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Geometrie und Fluss. Die niederländische Malerin Jacoba van Heemskerck (1876-1923) wurde zwischen 1914 und 1924 häufig in Herwarth Waldens Berliner Galerie „Der Sturm“ gezeigt. Dieses „Segelbild“ entstand um 1915.
© Moderna Museet, Stockholm

Moderne in der Liebermann-Villa: Kunst gegen Hitler

Vor 80 Jahren eröffnete eine Ausstellung deutscher Kunst der Moderne in London - als Antwort auf den NS. Die Liebermann-Villa rekonstruiert die legendäre Schau.

Albert Einstein hat es aus London nicht pünktlich zur Eröffnung geschafft. Das Porträt des Nobelpreisträgers, das Max Liebermann 1925 malte, trifft erst mit Verspätung in der Villa des Malers am Wannsee ein. Museumsdirektor Martin Fass seufzt: Es hakte an der britischen Ausfuhrgenehmigung. Ausstellungen organisieren ist eben immer ein Riesenaufwand, nicht nur in Brexit-Zeiten. Zollformalitäten, Versicherungen, Leihverträge, Papiere. Wie schwierig muss die Logistik erst einst im Vorkriegsjahr 1938 gewesen sein. Damals ging das Einstein-Bildnis den umgekehrten Weg. Liebermanns Witwe Martha schickte es aus Berlin als Leihgabe zur Londoner Ausstellung „Twentieth Century German Art“.

Die Schau in den renommierten New Burlington Galleries vereinte rund 300 Spitzenwerke moderner Kunst aus Deutschland. Einem internationalen Organisatorenteam war es innerhalb weniger Monate gelungen, 90 Leihgeber aus ganz Europa für das beispiellose Großprojekt zu gewinnen. In der Schirmherren-Riege firmierten Persönlichkeiten von Picasso bis Virginia Woolf. Es war die größte Ausstellung moderner deutscher Kunst, die bis heute je in Großbritannien gezeigt wurde. Und es war eine Antwort auf die ein Jahr zuvor in München eröffnete NS-Femeausstellung „Entartete Kunst“.

Viele ausgestellte Künstler lebten im Exil

Etwa 30 Spitzenwerke dieser wichtigen, aber wenig bekannten Londoner Schau sind jetzt noch einmal zusammen in der Liebermann-Villa zu sehen. Denn Hausherr Liebermann war seinerzeit ausgesprochen prominent mit 22 Werken vertreten. Die Initiatoren wollten dem konservativen britischen Publikum die radikaleren Spielarten der teutonischen Kunst offenbar in ihrer chronologischen Entwicklung nahebringen. Wie damals ist die Stilabfolge nun sehr schön von der saftigen Peinture der deutschen Impressionisten über Brücke und Blauen Reiter bis zur Abstraktion eines Klee, Baumeister oder Kandinsky beispielhaft zu verfolgen. Denn man wusste 1938: Nicht nur im nationalsozialistischen Deutschland, auch in Großbritannien und den USA, wo die Wanderausstellung später abgespeckt tourte, gab es eine lautstarke Feindesfraktion gegen die moderne Kunst.

Die Presse sparte nicht mit teils heftiger und verständnisloser Kritik. Aber es gab auch anerkennende Worte. Und eines verstand die internationale Öffentlichkeit unmittelbar, obwohl die Organisatoren den unpolitischen Charakter der Londoner Ausstellung betonten: Diese Ausstellung war ein offensives Statement für die Freiheit der Kunst und gegen die repressive, menschenverachtende Kulturpolitik der Nationalsozialisten. Über 60 der vertretenen Künstler waren in München als Entartete verdammt worden, viele lebten im Exil. Hitler selbst reagierte bei einer Rede mit einem wütenden Seitenhieb gegen die Londoner Schau.

Großes öffentliches Interesse

Umso trotziger reckt Kokoschka sein markantes Kinn auf seinem überlebensgroßen „Selbstbildnis als entarteter Künstler“, das er 1937 in kraftgeladenen Farben malte. Er aktivierte vom Prager Exil aus seine Sammlerkontakte, um die Londoner Schau mit Leihgaben zu unterstützen. Andere Emigrierte erhofften sich neue Absatzmärkte, internationale Aufmerksamkeit. Spannend ist, wie sich auch im Initiatorenteam unterschiedliche Interessen verquickten. Von Zürich aus ließ die Galeristin Irmgard Burchard ihre Netzwerke spielen, in London agierte ebenso tatkräftig ihre Kollegin Nöel „Peter“ Norton.

Mit dem dritten im Bunde, dem Kunstkritiker Paul Westheim im Pariser Exil, kam es immer wieder zu Konflikten über Künstlerauswahl und Profil der Ausstellung, die ursprünglich „Banned Art“ heißen sollte. Handfeste ökonomische und politische Beweggründe verschränkten sich. Jeder ließ seine Netzwerke spielen, fragte mögliche Leihgeber, Sammler, Museen, Exilkünstler an. Letztlich trafen sogar mehr Kunstwerke in London ein, als überhaupt gezeigt werden konnten. Das Interesse der britischen Öffentlichkeit war so groß, dass die Menschen bei der Eröffnung bis auf die Straße standen, wie Kritiker Alfred Kerr berichtet. Verkauft allerdings wurde fast nichts.

Die verschlungenen Wege der Werke werden erzählt

Kuratorin Lucy Wasensteiner hat die Geschichte dieser Meilenstein-Ausstellung jetzt wissenschaftlich akribisch aufgearbeitet. Was sich in der knappen, aber hochkarätigen Werkauswahl in Liebermanns Villa eindrucksvoll spiegelt, ist nicht nur das erstklassige Qualitätsspektrum der Londoner Unternehmung. Erzählt werden auch die Schicksale der Sammler, die hinter den Werken und ihren verschlungenen Wegen standen. Ihre Kurzbiografien begleiten die Enfilade der ausgestellten Gemälde buchstäblich als Subtext. Die Kunstwerke selbst brauchen keine Erklärung. Sie sprechen für sich. Auf Kandinskys abstraktem Großformat explodieren die Farben. Paula Modersohn-Becker brilliert mit einem kargen wunderschönen Orangen-Stillleben. Bei Emil Nolde wuchern blaue Iris.

Ihm allerdings war es gar nicht recht, dass seine Werke prominent in der „Twentieth Century German Art“ gezeigt wurden. Er setzte schon im Vorfeld, sobald er davon Wind bekam, alle Hebel in Bewegung, um den NS-Kulturfunktionären seine Loyalität zu versichern, wobei er nicht mit heftigen antisemitischen Ausfällen sparte.

Villa Liebermann, Colomierstr. 3, bis 14. 1.; Mi bis Mo 11 – 17 Uhr

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