Belletristik und Sachbuch: Leipziger Buchpreise für Anke Stelling und Harald Jähner
Überraschung: Der Leipziger Buchpreis in der Kategorie Belletristik geht an Anke Stelling. Die Auszeichnung fürs beste Sachbuch bekommt Harald Jähner.
Es ist Jahr für Jahr ein erstaunliches Phänomen: Am ersten Tag der Leipziger Buchmesse konzentriert sich irgendwann alles auf den Nachmittag, den Zeitpunkt, da der Preis der Leipziger Buchmesse vergeben wird. Erstaunlich ist das zum einen deshalb, weil der Wettbewerbscharakter solcher Preisverleihungen seinen Reiz anscheinend nie verliert, jeweils fünf Bücher sind in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung nominiert, und nur eins wird ausgezeichnet. Zum anderen hat sich mit den Jahren herausgestellt, dass hier nur selten die ganz großen Bücher der Saison oder Titel, die alle anderen Bücher weit überragen, nominiert sind oder die Preise bekommen, sondern ordentliche Sachbücher mit einem natürlich speziellen Stoff - und in der Belletristik genauso ordentliche Titel aus dem Bereich der Geht-in-Ordnung-Literatur. „Letztlich hat den Preis jeder verdient“, so heißt in schöner Regelmäßigkeit, so sagt es an diesem sonnenüberfluteten Donnerstagnachmittag auch der Buchmessendirektor Oliver Zille bei seiner Begrüßung, so sagen es alle, die die Nominierten vorstellen oder die Preisträgerinnen benennen.
Übersetzerpreis für Eva Ruth Wenne
Bei den Übersetzungen verhält sich das anders, hier sind oft Klassiker dabei, junge Klassiker. Oder Bücher, die gerade die deutschsprachige Frühjahrsproduktion sehr blass und unterkomplex aussehen lassen. So wie in diesem Jahr, da der Preis zum 15. Mal vergeben wird, Gabriela Adamesteanus großartig proustisch-und-Ullysses-hafter Roman „Verlorener Morgen“ (Die Andere Bibliothek), der bald ein Klassiker sein dürfte. Für dessen Übersetzung bekam Eva Ruth Wenne dieses Jahr den Preis verliehen. Nominiert waren auch Liviu Rebreanus bereits lange als Klassiker der rumänischen Literatur geltender und von Georg Aescht übertragener Roman „Der Wald der Gehenkten“ und György Dragománs Erzählungen „Löwenchor“, die Timea Tankó aus dem Ungarischen übersetzt hat.
Es ist der vielleicht ehrenvollste Preis, dieser für die Übersetzungen - und doch steht er immer am Anfang dieser Verleihung, kennt kaum jemand die Übersetzer und Übersetzerinnen. Weshalb er am Ende, da der Belletristik-Preis bejubelt wird, schon fast wieder vergessen wird. Auch wenn eine Übersetzerin in dem kleinen Einspielfilmchen zu Beginn der Verleihung davon spricht, dass „man sich nicht mit dem Schattendasein abfinden“ müsse, die Namen der Übersetzerinnen oft mit auf dem Cover genannt würden. Ob es Adamesteanus viergliedriger, 1983 veröffentlichter großer Bukarest-unter-der-Zeit-Ceaucescu-Roman nun auf die Bestsellerlisten schafft?
Panik im Prenzlauer Berg
So wie zumindest für ein paar Wochen bestimmt Anke Stelling mit ihrem Roman „Schäfchen im Trockenen“, der ein wenig überraschend sich gegen die zum Teil zuletzt übertrieben hymnenhaft besprochenen Romane von Matthias Nawrat oder Kenan Cusanit durchsetzen konnte. In „Schäfchen im Trockenen“, der im kleinen Berliner Verbrecher-Verlag erschienen ist, erzählt eine Prenzlauer-Berg-Mutter in Form einer lose an Thomas Bernhard erinnernden Suada ihren Kindern von der Erfahrung, plötzlich auch in einem neubürgerlichen Wohnviertel mit Klassenunterschieden konfrontiert zu werden: „Jedenfalls saß ich da und dachte über diese Mutter nach, die ihre Armut vor der Tochter verbirgt, und mir fiel auf, dass ich sie selbst war, also schrieb ich ein Exposé über eine Frau, die bekloppt Do it Yourself betreibt, damit ihre Tochter alles hat, was sie sich wünscht….“
Rückkehr in die Trümmerzeit
Bei den Sachbüchern schließlich setzte sich der Berliner Journalist Harald Jähner mit „Wolfszeit“ (Rowohlt Berlin) durch, einem Buch über die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, von den Jahren 1945 bis 1955, über die unübersichtlichen Verhältnisse jener Zeit. Jähner erzählt facettenreich, anschaulich und begriffsstark von der regen Geschäftigkeit, mit der sich die Deutschen an den Wiederaufbau machten - und er hält bei seiner Danksagung die vielleicht originellste Widmung seit langem bereit. Die nämlich, so sagt er, ginge an den Mann auf dem Cover, der nur von hinten zu sehen ist und durch eine Trümmerlandschaft läuft. Den habe er, so Jähner, drei Jahre lang beim Schreiben als Foto vor der Nase gehabt, den habe er praktisch jeden Morgen erst einmal gegrüßt, bevor er an die Arbeit gegangen sei.