Berlin Art Week: Kunst in Zeiten des Krieges
Die Berlin Art Week ist ein Publikumserfolg. Doch darf man der reinen Kunst frönen, wenn die Stadt sich gerade mit der Flüchtlingskrise konfrontiert sieht?
Sechs Tage Berlin Art Week neigen sich an diesem Sonntag dem Ende zu. Ein Riesenfest der Kunst mit Messen, Vernissagen, Galerierundgängen, Talks, Atelierbesuchen. Eine Lustbarkeit scheinbar fern der Politik, des Alltags. Zum vierten Mal findet die Kunstwoche statt, erneut ein Publikumserfolg. Internationale Sammler haben den Termin mittlerweile fest gebucht. Die Berliner zelebrieren die Art Week ohnehin, wenn sie auf der Terrasse der Neuen Nationalgalerie Picknick-Decken ausbreiten, um beim Anblick der schmelzenden Eisblöcke von Allan Kaprows Happening zu speisen.
All das bestätigt Berlin erneut als Kunsthauptstadt des Landes. Was als Kompensation für das von der Messegesellschaft abgeschaffte Artforum gedacht war und von der Kulturverwaltung zur Rettung des Kunstherbstes aus der Taufe gehoben wurde, erweist sich als richtiges Rezept: die Bündelung der Aktivitäten zu Saisonbeginn plus Synergieeffekt noch für kleinste Projekträume bis hin zur Kommunalen Galerie in Pankow.
Doch darf man der reinen Kunst frönen, wenn die Stadt sich gerade mit der Flüchtlingskrise konfrontiert sieht, der größten Herausforderung des Landes? Hat die Art Week vor lauter Selbstfeier das wichtigste Thema verpasst und die Kunst zur aktuellen Situation nichts zu sagen? Müssten sich nicht gerade die Künstler als Seismografen gesellschaftlicher Erschütterungen der Problematik widmen? Picasso malte „Guernica“ wenige Wochen nach dem Luftangriff der Deutschen auf die spanische Stadt. Allerdings hatte der Künstler den Auftrag von der spanischen Regierung für den nationalen Pavillon in der Pariser Weltausstellung erhalten. Auf dem Gemälde sind auch keine Flieger zu sehen, kein konkreter Ort, sondern das Leiden selbst, wie es an Kriegsschauplätzen auf der ganzen Welt zu finden ist. Ein aktueller Anlass, ein universales, ergreifendes Bild.
Und doch gibt es das politische Moment in der Kunst
Die Kunst ist nicht dazu da, Lösungen für Probleme zu finden, die schon die Politik überfordert. Ihr vorzuwerfen, dass sie nicht schnell genug auf das Elend der Flüchtlinge reagiert, hieße, sie dienstbar zu machen, im Tempo der schnellen Medienwelt. Indienstnahme ist den Künsten noch nie bekommen. Das Ergebnis könnte bestenfalls illustrativ sein – gute Malerei transzendiert und unterläuft die Nachrichtenbilder jedoch. Die ehrenwerten Versuche der Theater in den vergangenen Wochen haben gezeigt, dass Stücke mit Flüchtlingen, die auf der Bühne von ihren Erfahrungen berichten, oft nur das schlechte Gewissen des Publikums bedienen und die Betroffenen ihrerseits vorführen, ja instrumentalisieren.
Und doch gibt es das politische Moment in der Kunst, die Auseinandersetzung mit den Verhältnissen längst. Keine Biennale, keine Documenta ohne DokuWerke. Es gilt die Freiheit der Kunst, die Veranstalter und Kuratoren hingegen sind durchaus in die Pflicht zu nehmen, sich der konkreten Gegenwart zu stellen. Bei der Berlin Art Week braucht man übrigens nur genauer hinzuschauen – gemäß der Erkenntnis von Marcel Duchamp, dass die Kunst zur Hälfte im Auge des Betrachters stattfindet. Der gläserne Wohnwagen voller Kakteen in der Deutsche Bank-Kunsthalle, das bepflanzte Schlauchboot in der Messe – sie sprechen für sich. Beim Happening von Alexandra Pirici auf dem Potsdamer Platz standen Performer acht Stunden lang wie ein Block eng beieinander. Ein Mahnmal der Wartenden, der Hoffenden, ein Inbild dieser Tage.