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Die "vehicle-born operations" wie in Nizza im Sommer 2016 oder in Berlin im Dezember - eine beliebte Tötungsmethode des IS.
© dpa

Studie über IS-Attentate: Krieg per Selbstmord

Das Prinzip der menschlichen Bombe ist zum konventionellen Kriegsmittel geworden: Eine Studie untersucht die Attentate des Islamischen Staats.

Das Wort Amok entstammt dem malaiischen Begriff „amuk“, der für „wütend, rasend“ steht. „Amok, Amok!“, lautete der Kriegsruf, mit dem sich malaiische und javanische Krieger einst auf ihre Gegner warfen. Auch die Amucos, Elitesoldaten im vorkolonialen Indien, benutzten dasselbe Kriegsgeschrei. Ihrem König gegenüber waren sie zum gnadenlosen Kampf bis zum Tod verpflichtet. Die Assassinen, die sich wegen des Computerspiels „Assassin’s Creed“ und eines gleichnamigen Films mit Michael Fassbender gerade einer gewissen Popularität erfreuen, verbreiteten als schiitische Glaubenskrieger ab dem 11. Jahrhundert in Persien Angst und Schrecken. Sie schalteten ihre Gegner mit Auftragsmördern aus. „Opferbereite“ wurden die Attentäter, die mitunter auch in Gruppen auftraten, genannt, weil sie meist selbst starben.

Amokläufe geschehen scheinbar spontan und richten sich wahllos gegen alle und keinen. Doch schon im alten Malaysia, bei den Amucos und Assassinen wurde mit der Todesbereitschaft junger Fanatiker Politik gemacht. Der so genannte Islamische Staat (IS) hat „das Konzept des Märtyrertums industrialisiert“, sagt Charlie Winter. Zusammen mit dem Internationalen Zentrum für Terrorismusbekämpfung in Den Haag hat er 923 IS-Selbstmordattentate untersucht, die von Dezember 2015 bis November 2016 stattfanden. Seine Studie heißt „War by Suicide“, Krieg per Freitod.

Mehr als ein Foto des aktuellen Märtyrers bleibt nicht

Taktisch gesehen stehen die Anschläge des IS eher in der Tradition der japanischen Kamikaze-Angriffe des Zweiten Weltkriegs als des Terrors von al-Qaida in den nuller Jahren. 84 Prozent – oder 776 insgesamt – der Suizidattentate richteten sich gegen militärische Ziele, meist zur Verteidigung gegen das Vorrücken von gegnerischen Bodentruppen. Bei 70 Prozent – 651 – handelte es sich um „vehicle-born operations“, Angriffe, bei denen die IS-Selbstmörder PKWs, LKWs, Tanklaster oder andere Fahrzeuge steuerten.

„Die IS-Taktiker haben ihre Künste perfektioniert, nicht nur, was die Entwicklung von Sprengstoffen betrifft, die zuverlässiger als je sind, sondern auch bei der Schaffung eines ständigen Stroms von gehirngewaschenen Möchtengernselbst- mördern“, sagte Winter dem „Guardian“. Längst geht es bei den Suizidanschlägen nicht mehr darum, Angst zu säen oder Fernsehbilder zu generieren. Seit der „Islamische Staat“ aus immer größeren Teilen seines Territoriums vertrieben wird, ist das Prinzip der menschlichen Bombe zum konventionellen Kriegsmittel geworden. Im umkämpften Mossul werden durchschnittlich 19 Selbstmordattacken pro Woche gezählt, jede mit eigener strategischer Absicht. Nach jedem Attentat veröffentlicht der IS ein „breaking news“-Foto des aktuellen Märtyrers. Mehr bleibt nicht von ihnen.

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