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Kultur: Lass uns Brooklyn spielen

Schöneweide entwickelt sich zum Kreativzentrum. Das Festival Kunst am Spreeknie gibt einen Einblick. Ein Rundgang.

Fast hätte die ganze Welt auf Schöneweide geschaut. Ai Weiwei hatte sich Anfang 2011 für eine Industriehalle auf dem ehemaligen AEG-Gelände interessiert. Aus den Plänen wurde nichts. Gerüchten zufolge zieht es den chinesischen Starkünstler zukünftig doch eher in den Prenzlauer Berg. Für Schöneweide ist damit nichts verloren. Denn der schon seit langem viel beschworene Aufschwung zum Kreativ- und Kulturstandort ist endlich da. Zumindest mehren sich die Zeichen.

Thorsten Knaaks roter Sommerhut leuchtet auch im dunklen Inneren des ehemaligen Umspannwerks Oberspree. Mehrere Meter über ihm schwebt eine schwere Krananlage und in seinem Kopf wahrscheinlich gerade viele Ideen, wie sich hier auf dem denkmalgeschützten Gelände , das 20 Jahre lang leer stand und von der Natur überwuchert ist, sein Traum erfüllen lässt. „Ich habe mich sofort in das Gebäude verliebt,“ sagt Knaak. Er war Werkstattmeister in der Berliner Bronzegießerei Noack. Nun will er hier im Herbst seinen eigenen Betrieb mit zehn bis zwanzig Mitarbeitern eröffnen. Der Ziseleurmeister mit dem spitzen Bärtchen ist bekannt, denn bei Noack lässt von Georg Baselitz über Jonathan Meese und Neo Rauch die gesamte Branche gießen. Weltweit gibt es nicht mehr viele Gießereien. Knaak wird internationale Kundschaft nach Schöneweide bringen. Doch zuvor stellt er die Hallen für eine Kunstschau zur Verfügung. Der irische Bildhauer John Power hat eine Runde durch Schöneweides Ateliers gedreht und Künstler ausgesucht, die er hier im Rahmen von Kunst am Spreeknie präsentieren wird. Es ist nur eine von vielen Ausstellungen des zehntägigen Festivals. Es findet bereits zum sechsten Mal statt, war aber noch nie so groß. An drei Stationen gibt es Vernissagen, Performances, offene Studios und Läden, Lesungen und Konzerte. Ein Shuttleschiff schippert die Besucher von der East-Side-Gallery und zwischen den einzelnen Standorten hin und her.

Los geht es mit einer Werkschau von Studenten der Hochschule für Technik und Wirtschaft, die 2009 einen neuen Campus in Oberschöneweide eröffnet hat. „Die Nachbarschaft schaut uns oft an, als seien wir von einem anderen Planeten“, sagt Design-Student Peter Kessel. Er hat mit Kommilitonen die Agentur „Sehen und Ernten“ gegründet und sich für ein Ladenlokal mitten im Kiez entschieden. Manchmal kommen Passanten herein und fragen, was die jungen Leute eigentlich so treiben. Dann können sie ihnen zum Beispiel das Festivalplakat zeigen, das sie entworfen haben. Schwarz, gelb, knallig. Die meisten Künstler, denen Peter Kessel den Entwurf gezeigt hat, fanden das gut. Das Layout erregt Aufsehen. Und das ist genau das, was sie jetzt brauchen. Für viele ist Schöneweide ganz schön weit draußen.

Dennoch: „370 Künstler, Designer, Handwerker und Dienstleister im kulturellen Sektor haben sich inzwischen angesiedelt“, schätzt Marlene Lerch vom Netzwerk Kultur- und Kreativwirtschaft Schöneweide. Und das dürften noch nicht mal alle sein. Dazu kommen über 1000 Studierende der HTW. Das Netzwerk wurde im vergangenen Jahr gegründet, um noch stärker auf die Belange der schon Ansässigen einzugehen, aber auch, um für den Standort zu werben. „Wir überlegen uns, wie wir uns an der Art Week im Herbst beteiligen können“, sagt Lutz Längert, Initiator von Kunst am Spreeknie. Und was fehlte bisher? Warum ist die Gegend mit ihren vielen leer stehenden Industriebauten aus der Jahrhundertwende bei der Berliner Atelierknappheit nicht schon längst durchgestartet?

Wenn man Antje Croton fragt, wie man Künstler am besten hierher locken könnte, dann erzählt sie von Muffin-Cafés und Bioläden. Es mangelt an Infrastruktur. An dem, was den Kiez lebenswert macht. Antje Croton muss es wissen. 13 Jahre hat sie in New York gelebt – und erlebt, wie sich das Viertel Dumbo (kurz für Down Under the Manhattan Bridge Overpass) entwickelte. Dort, in Brooklyn, im Schatten zweier großer Brücken haben sich in den alten Industrieanlagen Ateliers angesiedelt. Heute ist Dumbo ziemlich angesagt. Als die Mittvierzigerin zum ersten Mal am Ufer in Schöneweide stand, da hatte sie ein Déjà-vu: Die Spree, das ist der Hudson! Und die Brücken, nun ja, die sind ein bisschen kleiner. Dennoch hatte Antje Croton sofort Lust, diesen Ort mitzugestalten. Sie ist für die Vermietung der Rathenau-Hallen an der Wilhelminenhofstraße zuständig. „Als ich vor vier Jahren anfing, habe ich drei Vermietungen im Jahr gehabt, heute sind es drei im Monat.“ Die Fashion Week war schon zu Gast und immer wieder Filmteams, auch Hollywood. Weil man hier so gut New York nachspielen kann, zwischen den ganzen Klinkerfassaden mit den rostigen Treppenaufgängen.

„Costaweide“, so nennen MyLoan Dinh und Till Schmidt-Rimpler ihr neues Zu- hause. 2010 sind die vietnamesisch-amerikanische Malerin und der deutsche Choreograf auf das ehemalige Robotron-Gelände gezogen. Sie finden, die Gegend hat viel von Costa Rica – daher der Name: den Entwicklungsbedarf, aber auch die Lässigkeit. Ihr Grundstück ist grün überwuchert, bunte Kissen liegen auf den Gartenbänken, um die Tür ihres barackenartigen Hauses windet sich ein Mosaik. Im Inneren hängen die heiteren Blumen- und Landschaftsbilder von MyLoan. Die ehemalige Mensa des DDR-Computer-Herstellers hat sich in einen lichtdurchfluteten Saal mit Tanzboden verwandelt.

„MoBe – moving poets Berlin“ haben die beiden ihr neues Zentrum genannt. Sie bieten Volkstanzkurse an, es gibt Konzerte, und Künstler aus der ganzen Welt können ein Weilchen bleiben, um zu arbeiten. Zurzeit sind Leute aus Kanada und der Schweiz zu Gast, demnächst kommt Besuch aus Bahrain. Finanziert wird das vor allem über Spenden aus den USA. In Charlotte, North Carolina, haben sich die Moving Poets gegründet und arbeiten an größeren Bühnenproduktionen. In Berlin suchen Dinh und Schmidt-Rimpler nun nach Kooperationspartnern. Zum Spreeknie-Festival planen sie ein Wochenende unter dem Motto „Im Osten viel Blaues“. Maler, Musiker und Performer sind eingeladen, sich mit Beiträgen rund um die Farbe Blau zu beteiligen.

„Ich kann hier in Ruhe arbeiten“, sagt Sibylle Meister. Die Malerin ist vor einem Jahr in ein Atelier des Berufsverbands Bildender Künstler neben den Rathenau-Hallen gezogen. An der Wand hängt eine grob bestrichene Leinwand mit roten und grünen Farbfeldern, Pinsel stehen herum, Tuben. Auf dem Tisch liegt ein Flyer für die nächste Schau, die sie in ihrer Produzentengalerie Icon in Mitte verteilen will. Und man ahnt: Nur so kann Schöneweide wachsen, das immer noch unter seinem Image als Nazi-Hochburg und sozialen Problemen leidet. Von innen heraus. Künstler müssen Künstler anziehen. Sibylle Meister hat das Fenster ihres Studios weit geöffnet. Der Blick fällt auf die Spree, Ausflugsboote tuckern vorbei. Auf der gegenüberliegenden Ufermauer steht in großen Lettern „Ich liebe dich!“ Könnte eine Liebeserklärung an Schöneweide sein.

Festival Kunst am Spreeknie, 12.-21.6., Info: www.kunst-am-spreeknie.de

Anna Pataczek

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