Benefizkonzert für die Staatsoper: Lang Lang begeistert in der Philharmonie
Lang Lang gilt als Tastentiger mit den schnellsten Fingern der Welt. Im Konzert mit Daniel Barenboim und der Staatskapelle beweist er nun, dass er sich zum tief schürfenden Interpreten entwickelt hat.
In ihren besten Konzerten erinnern Daniel Barenboim und seine Staatskapelle mittlerweile an die Philharmoniker unter dem späten Karajan. Die Musiker haben die Klangästhetik ihres Chefs vollkommen verinnerlicht, der Maestro seinerseits weiß ganz genau, wie viel er vom Orchester erwarten kann. Vertrauen gegen Vertrauen – so entstehen Interpretationen von auratischer Wirkung.
Bei Franz Schuberts h-Moll-Sinfonie ereignet sich am Mittwoch ein solcher magischer Moment. Hier trifft einmal wirklich die Formulierung zu, dass ein komplettes Ensemble „auf einem Atem“ spielt. Absolut zwingend entwickelt sich der musikalische Fluss, atmosphärisch dicht und klanglich betörend. Dunkel raunende Romantik erfüllt die ausverkaufte Philharmonie, die beiden Sätze der „Unvollendeten“ werden zu berührenden Balladen ohne Worte.
Wie läst sich der dunkel grundierte Schönklang der traditionsstolzen Staatskapelle adäquat beschreiben? Als Notbehelf mag der Bordeaux-Vergleich herhalten: rubinrot, samtig und weich, auf natürliche Weise kraftvoll, ohne auftrumpfen zu müssen, nachhaltig beeindruckend. Ein Grand Cru eben.
Zwischen zwei Abonnement-Konzerten mit dem Geiger Guy Braunstein hat Barenboim seinen jährlichen Benefizabend zugunsten der Sanierung der Lindenoper eingeschoben. Als Stargast dafür konnte der Maestro Lang Lang gewinnen, den chinesischen Virtuosen, den Barenboim wie ein väterlicher Freund seit dessen Anfängen mit künstlerischem Rat begleitet. Viel Zeit zur gemeinsamen Arbeit werden sie diesmal nicht gehabt haben – und doch klingt Lang Langs Spiel am Mittwoch auf geradezu verblüffende Weise reif und erwachsen.
Zunächst geht es um Mozarts c-Moll- Klavierkonzert, den introvertiertesten Beitrag des Komponisten zu der Gattung. Pianist wie Dirigent sind sich darin einig, das Werk ganz defensiv anzugehen, sich selbst im kontrastreichen Finale von der Verlockung zu theatralischer Überspitzung fernzuhalten. Sobald er nicht selber zu spielen hat, dirigiert Lang Lang beseelt mit, antwortet aufmerksam auf instrumentale Einwürfe, hebt mit sicherem Geschmack immer mal wieder eine Basslinie marcato hervor. Vor allem aber betört er mit einem unendlich zarten Anschlag, porzellanhaft durchscheinend wie bei feinster Bone-China-Qualität.
In ganz neuem Licht erscheint auch Rachmaninows 2. Klavierkonzert. Der Pianist entzieht dem Stück alle sentimentale Süße, die spätestromantische Zuckrigkeit und auch jene Filmmusik-Anklänge, die er noch 2009 beim Silvesterkonzert mit Rattle und den Philharmonikern in dem Wunschkonzert-Reißer gefunden hatte. Zwischen den aberwitzigen Läufen und Akkordkaskaden stehen jetzt Passagen von ätherischer Noblesse, ja von Abgeklärtheit. Im Adagio weitet sich das Klangspektrum gar in Richtung der Sphärenmusik eines Claude Debussy.
Seit zehn Jahren ist Lang Lang als Tastentiger mit den schnellsten Fingern der Welt eine globale Medienberühmtheit – seine Karriere als bedeutender, zum Werkkern vorstoßender Interpret dagegen nimmt gerade erst so richtig Fahrt auf. Welche Vorfreude!