nacho Duato hat „Romeo und Julia“ 1998 für die Compañía Nacional de Danza in Madrid kreiert. Für das Mikhailovsky Theater hat er die Choreografie 2012 erweitert. Der Import aus St. Petersburg ist die letzte abendfüllende Produktion des scheidenden Staatsballett-Intendanten in Berlin. Sieben Mal wird die Aufführung in wechselnden Besetzungen gespielt, danach verschwindet sie wieder vom Spielplan. Nicht nur der Ballettchef, der Berlin auf eigenen Wunsch schon in diesem Sommer verlässt, wirkt seit einiger Zeit fast schon wie ein Phantom, auch das Staatsballett war monatelang aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden.
Aufbegehren und Verzückung
Duato erzählt den Ballettklassiker mit moderner Bewegungssprache, die sich auch Elemente des klassischen Tanzes einverleibt hat. Doch er versucht immerhin, eine eigene Lesart zu entwickeln, auch wenn nicht alles stimmig wirkt. Polina Semionova tobt anfangs wie ein Wildfang im flatternden Nachthemd über die Bühne. Was Duato dann zeigt, ist eine Art weiblicher Dressur. Wenn Julia dem blässlichen Paris versprochen wird, sträubt und wehrt Semionova sich mit aller Kraft gegen die Zwangsheirat. Aufbegehren weicht der Verzückung, wenn sie Romeo begegnet, und später der Verzweiflung. Der erste große Pas de deux der Liebenden ist ein Auf und Ab, Julia wird in einer Serie von Hebefiguren emporgewirbelt und herumgeschleudert. Doch Duato trumpft hier zu sehr mit der Technik auf, was auf Kosten des emotionalen Ausdrucks geht. Bei den Männern überzeugt vor allem Arshak Ghalumyan als draufgängerischer Mercutio. Auch Alexej Orlenco und Aurora Dickie als Lord und Lady Capulet haben starke Szenen. Er als wütender Patriarch, der wegen des Ungehorsams der Tochter ausrastet, sie als klagende Mutter in der Begräbnisszene.
„Romeo und Julia“ besitzt durchaus bewegende Momente, das muss man anerkennen. Doch die Choreografie bietet auch viel Floskelhaftes und Bewegungen, die nicht aus der Musik Prokofjews entwickelt sind. Die Marktszenen, in denen die Adelssprösslinge sich unters Volk mischen, haben etwas Burleskes, treiben aber die Handlung nicht voran. Und auch die Kampfszenen sind langatmig geraten. Manchmal wirkt der moderne Tanzstil Duatos ein wenig antiquiert. Zudem übertreibt er es mit der Symbolik. Wenn etwa das „Gift“ von zwei knapp bekleideten jungen Männern verkörpert wird, die die zögernde Julia bedrängen, ist das unfreiwillig komisch. Gleich mehrere Szenen sind in tiefe Dunkelheit getaucht, was wohl die tragische Weltsicht unterstreichen soll. Das lädt eher zum Wegdämmern ein, wäre da nicht die Lichtgestalt Julia.
Als Leiter schien Duato kaum Ambitionen zu haben
Am 24. Mai folgt noch der dreiteilige Ballettabend „Doda – Goecke – Duato“, zu dem Duato mit „Por vos muero“ eine ältere Arbeit von 1996 beisteuert. Seine Bilanz nach vier Spielzeiten fällt äußerst mager aus. Der Spanier kam ohne Vision nach Berlin und ist nie wirklich angekommen in der Stadt. Als Chefchoreograf und Ballettdirektor ließ er seit 2014 von Anfang an jeden kreativen Drive vermissen und schien auch als Leiter kaum Ambitionen zu haben. Vier Jahre lang hat er sich durchgewurstelt und vor allem seine älteren Arbeiten aufgewärmt. Die wenigen Neukreationen sind allesamt durchgefallen, zuletzt das Öko-Ballett „Erde“ im letzten Jahr. Bis zum Abwinken wurden Duatos Werke getanzt, doch ein erkennbares Profil hat er dem Staatsballett nicht gegeben. Die größte deutsche Ballettcompagnie hat sich mittlerweile in die Bedeutungslosigkeit verabschiedet.
Duato war ähnlich umstritten wie Chris Dercon an der Volksbühne. Die Parallele drängt sich auf, an beiden Debakeln trägt die Politik die Mitschuld – im Fall von Nacho Duato Klaus Wowereit und Kulturstaatssekretär André Schmitz; aber auch Christiane Theobald, die stellvertretende Intendantin des Staatsballetts, hat die Fäden gezogen.
Völlig in die Apathie versunken sind die Tänzer des Staatsballetts Berlin aber noch nicht, wie die Premiere von „Romeo und Julia“ zeigte. Es bleibt zu hoffen, dass die neue Doppelspitze Sasha Waltz und Johannes Öhman das Trauerspiel beenden wird. Waltz wechselt 2019 ans Staatsballett, Öhman übernimmt schon ab der Spielzeit 2018/19. Mit Daniil Simkin vom American Ballet Theatre holt er einen Ballettstar nach Berlin und auch weitere vielversprechende Talente. Wie man hört, hat er auch schon mit Polina Semionova gesprochen: Sie wird weiterhin als Gast mit dem Staatsballett Berlin tanzen. Die Werke von Nacho Duato aber werden vom Spielplan verschwinden.
wieder am 5., 13. und 26. Mai sowie am 12., 20. und 23. Juni, Berliner Staatsoper, alle Vorstellungen sind ausverkauft.
Sandra Luzina
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