Giacomo Leopardis „Opuscula Moralia“: Lachen ist die letzte Rettung
Geistesgrößen wie Walter Benjamin oder Nietzsche würdigten ihn als Meister der Prosa. Nun ist Giacomo Leopardis' legendäre und inspirierende „Opuscula Moralia“ in neuer Übersetzung erschienen.
Es steht nicht gut um die Menschheit im Universum Giacomo Leopardis (1798–1837). Der italienische Lyriker und Zeitgenosse von Heinrich Heine, den Nietzsche allerdings vor allem als „Meister der Prosa“ und „vielleicht größten Stilisten des Jahrhunderts" würdigte, ist vor allem für seinen grandiosen Pessimismus berühmt. Arthur Schopenhauer schwärmte von Leopardi als jemandem, der seine Philosophie nicht nur verstanden, sondern zutiefst verinnerlicht habe.
„Es scheint widerspruchsvoll und ist doch durchaus wahr. Da alles Wirkliche nichts ist, gibt es kein Wirkliches und Verlässliches auf der Welt außer den Illusionen“, heißt es im „Zibaldone“, Leopardis „Sudelbüchern“, wie Ralph-Rainer Wuthenow die Sammlung von Aphorismen einst in Anspielung auf Georg Christoph Lichtenberg nannte. Leopardi erteilt dem Glück auf Erden darin eine Absage und adelt die Langeweile, die Baudelaires Ennui in den „Blumen des Bösen“ verwandte Noia, zur „erhabensten menschlichen Empfindung“. Alles ist für ihn von Übel. „Das heißt, alles Sein ist von Übel. Dass überhaupt etwas vorhanden ist, ist von Übel.“ Auch die jetzt in der Anderen Bibliothek in neuer Übersetzung erschienenen „Opuscula Moralia“ von 1827, die bei uns bislang eher als Geheimtipp kursierten, halten mit pessimistischen Attitüden nicht hinterm Berg.
Der Schalk im Nacken
Eingangs liefert Leopardi eine „Geschichte des Menschengeschlechts“ in Auseinandersetzung mit dem trügerischen Traumschöpfer Zeus und anderen griechischen Göttern.
Dabei reift die Erkenntnis, es könne den Menschen „nichts Besseres widerfahren als gänzlich ausgerottet zu werden“. An anderer Stelle wird eine antike Weisheit bemüht, die wiederum Nietzsche leicht abgewandelt in seiner „Geburt der Tragödie“ prominent platziert: „Das Beste ist, nicht geboren zu werden, und für den, der geboren wird, in der Wiege zu sterben.“ Solche Sätze erinnern an den Skeptizismus von Emile Cioran, an seine „Syllogismen der Bitterkeit“ oder den Band „Vom Nachteil, geboren zu sein“. Aber zumindest für Leopardi gilt: keine Tragödie ohne Komödie. Ihm sitzt immer noch der Schalk im Nacken. Tatsächlich sind seine Dialoge (unter anderem zwischen Herkules und Atlas, Kobold und Gnom oder der Natur und einem Isländer), Fabeln und Prosastücke erheiternd, erhellend und inspirierend, auch wo sie eine noch so tiefe Skepsis bergen und das menschliche Leiden ohne echte Alternative erscheinen lassen. „Lache ich über unsere Leiden, so finde ich darin einigen Trost und hoffe auch andere in gleicher Weise zu trösten. Gelingt mir das nicht, so bin ich dennoch überzeugt, dass das Lachen über unsere Leiden der einzige Gewinn ist, den wir aus ihnen ziehen können, und das einzige Heilmittel, das wir gegen sie finden.“
Entsprechend heißt der von Übersetzer Burkhart Kroeber gewählte Untertitel des Bandes „Vom Lernen, über unsere Leiden zu lachen“ – basierend auf der Erstübertragung durch den Novellendichter (und ersten deutschen Nobelpreisträger) Paul Heyse. Die meisten der ausgewählten Texte stammen aus dem Jahr 1824, wurden von ihrem Autor also mit Mitte zwanzig geschrieben. Die Latinisierung des Originaltitels „Operette Morali“ (Kleine moralische Werke) verweist, so Kroeber in den instruktiven Anmerkungen, auf die ungeheure Belesenheit Leopardis, einem beispielhaften Poeta doctus. Erklärtes Vorbild, vor allem in Sachen dialogischer und gesellschaftskritischer Komik, sind der Satiriker Lukian und seine „Opuscula“, aber auch Plutarchs „Moralia“ oder Pierre Gassendis „Opuscula philosophica“.
Manche Gedanken fanden bei Adorno Widerhall
Man muss aus Leopardi keinen Dialektiker machen, um die Komplexität seiner meist ambivalenten Gedanken zu würdigen. Von Adornos schillernder Kompliziertheit ist er meilenweit entfernt, auch wenn Titel und Form eine gewisse Verwandtschaft zu den „Minima Moralia“ suggerieren und manche Gegenstände und Topoi der „Opuscula Moralia“ in der „Dialektik der Aufklärung“ einen Widerhall finden: „Die Individuen sind in der Masse verschwunden, wie die modernen Denker so schön sagen. Das heißt, es ist ganz unnütz, wenn das Individuum sich irgendwelche Mühe gibt. Es braucht nur die Masse machen zu lassen.“
Walter Benjamin, ein begeisterter Leopardi-Leser, unterscheidet ihn von Schopenhauer und deutet ihn als Rebellen, der „in der schlechtesten Welt das Rechte durchsetzen“ helfen will. „Auch er ist an den Felsen geschmiedet, auch ihm nagt der Geier an der Leber. Aber er lacht über die feindliche Göttermacht, die sein festes Menschenherz nicht brechen kann“, schreibt Paul Heyse in einem in diesem Band abgedruckten Essay. Leopardi weiß um die Schattenseiten von Vernunft und Fortschritt. Seine Versuche, dem Verstand ein Schnippchen zu schlagen, sind ein Vergnügen. Am Ende findet man den Menschenkenner nicht in der Tradition des Misanthropen oder gar Zynikers wieder, vielmehr erweist er sich als Humanist. Aber eben als einer mit sprühendem Humor.
Giacomo Leopardi: Opuscula moralia. Oder vom Lernen über unsere Leiden zu lachen. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. Andere Bibliothek, Berlin 2017. 360 Seiten, 42 €.
Tobias Schwartz
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