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Liao Yiwu.
© REUTERS

Chinesischer Schriftsteller: Liao Yiwu erhält Friedenspreis

Der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu nimmt den Friedenspreis entgegen - und verbindet das mit einem tödlichen Wunsch für sein Heimatland.

Wie könnte man sich nicht demütig vor ihm verneigen: vor seiner Würde, die er sich auch in den Jahren der schlimmsten Entwürdigung nicht nehmen ließ. Vor seiner Kunst, mit der er andere mit einem Nachbeben dessen zu erschüttern vermag, womit man ihn durch Haft und Folter bis in den letzten Winkel seiner Seele erschütterte. Und vor der Kompromisslosigkeit, mit der er den Versuch, ihn zu brechen, nun in der Frankfurter Paulskirche bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels beantwortete: „Dieses Imperium muss auseinanderbrechen.“

Angetreten, „die Nachricht vom Tode des chinesischen Großreichs“ zu überbringen, wiederholte Liao Yiwu diesen in brüchigem Deutsch vorgetragenen Satz im Verlauf seiner Rede insgesamt sechs Mal: „Ein Land, das kleine Kinder massakriert, muss auseinanderbrechen – das entspricht der chinesischen Tradition.“

Das Pathos dieses Schriftstellers hängt an einem Pathos der Tatsachen. Es kann sich überdies, wie Felicitas von Lovenberg in ihrer treffenden Laudatio zeigte, auf ein erzählerisches Talent berufen, das eben nicht nur von Idealismus getragen wird, wie Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins, insinuierte, indem er den Deutschen Buchpreis zu einer Art Gegenveranstaltung erklärte, bei der es vor allem um den literarischen Rang gehe.

Wie viel die europäische Öffentlichkeit allerdings von dem versteht, was Liao Yiwu in seiner Dankesrede jenseits ihrer appellativen Botschaft meinte, ist schwer auszumachen. Es bedarf vielleicht stärker einer kulturellen Übersetzung, als es die rituelle, universalistisch anmutende menschliche und politische Einheit einer solchen Feierstunde suggeriert.

Es ist leicht, sich in westlichen Medien einen Eindruck von der kriminellen Energie des gegenwärtigen chinesischen Regimes zu verschaffen. Wo aber die Wurzeln dieser Unmoral liegen, gehört ins Reich einer komplexen historischen und philosophischen Ursachenforschung.

Liao Yiwus Schlüsselerlebnis wird für immer das Massaker auf dem Tiananmenplatz bleiben. Um diesen Unrechtsmoment kreiste auch in seiner Rede alles: das Verbrecherische von Mao Zedong, das Menschenverachtende eines kommunistisch auftretenden Profitmaximierungsunternehmens – und die Erinnerung an ein goldenes Zeitalter mit Denkern, die ihren Staatslenkern noch etwas zu sagen hatten: Konfuzius, Laozi und Zhuangzi.

Wenn man den Buddhismus, dem Liao Yiwu ebenfalls große Sympathien entgegenbringt, als dritte große chinesische Lehre neben Konfuzianismus und Daoismus hinzunimmt, betritt man indes ein Spannungsfeld, das den „Willen des Himmels“ – mit anderen Worten: „die Wahrheit für die zukünftigen Generationen“ – nicht problemlos bewahrt. Die Berufung auf Konfuzius ist ohne die vielfältigen Spielarten des Konfuzianismus und deren untertanenförderlichen Geist nicht zu haben.

Die Schriften von Zhuangzi atmen eine anarchische Spiritualität, die sich kaum in gesellschaftlich tragfähige Verhaltensregeln umsetzen lässt. Und mit dem Buddhismus verbindet sich der Kampfplatz Tibet. Ob sich aus all dem noch einmal ein zeitgemäßer geistiger Überbau zimmern lässt?

Fragwürdig auch, wie wenig Liao Yiwu Ideologisches, ökonomische Gier, staatliche Machterhaltung sowie Herzlosigkeit im Alltag unterscheiden wollte. Eines mag zum anderen führen, doch seine Folterschergen handelten aus anderen Motiven als die 18 Personen, die 2011 in der Provinz Guangdong achtlos an einem Bündel Mensch vorübergingen, das auf der Straße überfahren worden war und blutüberströmt liegenblieb, bis eine Müllsammlerin es nur noch zum Sterben ins Krankenhaus bringen konnte: Es war ein zweijähriges Mädchen.

Alles mögen Indizien einer Verrohung sein, aber sie lassen sich so wenig auf der Skala einer einheitlichen Moraltheorie verankern, wie aus der kasuistischen Diskussion einzelner Fälle eine solche erwächst. Schriftsteller tun am besten daran, sie erst einmal zusammenzutragen.

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