Deutsche Oper: "La Cenerentola": So leicht, so schwer
Melonenscheiben rutschen glucksend in Proseccogläser, die Wasserspiele auf dem Götz-Friedrich-Platz hüpfen, ein zartes Lüftchen weht um die Deutsche Oper. Ein Hauch von Sommeridylle begleitet die Premiere von "La Cenerentola".
Die Premiere von Rossinis „La Cenerentola“ weckt Erinnerungen an den Ort, an dem diese Produktion entstand. Für Glyndebourne, das magische Opernfestival auf einem Landsitz in Sussex, schuf Sir Peter Hall 2005 seine Version des Märchens vom Aschenputtel. Auch auf DVD und im Kino hat sich seine altmeisterliche Rossini-Deutung bereits bewährt, das kann für die Deutsche Oper nicht schlecht sein. Zumal man an der Bismarckstraße bislang mit Übernahmen aus Glyndebourne künstlerische Erfolge feiern konnte, mit Janaceks „Jenufa“ oder „Die Sache Makropoulos“. So verwandelt sich vor Vorfreude die Berliner Proseccomelone in einen süßbunten britischen Pimm’s, und man ertappt sich dabei, die Foyers der Deutschen Oper nach geeigneten Picknickplätzen abzusuchen.
„Rossinis Opern sind meiner Meinung nach nur dann komisch, wenn man sie ernst nimmt“, bemerkt Regieveteran Sir Peter Hall und will in „La Cenerentola“ die Sozialkomödie entdecken. Ein Plädoyer für Solidarität und Menschlichkeit, serviert mit Anteilnahme und einem Schuss britischem Humor. Vielleicht sollte einmal jemand Ken Loach auf Rossini aufmerksam machen. Sei es die Ferne zum inspirierenden Produktionsort, die Einstudierung durch Halls Assistenten oder womöglich eine vorauseilende Anpassung an einen vermuteten deutschen Humor: Das Komische dieser Berliner „Cenerentola“-Stippvisite ist in weit mehr Klamotte verpackt als nötig. Das fällt bei den prägnantesten Darstellern am unangenehmsten auf. Lorenzo Ragazzo ist ein wunderbarer Sängerschauspieler. Doch sein Don Magnifico ist ein solch heillos verlottertes Würstchen, dass seine fortgesetzte Grausamkeit gegenüber der Stieftochter Angelina in aller Lächerlichkeit verpufft. Aschenputtel, so rufen Don Magnifico und seine zwei hohlen Töchter Angelina, und so halten sie sie auch.
Das ist beileibe kein Märchenthema, gerade heute. Rossini ließ bei seiner Oper bewusst alles Fabelhafte beiseite: keine gläsernen Schuhe, keine helfenden Tauben, keine abgeschnittenen Zehen. Er wollte keinen Trug, sondern ein klares Bild menschlicher Niedertracht zeichnen, es dem gerechten Gelächter und endlich der Vergebung zuführen. Wer zuletzt lacht, lacht am besten: Im Herauszögern des Witzes bis zu seiner treffendsten Zuspitzung offenbart sich die hohe Kunst der Leichtigkeit. Am nächstbesten Kalauer erlahmt ihre Kraft.
Das gilt auch für Rossinis Musik. Ihr zartes Gespinst ist genuiner Musiktheaterstoff, flexibel, flüchtig und individuelle Ausgestaltung herausfordernd. Eine echte Chance für den jungen spanischen Dirigenten Guillermo Garcia Calvo, der erst kurzfristig die Cenerentola-Produktion für den erkrankten Paolo Arrivabene übernommen hat. Der 30-Jährige hat an der Wiener Staatsoper zahlreiche Einstudierungen geleitet und Ballette dirigiert. Mit der nimmermüden Disziplin eines Präzisionsarbeiters entlockt Garcia Calvo dem Orchester der Deutschen Oper ein ungemein schlankes, hoch konzentriertes Spiel. Doch auch wenn sie bisweilen daran erinnert: Rossinis Musik ist kein gut geschmiertes Räderwerk. Sie lebt auf, wenn sie durchpulst wird vom unsteten Herzschlag menschlicher Leidenschaften. Ihr einzigartiges Brio erreicht sie erst, wenn das langsame Hochtouren des Orchesters eine Ahnung davon enthält, was passieren würde, wenn die ganze angestaute Energie auf einmal losgelassen würde. Doch Taumeln ist Garcia Calvos Sache nicht, die Zügel bleiben stets fest in der Hand, der Orchesterklang züchtig und hochgeschlossen, unterlegt mit leichtem Näseln. Ein Rossini ohne Bauch, ein Spiel ohne Risiko.
Ganz unweigerlich und unausweichlich fällt bei „La Cenerentola“ Angelina alle Sympathie zu, denn zwischen röhrenden Buffobässen und schrillen Sopranen nimmt schon ihre Stimmlage für sie ein. Ein warm strahlender Mezzosopran ohne extrovertierte Obertöne, klingende Innerlichkeit als Kontrast zu einer verblödeten, rohen Außenwelt. Ruxandra Donose verkörpert all dies wunderbar glaubhaft, und auch schwerste Koloraturarbeit treibt ihr Singen niemals an die Oberfläche. Wie unreif wirkt dagegen ihr Prinz Don Ramiro. Mario Zeffiri spielt ihn steif wie aus einem alten Kinderbuch, sich selbst und seiner stimmlichen Leichtigkeit nur begrenzt vertrauend. Simon Pauly als sein Diener Dandini weist überzeugend darauf hin, dass im Ensemble der Deutschen Oper durchaus Buffo-Schätze harren. Vielleicht werden sie ja nächste Saison gehoben, wenn Katharina Thalbach Rossinis „Barbier“ inszeniert.
Wieder am 24./30. Mai und am 2. Juni