Konzert von Tim Bendzko: Kusshand und Berliner Charme
Eine Stimme wie Xavier Naidoo, gepaart mit Berliner Schnauze und Toleranz: Tim Bendzko singt, tanzt und versprüht gute Laune bei seinem Konzert in der Benz-Arena.
Nach einer mäßig überraschenden Studie, die vor einer Woche im Wissenschaftsmagazin „Sexuality and Culture“ veröffentlicht wurde, und die sich mit Poplyrics zwischen 1960 und 2008 beschäftigt, handelten 71% der untersuchten Texte jener Zeit von Beziehungen. Unterschiede gibt es laut Forschergruppe jedoch in der Definition: Frauen sängen größtenteils über romantische Liebe und Partnerschaft. Männer dagegen über Sex.
Die Kerle, dieses Klischee sehen die Wissenschaftler damit bestätigt, wollen also immer nur das eine. Nun ja, alle nicht. Tim Bendzko zum Beispiel will das andere. Sonst würde er nicht in weißen Sneakers und schwarzer Jeans in der fast ausverkauften Benz-Arena stehen, und 9000 Frauen sein Herz ausschütten. Seine Gefühle zeigen. Ihnen Hoffnung geben. Sich bei ihnen entschuldigen, für all das fiese, gemeine Verhalten, für all den Liebeskummer, den sie erlitten, und wegen dem sie in ihre Kissen weinten.
Und das klappt gut: „Vergib mir noch einmal“, singt Bendzko gleich zu Anfang (dabei hat er doch faktisch noch gar nichts falsch gemacht!) im Song „Ohne zurück zu sehen“, „ich versuche dir keine Last zu sein“ - und man glaubt es. „Wir sind wie wir sind“, geht er dann zu einem Stück aus dem neuen Album „Immer noch Mensch“ über, und endet mit „du bist perfekt wie du bist“, und oh, wer möchte das nicht gern mal gesagt bekommen, so flach das auch klingt? Von einem derartig netten Jungen?! So ein netter Junge. Inmitten der gefühlt 90% weiblichen Fans klatscht und schwenkt zwischendrin auch die eine oder andere Erziehungsberechtigte begeistert das Handy, wobei unklar ist, ob diese allein als Tochterbegleitung fungiert: Gäbe es eine rein platonische Schwiegersohnfantasie, Bendzko erfüllte sie mit Kusshand und jeder Menge Berliner Charme.
Das neue Album klingt live etwas fader als die alten Hits
Interessant eingesetztem Berliner Charme: Wenn er singt, ab und an übrigens tonal ein bisschen wackelig, holt er das bebende Xavier Naidoo-Organ raus, das dem 32jährigen Friedrichshainer damals, 2009, beim „Söhne gesucht“-Talentwettbewerb der „Söhne Mannheims“, den ersten Platz einbrachte. Und bebt, mit voller Inbrunst und aus ebensolcher Kehle, bis der Song vorbei ist. Und erst hinterher kommt wieder der sympathische Kenn-ick-weeß-ick-war-ick-schon-Charakter zum Vorschein, der ehemalige Union-B-Jugend-Kicker, der zwischen den Songs heisere, kleine Geschichten über „den Tonmann und den Lichtmann“ erzählt, die sich ineinander verliebt haben, und deren Liebe daran scheiterte, dass sie sich gegenseitig ändern wollten: Die Einleitung zu „Das ist schon die beste Version von mir“, ebenfalls vom neuen Album.
Das spielt er sogar ganz durch, obwohl es zumindest live ein wenig fader als die älteren Stücke klingt, das neue Album – die Songs seien, so sagte Bendzko in einem Interview (und so sagen es seit Jahrzehnten alle Künstler über neue Songs in Interviews) diesmal „direkter und persönlicher“, zudem mit echten Musikern und Instrumenten entstanden, nicht digital. In der Benz-Arena sind ebenfalls echte Musiker am Start: Hinter Bendzko rackert routiniert eine zehnköpfige, äußerlich absolut Bravoposter-taugliche Band inklusive drei Streichern und zwei Backgroundsängern, von denen eine auch Percussion spielt. Dennoch, das merkt man vor allem beim immer noch überzeugenden Uber-Hit „Die Welt retten“, haben die neuen Songs - eventuell durch ihre kollektive Balladenhaftigkeit - einen hauchzarten Gewöhnungseffekt, mit all dem menschelnden „Keine Maschine“ und „Immer noch Mensch“ und dem nachdenklichen „Kann man das noch reparieren“ – zu letzterem macht er immerhin einen amtlichen BER Witz. Aber die Fans finden sie schnafte. Und als Bendzko, die Halle textsicher wissend, in „Keine Zeit“ vom ersten Album sein Publikum auffordert, den Refrain mitzusingen, aber erst „nur die Frauen!“ und dann „nur die Männer!“, ist das ein wirklich hübscher Gag: Während die vielen Frauen glockenhell und vernehmlich und wie von Gotthilf Fischer mit Geisterhand dirigiert perfekt ihre Zeilen schmettern, stinken die wenigen Männer mit ihren ungeübten Bässen lustig dagegen ab.
Bendzko schlakst mit seinem Körper zur Musik herum
Lustig sind auch die Tanzeinlagen: Eigentlich kann Bendzko sich nämlich nicht richtig bewegen, stattdessen schlakst er auf gutmütige Art und Weise mit seinem Körper zur Musik herum, wie Hetero-Männer das tun, wenn sie tanzen, aber dabei partout keinen echten Move zeigen wollen. Einmal wienert er mit den Sneakers kurz den Boden wie in einer Square Dance-Parodie, und man kann nur hoffen, dass ihn, den Bundesvision Song Contest-Gewinner von 2011, den ECHO-Gewinner, „Schlag den Star“-Kandidaten und Ex-Jurymitglied bei verschiedenen TV-Talentshows, nicht mal einer zur Teilnahme bei „Let’s Dance“ überredet! Aber wahrscheinlich wäre das sogar auch lustig.
Am Ende ist Bendzko ins Schwitzen geraten, doch die Laune hält, und die Locken auch. Er spielt „Das ist noch nicht das Ende“ plus Zugabe, und wenn Heath Ledger und Lee Evans (aus „Funny Bones“) zusammen ein „Love Child“ bekämen, das sie zum Gesangstraining zum Naidoo schicken, dem Kind aber verbieten würden, die Naidoo’sche Reichsbürgerlyrik und dessen verquere Verschwörungsideen anzunehmen, sondern ihm stattdessen eine Portion tolerantes Berliner Kindl mitgäben – sowas wie Tim Bendzko käme dabei heraus. Und da gibt es ja wohl Schlimmeres.
Jenni Zylka
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