Reggae-Künstler Tilmann Otto: Lasst endlich das Gelaber!
Tilmann Otto alias Gentleman ist Deutschlands erfolgreichster Reggae-Künstler und auch in Jamaika ein Star. Mit dem Tagesspiegel sprach er über die Homophobie der jamaikanischen Rastafaris.
Herr Otto, Sie haben ziemlichen Ärger, weil Sie Ihre schwulenfeindlichen Reggae-Kollegen aus Jamaika öffentlich in Schutz genommen haben.
Ich nehme niemanden in Schutz. Ich habe nur gesagt: Die sind so, ich werde sie nicht ändern können, und das ist für mich kein Grund, mich von Jamaika oder vom Reggae fern zu halten.
Stattdessen haben Sie den Grünen Volker Beck kritisiert, der Einreiseverbote für homophobe Sänger wie den Reggae-Großverdiener Sizzla fordert.
Genau, das lehne ich ab. Sizzla hat keine Straftaten begangen, ist nicht verurteilt worden. Warum sollte er nicht einreisen dürfen und in Deutschland auftreten?
Weil er Zeilen singt wie: „Ich gehe und erschieße Schwule mit einer Waffe.“
Solche Zeilen gibt es, aber weder Sizzla noch andere Reggae-Künstler würden sie in Deutschland singen – ganz im Gegensatz zu deutschen Gangsta-Hip-Hoppern, die bringen so brutale Zeilen, und keiner regt sich auf. Auf einer früheren Deutschland-Tour hat sich Sizzla tatsächlich einmal abfällig über Schwule geäußert. Den Stress, den er bekam, vergisst er nicht mehr. Ich denke, die Künstler sind sensibler geworden, was diese Sache angeht. Selbst in Jamaika muss einer schon extrem dumm sein, wenn er diese Textstellen noch öffentlich auspackt.
Das klingt nach purer Taktik.
Ist es auch. Die innere Einstellung hat sich nicht geändert. Jamaika bleibt sicher noch sehr lange homophob, da mache ich mir keine falschen Hoffnungen, das ist Teil der Kultur und der Bibelfestigkeit. Wobei Schwulenfeindlichkeit natürlich auch in anderen Teilen der Welt verankert ist, schauen Sie sich Christentum, Judentum und Islam an. Im Grunde sind wir, die wir offene Homosexualität akzeptieren, klar in der Minderheit.
Das klingt, als würden Sie sich nicht weiter daran stören ...
Quatsch. Das Gegenteil ist der Fall. Ich finde die Texte grausam und die Einstellung dahinter auch. Überhaupt gibt es viele Lyrics aus Jamaika, die mich extrem stören, das sind ja nicht bloß die homophoben Passagen. Da wird auch ständig verherrlichend über Waffen gesungen, und dann dieses oberflächliche sexistische Gelaber, dieses ewige Gerede von „hos and bitches“. Das ist alles nichts, womit ich mich identifizieren kann.
Wenn Sie in Jamaika auftreten oder im Studio arbeiten, ist Ihre Einstellung zur Homosexualität dort Thema?
Ich stelle die Unterschiede heraus. Ich sage: Bei uns ist es okay, offen homosexuell zu sein, und ich finde das richtig. Ich sage nicht: Das müsst ihr erst noch lernen.
Gelten Sie dort als der Außenseiter mit komischen Ansichten über Schwule, Frauen und Waffen?
Ich habe unterschiedliche Erfahrungen gemacht. Auf dem Sting-Festival, dem großen Reggae-Fest Jamaikas, haben sie mich mit Flaschen beworfen. Da war ich wohl fehl am Platz mit meinen gutgemeinten Lyrics. Ich schätze, ich habe einfach zu wenig Schimpfwörter benutzt.
Wobei es zunächst ganz gut lief ...
Ja, ich hatte gerade meinen kleinen Hit „Dem Gone“ gesungen, 30 000 Feuerzeuge waren in der Luft, und ich dachte: Jetzt hast du sie, jetzt kannst richtig rocken. Nach dem ersten Refrain habe ich dann aber die Frage gestellt: „Warum singt ihr so viel über Boshaftigkeit, singt doch mehr über Gerechtigkeit!“ Und schon flog der erste Pappbecher. Dann kamen die Flaschen. Ich wollte es erst durchstehen, meinte noch: ,Gebt mir mehr, ich bin durstig.‘ Und es kam mehr. Irgendwann war ich wie in Trance, habe nur noch gemerkt, wie links und rechts Ordner nach mir griffen, die haben mich schnell von der Bühne getragen.
Trotzdem sind Sie heute in Jamaika ein Star, laufen im Radio und Fernsehen.
Das habe ich erst selbst nicht begriffen. Nach den Flaschenwürfen war ich zwei Tage lang geschockt. Und dann kam plötzlich diese riesige Sympathiewelle über mich, alle großen Tageszeitungen haben über den Vorfall berichtet. DYCR, ein sehr respektierter Reggae-Künstler, hat sogar einen Song darüber geschrieben, nach dem Motto: „Gentleman ist den ganzen Weg aus Deutschland angereist, und ihr bewerft ihn. What the fuck is wrong with you?“ Ich glaube, auf dem Sting-Festival Flaschen abzukriegen, ist ein kleiner Ritterschlag.
Auch in Deutschland lassen sich mit Reggae viele CDs verkaufen.
Das hat aber gedauert, und viel von meinem Erfolg verdanke ich meinem alten Label „Four Music“. Die erste Platte lief überhaupt nicht gut, und trotzdem haben die zu mir gehalten. Der „Stern“ schrieb damals: „Das klingt wie der Rhein, der davon träumt, die Karibik zu sein.“
Hier glauben heute nicht wenige, Sie seien inzwischen halber Jamaikaner.
Stimmt aber nicht, ich lebe weiter in Köln mit meiner Stieftochter und meinem Sohn.
Hören die Gentleman?
Die Tochter ist 19 und steht eher auf Sean Paul. Das Schlimmste ist, wenn ich ihr ein neues Stück vorspiele und sie gar nichts sagt. Höchstens ein „ganz okay“.
Das Gespräch führte Sebastian Leber.
Tilmann Otto, geboren am 19. April 1975 in
Osnabrück, ist der
erfolgreichste deutsche Reggae-Sänger. Mit 17 reiste Otto erstmals nach Jamaika,
später lernte er die
Kreolsprache Patois.
1998 gelang Gentleman an der Seite der Stuttgarter Hip-Hop-Formation Freundeskreis der Hit Tabula Rasa, vier Jahre später stieg auch seine Single „Dem Gone“ in die deutschen Charts ein. Das Album Confidence landete 2004 auf Platz eins.
Gerade ist Gentlemans fünftes Studioalbum
Diversity bei Universal erschienen, für das er sowohl mit jamaikanischen Reggae-Musikern wie Sugar Minott und
Tanya Stephens als auch mit Cassandra Steen zusammengearbeitet hat. Am 29. Mai tritt Tilmann Otto in der Berliner C-Halle auf.
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