Philharmoniker: Leif Ove Andsnes: Der Wellenreiter
Leif Ove Andsnes ist in dieser Saison Pianist-in-residence bei den Philharmonikern. Wer so spielt, braucht auch keine Angst vor den hysterischen Abstürzen und Krisen zu haben, von denen gerade die großen der Einzelkämpferzunft Pianist so oft geschüttelt werden.
Vielleicht ist an allem die Insel schuld. Dieses Karmoy vor der Küste Norwegens zwischen Bergen und Stavanger, die Heimat von Leif Ove Andsnes. Wer auf so einer einsamen Insel aufwächst, lernt vieles, was der Musik guttut: Zuhören zum Beispiel. Oder auch keine Angst vor der Stille zu haben. Man spürt in Andsnes’ Klavierspiel diese Natürlichkeit im Umgang mit Klängen. In den Lyrischen Stücken seines Landsmanns Edvard Grieg zum Beispiel oder den Miniaturen Leos Janámeks und György Kurtags, – all jener Musik, die augenblicklich entlarvt, wenn ein Interpret sich nur an den Noten festklammert, statt ihnen nachzuhorchen in die Stille hinein. Oder bei einem virtuosen Achttausender wie Rachmaninows drittem Klavierkonzert, das Andsnes gerade auf CD (EMI) vorgelegt hat. Wo andere mit Tastendonner und Geschwindigkeit blenden, klingt der Reißer unter seinen Fingern geradezu spielerisch, treten im aufgelichteten Klaviersatz versonnene, nie sentimental überfrachtete Dialogpassagen zwischen rechter und linker Hand hervor. Mit solch lakonischer Feinfühligkeit hat dieses Konzert seit Rachmaninow selbst wohl niemand mehr gespielt.
Der organische Atem – immer wieder taucht diese Wendung auf, wenn Leif Ove Andsnes über Musik spricht. Kein Wunder, dass er seit jeher viel Kammermusik gemacht hat, wo der gemeinsame Puls die Hauptsache ist, dass er auch eng mit einem Sänger wie dem englischen Tenor Ian Bostridge zusammengearbeitet hat. Auch bei den Programmen, die er in dieser Saison als Pianist-in-residence bei den Philharmonikern gestaltet hat, steht die Suche nach einem harmonischen Miteinander im Vordergrund – für das kommende Konzert hat er sich mit dem kanadischen Pianisten Marc-Andre-Hamelin sogar einen potenziellen Konkurrenten eingeladen. Eigentlich, sagt er, habe er diese Grundlinie der Musik schon immer gesucht, die ganzen mittlerweile 23 Jahre seiner Pianistenexistenz hindurch. „Es kann gut sein, dass diese Suche damit zu tun hat, wie ich aufgewachsen bin, mit dem Wind und der See,“ sinniert er, „es war immer unvorstellbar für mich, dass ein Komponist wie Schubert nie das Meer gesehen hat.“
Auch die Gewalt von Wind und Meer hat ihren eigenen Klang, den man bei Andsnes hört: Wenn er etwa die Musik der Romantiker spielt, sind das keine Aufschreie einsamer Seelen. Stattdessen besitzen Fortissimo-Ausbrüche bei ihm eine organische Kraft, sind ebenso Teil des Ganzen wie die Stille. Sofort kommt einem da das Schlussbild des Films in den Kopf, den er im letzten Jahr mit dem südafrikanischen Künstler Robin Rhode über Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“ gedreht hat: Wie der Konzertflügel im Trockendock langsam von den Nordseewellen überspült wird, während Andsnes das „Große Tor von Kiew“ spielt.
Wer so spielt, braucht auch keine Angst vor den hysterischen Abstürzen und Krisen zu haben, von denen gerade die großen der Einzelkämpferzunft Pianist so oft geschüttelt werden, sondern kann darauf vertrauen, so natürlich zu wachsen wie ein Baum. Früher, erläutert Andsnes, habe er sich immer für einen Langsamlerner gehalten: Das spontane Einspringen sei nie seine Sache gewesen, stattdessen habe er immer möglichst tief in die Musik eindringen wollen, sich statt kursorischer Gesamtaufnahmen auf wenige, ihm am Herzen liegende Stücke beschränkt. „In der Rückschau bin ich allerdings überrascht, wie viel da doch zusammengekommen ist: von Mozart und Haydn über Schubert und Schumann bis zu Rachmaninow – so langsam bin ich also offenbar doch nicht.“
Andsnes ist ein Musiker, der warten kann, bis Dinge reif geworden sind – auch das gehört zum Bild des organischen Wachsens dazu. Gerade ist er 40 geworden und hat noch einmal überdacht, was er im Leben erreichen will. „Auch wenn das eigentlich Unsinn ist: Irgendwann wachte ich auf und wusste, dass ich nicht mehr unendlich Zeit habe. Dass es jetzt darauf ankommt, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die einem am wichtigsten sind. “ Die Leitung seines Kammermusikfestivals im norwegischen Risör hat er abgegeben, weniger Konzerte will er geben, um mehr bei seiner kleinen Tochter sein zu können, und vor allem will er sich Komponisten vornehmen, um die er bislang eher einen Bogen gemacht hat: Debussy, Chopin und Beethoven. Den langen Atem dafür hat er jedenfalls.
Am heutigen Sonntag um 20 Uhr spielt Leif Ove Andsnes im Kammermusiksaal zusammen mit Marc-André Hamelin vierhändige Werke von Debussy, Strawinsky und Schnittke.
Jörg Königsdorf
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