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Bis zum Horizont. Scullys Gemälde „Landline Fire“ stammt von 2015 (Ausschnitt).
© Galerie Kewenig

Sean Scully in der Berliner Galerie Kewenig: Landschaft aus Licht

Die Galerie Kewenig residiert im zweitältesten Haus von Berlin. Nun vertritt sie den wichtigen Maler Sean Scully – und präsentiert ihn groß in ihrem Palais.

Es ist, als betrete man einen anderen Ort. In einer parallelen Zeit, die nichts mit Berlins neuer Mitte verbindet. Stattdessen offenbart sich in den Räumen der Galerie Kewenig jenes Quantum Vergangenheit, über das die Stadt noch verfügt: Zwischen monotonen Plattenbauten steht ein bürgerliches Palais aus dem 17. Jahrhundert, das der Galerist so aufwendig wie konsequent in jene Epoche zurücksaniert hat, aus der es stammt. Es ist immerhin Berlins zweitältestes Haus.

Drinnen wartet die nächste Überraschung. Hier zeigt der irisch-amerikanische Maler Sean Scully momentan frische Bilder in seiner über beide Stockwerke reichenden Soloschau „Four Days“. Der ersten des 1945 Geborenen im Haus von Michael Kewenig, der den Künstler ab jetzt vertritt. Scullys Werk, das die Eine-Million-Euro-Grenze bei den großen Formaten längst überschritten hat, beschränkt sich auf ein variables Gittersystem aus Vertikalen und Horizontalen. Eine Art Markenzeichen, vom Künstler über Dekaden kultiviert und verfeinert. Jede Linie ist perfekt gezogen, trägt zugleich aber eine individuelle Handschrift. Beides gibt den Motiven ihre wiederkehrende, jederzeit wieder erkennbare Struktur. Eine Scully-Ausstellung kann man, so scheint es, rasch durchqueren, weil ein monumentales Werk wie „Four Days“ mit dem gleichen künstlerischen Vokabular spricht wie „Arles-Abend-Vincent 2“ oder die „Landline“-Serie.

Die Galerie Kewenig entrückt den Betrachter in eine andere Zeit

Und auch die drei Beispiele von „Wall of Lights“ variieren das Sujet marginal. Das Spektakuläre sucht man in dieser weitläufigen Ausstellung vergeblich. Stattdessen dekliniert der Maler auf leise Art durch die Räume und seine Serien, was ihm über die Jahrzehnte zur Essenz der Arbeit geronnen ist.

Der irische Künstler Sean Scully 2014 im Ludwig-Museum in Koblenz vor seinem Werk «Horizontal Soul».
Der irische Künstler Sean Scully 2014 im Ludwig-Museum in Koblenz vor seinem Werk «Horizontal Soul».
© picture alliance / dpa

Deshalb lohnt ein zweiter, dritter Gang durch die Ausstellung. Mit jedem Schritt fühlt man sich der Gegenwart ein Stück mehr entrückt. Als sei sie ohnehin nicht schon beim Eintritt in das Palais ausgesperrt. Vor den abstrakten Gemälden stellt sich der Eindruck ein, man stünde in einer staubigen Landschaft oder am Saum des Meeres mit einem blauen Band am Horizont – alles mitten in der Stadt. Hier offenbart sich die Qualität von Scullys Werk, das mehr ins Bewusstsein rieselt als dass es mit Aplomb alle Aufmerksamkeit erzwingt.

Sean Scullys Spiel mit den Farben sorgt auch für haptische Qualität

Seine Allmählichkeit verlangt dem Betrachter einiges ab. Er muss Geduld haben, um die Details zu entdecken. Die Unterschiede der Bildträger – neben Papier und Leinwand auch Aluminiumpaneele – sind schnell ersichtlich. Das sukzessive Spiel der Farben aber braucht die Veränderung des (Tages-)Lichtes. Diese Wirkung wird nur möglich, weil Scully die Pigmente mit sichtbarem Pinselduktus schichtet. So entsteht die haptische Qualität seiner Motive, deren Oberflächen weich und stofflich wirken. Zur abstrakten Komposition der Streifen gesellt sich eine physische Spur, die die Anwesenheit des Malers verrät.

Das macht Scully, der nicht zuletzt als dozierender Kunstprofessor zwischen New York und Europa pendelt, zum Wanderer zwischen den Welten. Begonnen hat er in London, hier setzte er sich mit Malern wie Vincent van Gogh – dem das Bild „Arles-Abend-Vincent 2“ gewidmet ist – auseinander. Als Scully Anfang der siebziger Jahre mit einem Stipendium in die USA kam, traf er dort unmittelbar auf die Minimal Art. Der Maler reagierte und domestizierte seine Farbfelder mit Klebeband für den damals so angesagten „Hard-Edge“-Effekt. Für eine Weile jedenfalls, denn es passte zur Zeit, machte die Streifenbilder präziser, eliminierte allerdings auch jede Handschrift. Scully verzichtete bald wieder darauf und hält seitdem die Balance zwischen Kalkül und Emotion, Distanz und Transzendenz wie in seiner Serie der „Walls of Light“ – Farbwänden aus Licht.

Das Paradox solcher gegenläufiger Eindrücke durchzieht die gesamte Ausstellung. Treppauf, treppab nimmt man sie mit jedem neuen Anlauf durch die Schau ein bisschen mehr wahr. Und versteht am Ende, weshalb die einzige Skulptur der Ausstellung eine silberne, aus horizontalen Elementen gebaute Stele ist: In ihr spiegeln sich sämtliche, auf Horizontalen basierende Bilder im Raum, die Abstraktion versprechen, real aber immer aufs Neue den Horizont in der Natur beschreiben. Titel wie „Landline Blue“ oder „Landline Fire“ lassen daran keinen Zweifel daran. „Four Days“ von 2015, das titelgebende Bild der Ausstellung, fällt ein wenig heraus. Scully hat es an vier Tagen gemalt, seine emotionale Temperatur zu verschiedenen Zeiten scheint eine Rolle zu spielen. Was sein Werk eint, bringt der Künstler selbst auf den Punkt: „Ich denke, da ist viel Melancholie in meinen Bildern. Das Licht hat auf gewisse Weise eine melancholische Qualität, eine Traurigkeit.“

Galerie Kewenig, Brüderstr. 10; bis 23.12., Di–Sa 11–18 Uhr

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