Jubiläum der Villa Grisebach: Kühn und kalkuliert
Das Auktionshaus Villa Grisebach feiert sein 25-jähriges Bestehen. Berlin knüpft wieder an seine Tradition als Kunsthandelsstadt an
Wie die Fasanenstraße zwischen Ku’damm und Lietzenburger Straße noch bis 1984 aussah, vermag sich nicht vorzustellen, wer das deprimierende Bild nicht in Erinnerung hat. Die drei ehemals „hochherrschaftlichen“ Villen der Hausnummern 23, 24 und 25 standen als Teilruinen da, verwahrlost, dem Verfall preisgegeben, mochten sie auch 1980, nach dem Abschied von vormaligen, heute undenkbaren Straßenbauplänen, unter Denkmalschutz gestellt worden sein. Dann ging es mit einem Mal sehr schnell; das Land Berlin beschloss die Wiederherstellung der Nummer 23 zur Nutzung als Literaturhaus, die beiden anderen Grundstücke erwarb die Deutsche Bank, die Nummer 25, die sich, damals noch ihres Dachgeschosses mit Giebel und Türmchen beraubt, ans Nachbarhaus anlehnt, wurde auf 25 Jahre vermietet – an eine Gesellschaft, die erst im Entstehen begriffen war.
Heute, ein Vierteljahrhundert später, ist die Verlängerung des Mietvertrages um weitere 25 Jahre an die mittlerweile weltweit renommierte Villa Grisebach Auktionen GmbH kaum noch eine Notiz wert, so fest ist das Unternehmen ins Berliner Kultur- und Geschäftsleben eingewurzelt. Schon 1988, nur zwei Jahre nach dem Beginn der anfangs von vielen, wenn nicht den meisten Fachleuten skeptisch beurteilten Auktionstätigkeit, meinte der Deutsche-Bank-Chef, der ein Jahr darauf ermordete Alfred Herrhausen: „Villa Grisebach ist das größte Projekt, das wir jemals mäzenatisch gemacht haben, aber keines ist so gut gelungen!“
Bernd Schultz, Chef und spiritus rector des Hauses, hat zahllose Anmerkungen und Anekdoten zum Beginn seiner Schöpfung parat. Alle kreisen um ein zentrales Thema: die Sorge um die Stadt. „Berlin ist die Leidenschaft meines Lebens“, erklärt der gebürtige Düsseldorfer des Jahrgangs 1941: „Ich habe der Stadt unendlich viel zu verdanken – und vielleicht auch manches gegeben.“ Schultz kommt auf Richard von Weizsäcker zu sprechen, den er als Mentor und Freund bezeichnet, und unter dessen kurzer, aber prägender Ägide als Regierender Bürgermeister die Kunsthandelsmesse „Orangerie“ entstand. Die „Orangerie“, erstmals 1982 in Schloss Charlottenburg abgehalten, ist der Vorläufer der Villa Grisebach und war „nicht zuletzt der Absicht“ geschuldet, „Berlin auch weiterhin als eines der kulturellen Zentren unseres Landes im Bewusstsein zu erhalten“, wie Bernd Schultz im Katalogvorwort schrieb. „Im Bewusstsein zu erhalten“ – das muss man sich vergegenwärtigen, als damalige Stimmungslage West-Berlins, des bürgerlichen West-Berlin wohlgemerkt, das sich im Jahr darauf um die Bewahrung des Watteau-Gemäldes „Einschiffung nach Kythera“ scharte, das dem Schloss Charlottenburg durch Verkauf verloren zu gehen drohte. Schultz war mit von der Partie, neben dem großen Hermann Josef Abs, der Galionsfigur der Spender für den durchaus umstrittenen 15-Millionen-Mark-Ankauf des unschätzbaren Gemäldes. West-Berlin spielte im nationalen Bewusstsein weniger und weniger eine Rolle; und der Kunsthandel, der in Berlin einst ein Weltzentrum besaß, war ohnehin durch das Naziregime zerstört worden und nie wieder auch nur im Entferntesten zu früherer Bedeutung gelangt.
Unter diesen Umständen war es ein Wagnis, beinahe mehr ein mentales als ein ökonomisches, ein Auktionshaus in Berlin zu gründen. Die erste Auktion im November 1986 erbrachte 3,5 Millionen D-Mark; im vergangenen Jahr betrug der Umsatz knapp 35 Millionen Euro, nominal also das zwanzigfache. In der Spitze konnte Grisebach 51 Millionen Euro Jahresumsatz verzeichnen, „dann kam Lehmann“, wie Schultz die Bankenkrise lakonisch umschreibt. Doch „die Villa ist sehr organisch gewachsen, erst im Jahr 2000 haben wir die Fotografie-Abteilung eingerichtet, deren Kataloge mittlerweile regelrechte Sammlerstücke sind, und derzeit arbeiten wir an einer Abteilung für das 19. Jahrhundert.“ Im Juli tritt ein neuer geschäftsführender Gesellschafter ein, der diese Abteilung betreuen wird: Florian Illies, mit 39 Jahren der jüngste unter den dann fünf Geschäftsführern, bekannt durch das von ihm begründete Magazin der Gegenwartskunst „Monopol“, doch vom Studium her dem 19.Jahrhundert zugetan.
Bernd Schultz sitzt – im Habitus eines englischen Landedelmannes – im Turmzimmer der Villa Grisebach, umgeben von Kunst, vom spätrömischen Relief bis zu Grafiken von Picasso. Dessen vollständige „Vollard-Suite“ von 1930/37 mit ihren 100 Blättern liegt auf einem der Schreib- und Schautische. Deutsche Kunst der Klassischen Moderne bildet das Rückgrat des Auktionsgeschäfts, gemessen an den Höchstpreisen, die für Werke von Max Liebermann, August Macke und vor allem Max Beckmann erzielt wurden. Bereits 1988 war der erste „Weltrekord“ zu vermelden, damals für Lyonel Feininger, dessen „Raddampfer II“ 2,4 Millionen D-Mark einspielte. Adolph Menzels „Schafgraben“ brach 2003 mit 1,2 Millionen Euro den damaligen Höchstpreis für den Künstler. Das bislang teuerste Kunstwerk auf einer deutschen Auktion war 2005 Max Beckmanns „Anni“: Der Hammer fiel erst bei 3,9 Millionen Euro. Bei den anstehenden Frühjahrsauktionen geht es gelassener zu. Es kommen hochrangige Bilder von Ernst Wilhelm Nay zum Aufruf, bundesdeutsche Nachkriegsabstraktion, die ihre Anerkennung ebenso gefunden hat wie ihre Sammler. Doch auch Neo Rauch, der Leipziger Weltstar, wird vertreten sein, und Gerhard Richter sowieso.
„Wir sind als Unternehmung sehr horizontal“, beschreibt Schultz die flache Hierarchie: „Wenn kluge Köpfe zusammensitzen, kommt mehr heraus, als wenn jeder alleine vor sich hin werkelt.“ Und verweist auf Micaela Kapitzky, seit dem Jahr 2000 Mitgesellschafterin, „eine Stütze des Hauses“. Es gilt das Einstimmigkeitsprinzip: „Es hat in den vergangenen 25 Jahren keine einzige Entscheidung gegen jemanden gegeben.“ Grisebach – wie Schultz das Haus bezeichnet, denn „das ist eine Marke“ – hat 40 Mitarbeiter, davon allein 29 Kunsthistoriker. „Wir verwenden einen unendlichen Teil unserer Arbeit darauf, sorgfältig zu sein. Wir alle machen mal Fehler, aber dass wir keine Zeit gehabt hätten, sorgfältig zu sein – das kann und darf keine Ausrede sein.“ Damit umschifft Schultz die anstehende Frage nach dem Vertrauensverlust, den der Auktionshandel unlängst durch raffinierte Fälschungen erlitten hat: „Wir machen Dinge nur, wenn wir die notwendige Expertise haben. Zu jedem einzelnen Bild befragen wir denjenigen, der das Werkverzeichnis des Künstlers erstellt hat.“ Im Übrigen gebe es in der Stadt „ein großes Reservoir an jungen, intelligenten und interessierten Kunsthistorikern“.
Schon ist Schultz wieder bei Berlin, beim hiesigen Potenzial: „Wir haben sehr viele sehr reiche Leute hier, nicht nur an den Seeufern von Potsdam. Aufgeschlossene Sammler kommen gern nach Berlin, etwa zum Gallery Weekend Ende April, die kommen dann auch zu uns!“ Exakt 24 660 Adressen werden in der legendären Kartei des Unternehmens gepflegt, wie Schultz sich sofort durchs Telefon mitteilen lässt, davon 7500 im Ausland, „und jedes Mal verschicken wir 6500 Kataloge“. Das Ergebnis aufseiten des Kaufmanns ist makellos: „Wir haben in jedem Jahr schwarze Zahlen geschrieben.“
Grenzenlos erscheint in einem solchen Moment der Enthusiasmus des demnächst 70-jährigen, seit 1965 im Kunsthandel, in der Galerie Pels-Leusden tätigen Bernd Schultz. „Es hätte nicht besser kommen können“, bilanziert er ein Vierteljahrhundert Villa Grisebach. Und verrät sein Leit- und Lebensmotto: „Kühnheit, gepaart mit Vorsicht“. Zu Letzterem hat er schließlich eine Banklehre absolviert – vor allem Umgang mit Kunst.
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