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Dahingelümmelt. Der New Yorker Musiker Thurston Moore, 54
© promo

Thurston Moores Auftritt in Berlin: Leid, Leben, Lärm

Feiner Noise-Rock, wie zu besten und seligsten Sonic-Youth-Zeiten: Thurston Moores Konzert im Berliner Lido. Sein neues Album erscheint im Oktober.

Es ist inzwischen gut drei Jahre her, dass sich Thurston Moore und Kim Gordon nach einer 27 Jahre währenden Ehe getrennt und damit auch ihre Band Sonic Youth aufgelöst haben. In der Regel brauchen Musiker eine Zeitspanne von zwei, drei Jahren, um sich nach so einem Bandsplit (Sonic Youth gab es über 30 Jahre) wieder zu sammeln, neue Projekte anzugehen, ein erstes Soloalbum zu veröffentlichen. Bei Thurston Moore allerdings hat man umgekehrt den Eindruck, als fühle er sich geradezu befreit, so viele unterschiedliche musikalische Äußerungen gab es von ihm in den vergangenen Jahren. Ein akustisch orientiertes, mit vielen Streichern ausgestattetes Soloalbum veröffentlichte Moore schon mitten während der Trennungsphase, es folgte eine seltsame Zusammenarbeit zwischen ihm, seiner Ex-Frau und Yoko Ono; und im vergangenen Jahr gründete er eine Band mit jüngeren Musikern, Chelsea Light Moving, mit denen er ein wieder lärmigeres, dissonantes, oft nerviges, nicht ganz zu Ende gedachtes Rockalbum einspielte.

Als der 54 Jahre alte New Yorker nun an diesem Sonntagabend im Berliner Lido auftritt, scheinen auch Chelsea Light Moving schon wieder Moore-Geschichte zu sein. Am Schlagzeug sitzt der alte Sonic-Youth-Kumpel Steve Shelley und Moore zur Seite stehen der aus England stammende Gitarrist James Sedwards und die My-Bloody-Valentine-Bassspielerin Deb Googe; eine Band, mit der Moore auch sein Ende Oktober beim Matador-Label erscheinendes neues Solo-Album „The Best Day“ aufgenommen hat. Auf diesem wird, daran lässt der Auftritt im Lido keinen Zweifel, wieder strukturierter, unruppiger Noise-Rock zu hören sein, Songs wie man sie von Sonic-Youth-Alben wie „Murray Street“ oder „Rather Ripped“ kennt.

Allein das Eröffnungsstück an diesem Abend dauert geschätzte 10 Minuten, und wie schön ist das doch! Man hat das Gefühl, dass zwei Gitarren, ein Bass und ein Schlagzeug reichen, um gleich mehrere interessante Geschichten zu erzählen; Geschichten vom Beziehungsleid, dem Leben danach und was sonst so geht. Dafür muss dann das Songwriting gar nicht so ausgefeilt sein. Eigentlich ist mit diesem ersten Stück alles gesagt und sind alle Fragen beantwortet, was kann da noch kommen? Doch spielen Moore und seine drei Begleiter schließlich ein erstaunlich gutes, geordnetes Konzert, mit ein paar vergleichsweise ruhigeren, melodiöseren Stücken und ein paar typischen Lärmattacken, aus denen sich immer wieder die eine oder andere Struktur schält. Moore wirkt aufgeräumt, widmet ein Stück, das Titelstück des kommenden Albums, „The Best Day“, seiner Mutter; erzählt, wie diese in ihren jungen Jahren zwischen Nord- und Südflorida pendelte, „ob Ihr das nun wissen wollt oder nicht!“. Und er gratuliert seinem Publikum überflüssigerweise noch einmal zum Gewinn der Fußball-WM. Es läuft also, und musikalisch scheint Moore erstmals wieder ganz bei sich zu sein – und „The Best Day“ das beste Sonic-Youth-Album zu werden, auf dem nicht mehr Sonic Youth steht.

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