Zum Totlachen: Kulturgeschichte der Grusel-Clowns
Mit den Grusel-Clowns wechseln die Faxenmacher in die reale Welt. Früher galten Clowns als melancholisch, nun erweisen sie sich als böse.
Eigentlich schien der Clown bereits ausgemustert zu sein. Als Relikt einer untergegangenen zirzensischen Kultur wurde er zum Museumsstück, im Fernsehen hat ihn längst der weitaus schlagfertigere Comedian abgelöst. Mit Worten kennt ein Clown sich eher wenig aus, er lässt die tollpatschigen Bewegungen seines Körpers und die Mimik des grell geschminkten Gesichts für sich sprechen. Ein trauriger Fall war er schon immer. Der Clown, der weint, wenn das Rampenlicht erlischt, gehört zu den gerne weitergetragenen Klischees über die Unbarmherzigkeit des Showgewerbes. Zum Melancholiker ist der Faxenmacher geworden, weil er die Fröhlichkeit nicht teilen kann, die er bei seinen Zuschauern auslöst.
„Er wollte alle Menschen immer lachen machen / und machte er selber auch ein trauriges Gesicht / er konnte auch die komischsten Sachen machen / aber selber gelacht hat er nicht“, befand Heinz Rühmann in seinem Song „Der Clown“. Mit dem Lied ist der Schauspieler bis ins hohe Alter aufgetreten, stets im Charly-Chaplin-Anzug und mit kreisrundem Filzhut, und es war anrührend zu hören, wie seine Stimme dabei immer brüchiger wurde. Rühmann war selber ein begnadeter Musikclown, wie er etwa in seinem nicht unkitschigen Film „Wenn der Vater mit dem Sohne“ zeigt.
„Keinen ließ der Clown, der Clown in sein Herz hineinschau’n“, wehklagt Rühmann in seinem Hit. Von den Gefühlen des Entertainers muss niemand etwas wissen. Ein Clown, der öffentlich lamentiert, ist eine genauso unmögliche Figur wie ein Kellner, der isst. Sein wahres Gesicht zeigt der Clown nicht, seine Emotionen und Absichten verbirgt die Maske. Eine Tarnung, die durchaus unheimlich wirken kann. Johannes Mario Simmel, eher Moralist als Komiker, nannte einen Roman „Doch mit den Clowns kamen die Tränen“. Es geht darin um Genlabore und das Streben nach der Weltherrschaft.
Jetzt kommen mit den Clowns tatsächlich die Tränen, erst in Amerika und nun auch in Deutschland. In Berlin verletzte ein 14-jähriger Jugendlicher einen Clown, der ihn erschrecken wollte, mit dem Messer. In Brandenburg kam es zu einer Festnahme. „Horror-Clowns“ werden die aggressiven Wegelagerer in Deutschland genannt, in den USA ist bereits von einer „Clownocalypse“ die Rede. Am Montag wird Halloween gefeiert. Möglicherweise ist es danach vorbei mit dem bösen Spaß.
Und wenn nicht? Ist der weißwangige, rotnasige Ulkmacher auf die dunkle Seite der Macht gewechselt? Wird aus Spaß, passend zu den neuen nationalen und globalen Krisen, nun endgültig Ernst? Lacht fortan, wer zuletzt lacht, am bösesten?
Der Krieg der Clowns ist ein Aufstand der Zeichen. Wobei die Vorbilder nicht aus dem Zirkus stammen, sondern aus dem Kino, Comics und der zeitgenössischen Schauerliteratur. „Komm her, Ritchi, ich habe einen Luftballon für dich“, sagt Pennywise, der Horrorclown aus der Verfilmung von Stephen Kings Bestsellerthriller „Es“ von 1990. „Hier“ – die Stimme klingt grabestief – „hast du gleich einen ganzen Haufen.“ Luftballons schweben herab, und wenn sie platzen, dann spritzt Blut. Pennywise verkörpert das Böse schlechthin, er ist die Inkarnation kollektiver Albträume.
Seine Opfer, am liebsten Kinder, tötet er mit raubtierhaften Reißzähnen. Mit dem roten Haarkranz und seinem Bajazzokostüm fungierte er als Blaupause für die neuen Hass-Clowns. Stephen King distanzierte sich bereits bei Twitter: „Liebe Leute, macht endlich mal halblang mit dieser Clown-Hysterie. Die meisten von ihnen sind gut, heitern Kinder auf und bringen Menschen zum Lachen.“
Die Genealogie der Horror-Clowns führt noch weiter zurück, bis ins frühe 17. Jahrhundert. Der britische Offizier Guy Fawkes, als Katholik Angehöriger einer verfolgten Minderheit, versuchte am 5. November 1605, das englische Parlament in die Luft zu sprengen. Dass der Anschlag misslang, wird bis heute alljährlich in der „Bonfire Night“ gefeiert. Die Guy-Fawkes-Maske, die dabei getragen wird, präsentiert einen mokant lächelnden Herrn mit D’Artagnan-Bart.
Über ein Comic und den Science-Fiction-Film „V für Vendetta“ gelangte die Maske zur Occupy-Bewegung, deren Gesicht sie im Jahr 2011 wurde. Damals besetzten Aktivisten als Reaktion auf die Bankenkrise die Wall Street in New York. Aus dem Party-Accessoire war ein Symbol des politischen Widerstands geworden. Ihrem Träger verleiht die Maske auch angesichts von Polizeikameras Anonymität, eine Funktion, für die bei linksautonomen Demonstrationen bislang Motorradmützen herhalten mussten, „Hasskappen“ genannt.
Wirklich böse ist der Joker, Batmans Gegenspieler. Seinen Namen hat er von einer Spielkarte, die einen Hofnarren zeigt. Schmerz und Sadismus haben sich tief in sein Irrsinnsgesicht eingegraben, eine Maske des Schreckens. „Du lachst zu wenig“, hat der Vater einst zu ihm gesagt. Dann nahm er ein Messer und schnitt ein ewiges Lachen ins Kinderantlitz. Verkörpert von dem bald darauf gestorbenen Heath Ledger hat Joker im Film „The Dark Knight“ das bleibende Bild zur Finanzkrise geschaffen: Er zündet eine Pyramide aus Banknoten an, einfach so. Geld verbrennen, so geht das. Joker, nachlässig gekleidet und mit verschmierter Schminke, ist Anarchist. Er nennt sich einen „Agenten des Chaos“.
Dem Clown, schon im Zirkus zumeist Einzelgänger und Außenseiter, darf man nicht trauen. Hinter der weißen Maske kann ein Verbrecher stecken, das ahnte der expressionistische Dichter und Maler Fritz Ascher bereits 1916: „Ein ganzer Mensch ward Mörder und gestört.“ Send in the clowns? Bloß nicht, lasst sie lieber draußen stehen.