Festival: Koschere Comics
Wie viel Judentum steckt in Superhelden - und ist die Darstellung des Simpsons-Clowns Krusty antisemitisch? Beim Comicfestival in München versuchten prominente Zeichner, diese Fragen zu klären.
Kann man Comics eine volksspezifische oder religiöse Identität unterstellen? „Comickeit is Jüdischkeit“, so bestimmt formulierte es Howard Chaykin. Er sieht den Comic in den USA nicht nur als ein primär von jüdischer Kultur beeinflusstes Medium, sondern verortet dort auch dessen wesentliche Ursprünge. Chaykin, bereits seit Anfang der 1970er Jahre als Autor und Zeichner aktiv, war gemeinsam mit Simpsons-Comics-Chefgrafiker Bill Morrison anlässlich des Münchener Comicfestivals eingeladen worden, um den Einfluss jüdischer Künstler auf das Superhelden-Genre zu diskutieren. Zwei weitere Veranstaltungen mit den ebenfalls aus den USA angereisten Sarah Glidden und James Sturm untersuchten die Darstellung jüdischer Themen anhand des historisch-politischen Kontextes ihrer Werke.
Der amerikanische Superhelden-Comic verdankt jüdischen Künstlern viele signifikante und weltbekannte Figuren wie Superman, Batman, Hulk oder die Fantastic Four. Dieses legte Chaykin anhand einer kulturellen Geschichtslektion dar, die man unter dem Obertitel „Die Welt, wie Howard Chaykin sie sieht“ einordnen könnte. Tatsächlich betitelt war sie allerdings „Jüdische Künstler in der Comic-Industrie“. Chaykin, seltsamerweise als „Superheldenveteran“ angekündigt, textete und zeichnete innerhalb seiner Karriere viele großartige Comics, davon ist allerdings nur ein geringer Teil dem Superhelden-Genre zuzurechnen. Seine richtungsweisende Serie „American Flagg“ (1983) brach noch vor Alan Moores „Watchmen“ (1986) und Frank Millers „Batman: The Dark Knight“ (1986) die erstarrten thematischen Erzähl- und Inhaltsformen der nordamerikanischen Comic-Books auf.
Sex, Gewalt und Kapitalismuskritik
Im Gegensatz zu den beiden letztgenannten Werken tauchten bei Chaykin auch keine Superhelden auf. Seine überzeugende grafische Integration eines manipulativen medialen Dauerinformationsfeuers innerhalb seiner Seitenarrangements sowie die damit einhergehende erweiterte Synthese von Bild und Text machen ihn zu einem der Pioniere der jüngeren Geschichte des Mediums. Zusätzlich sorgte er für eine erwachsenere Leserschaft, denn seine Darstellungen von Sex und Gewalt, die mit satirischer Kapitalismuskritik einhergingen, waren nicht gerade im Sinne des jugendbeschützenden und leserentmündigenden Comic-Codes.
Chaykin zeigte sich an diesem Abend als bestens mit kulturhistorischen Entwicklungen vertrauter Erzähler. Dessen Äußerungen wechselten von bitterem Zynismus zu Momenten tiefer Ernsthaftigkeit. Seine Bemerkungen über die Geschichte deutsch-jüdischer Einwanderer und deren Weg von Bremerhaven bis Ellis Island wussten zu beeindrucken. Sarkastisch führte er die klischeehaften Typisierungen jüdischer Physiognomien in Veit Harlans volksverhetzendem NS-Propagandafilm „Jud Süß“ vor: „Seine Nase wirft einen Schatten so lang wie seine Krawatte.“
Clark Kent? "Typisch jüdisch!"
Der ebenfalls teilnehmende Bill Morrison hatte während der überbordenden und dem Entertainment verpflichteten Vortragsweise Chaykins Mühe, Raum für eher leise Äußerungen zu seiner spät gefundenen jüdischen Identität zu schaffen. Von Geburt an presbyterianisch im Glauben großgezogen, integrierte er nach der Entdeckung seines jüdischen Familienhintergrundes den dort praktizierten Glauben. Dieser führt dazu, dass er als Jude an einen Erlöser glaubt. Morrisons Bekenntnis zu einem Messias wurde von Chaykin in totaler Ablehnung eines Glaubens an ein höheres Wesen als übernatürlicher Unsinn torpediert. Religion erfülle einzig und allein den Zweck, die Menschen im Zaum zu halten. Trotzdem schätze er unter anderem die "Sexyness" katholischer Skulpturen - wie überhaupt der Katholizismus zumindest ästhetisch am ehesten seine Sache sei.
An der Darstellung des jüdischen Clowns Krusty in den Simpsons ließ Chaykin kein gutes Haar, da durch diese seiner Meinung nach gängige Klischees bedient werden würden. Am Charakter Clark Kents machte Chaykin dann aber selbst typische jüdische Verhaltensweisen fest. Der bräuchte bloß seine Brille abzunehmen und könne sagen: „Schau her, ich bin Superman!“ Dies meint eigentlich „Sieh mich, wie ich wirklich bin!“ und steht nach Chaykins Meinung für den heimlichen Gedanken jedes jüdischen männlichen Jugendlichen seiner Generation in den Vereinigten Staaten. Auf Grund sozialer Stigmatisierung durch seine Umwelt müsse dieser sich allerdings wesentlich kleiner machen, als er eigentlich sei.
Das Verbleiben derart konditionierter junger Männer in einem vorwiegend der Belustigung der Unterschichten dienenden Medium wie dem Comic wäre also eine zwangsläufige und logische Konsequenz gewesen. Leute wie Will Eisner („The Spirit“), Gil Kane („Green Lantern“), Jack Kirby („Fantastic Four“) oder Chaykin selbst würden dies ebenso belegen wie die Attacke des amerikanischen Establishments durch die Hearings anlässlich der Einführung des amerikanischen Comic-Codes. Diese seien seiner Ansicht nach deutlich antijüdisch intendiert gewesen.
Selbstfindung in Israel
Nach einem gleichermaßen polarisierenden wie unterhaltsamen Künstlergespräch, das überwiegend mehr einer One-Man-Show glich, verließ man konsterniert oder beeindruckt den Veranstaltungsort des jüdischen Museums. Es blieb der Eindruck eines Künstlers, der lange mit seiner jüdischen Identität und seinem Zorn gerungen haben musste.
Einen etwas gelasseneren Umgang mit ihrer Identität sowie dem Moderator pflegte etwa zweieinhalb Stunden zuvor die junge amerikanische Künstlerin Sarah Glidden. Sie stellte dort ihr Debüt „Israel verstehen in sechzig Tagen oder weniger“ vor, dessen Titel natürlich ein Witz ist. Die Zeichnungen, die schwarz-weiß mittels Bleistift skizziert und dann mit Aquarellfarben nachgetuscht wurden, vermitteln selbst innerhalb unangenehmerer Sequenzen einen an naive Malerei erinnernden eigentümlichen Frieden. Dies mag ein Kunstgriff sein, denn das in der naiven Malerei vermittelte Wunschbild einer heilen Welt erschließt sich dem Betrachter nur über das Wissen um den darin enthalten Kontrast zur Realität des Alltags.
Und die Geschichte des Staates Israels ist bis heute reich an harten Alltagsrealitäten. Ohne explizit Partei zu ergreifen, sucht Glidden als Hauptperson in ihrer Geschichte nach Informationen über den Staat Israel und dessen Rolle im Nahostkonflikt. Dadurch erleichtert sie dem Leser die Identifikation. Die einfach gehaltenen Personendarstellungen unterstützen diesen Vorgang. Ganz im Sinne der Theorie Scott McClouds, so Glidden im Künstlergespräch. In dieser postulierte er ein sich verminderndes Identifikationspotential einhergehend mit dem Detailreichtum einer (Personen-) Darstellung.
Fiktionalität sei nicht ihre Sache, teilte Glidden dem zahlreich erschienen Publikum mit. Sie sehe ihre Zielgruppe eher bei an Nachrichten und Hintergründen uninteressierten Lesern. Denen möchte sie über ihre Comics Zugang zu diesen Themen verschaffen. Im Rahmen einer vom Staat Israel gesponserten Reise für in anderen Ländern der Welt lebende Juden lernte Sarah Glidden den dortigen Alltag kennen. Als Vorbild für die in Folge dieser „Birthright“-Tour entstandenen Arbeit benennt sie unter anderem Joe Saccos „Palästina“. Ihren Comic verortet sie zwischen autobiographischem und journalistischem Werk.
Vom Persepolis-Effekt profitiert
Als säkularisierte Jüdin hätte sie sich bis kurz vor Antritt der „Birthright“-Tour keine allzu großen Gedanken über ihre jüdische Identität gemacht. Nach dem Abschluss ihrer Reise jedoch war sie in Folge der vielfältigen Eindrücke mit dem Hinterfragen ihrer religiösen und kulturellen Identität stark befasst. Ihr an diesem Abend zu spürendes in sich ruhendes Auftreten ist sicher ihrer konkreten thematischen künstlerischen Auseinandersetzung geschuldet. Diese verlief sehr wahrscheinlich bewusster als bei Howard Chaykin, der allerdings auch dreißig Jahre älter ist und einer Generation entstammt, für die Auseinandersetzungen mit der eigenen Person nicht üblich waren.
Dass sie darüber hinaus ebenso schnell auch noch Popularität erlangen würde, habe sie nicht geahnt, äußerte Glidden. Sie erzählte, wie sich das DC-Sublabel Vertigo im Zuge des „Persepolis“-Effektes überraschend ihres Werkes angenommen hatte. Die Ähnlichkeit bei der Verknüpfung biografischer und politischer Inhalte zu Marjane Satrapis Comic-Bestseller mag wohl auch eine Rolle gespielt haben. Außerdem solle der positive monetäre Effekt in Folge der „Watchmen“-Verfilmung ebenfalls eine ausschlaggebende Rolle für das für DC-Verhältnisse derart wagemutige Projekt gegeben haben. Da der amerikanische Großverlag aber gegenwärtig sein Programm umstrukturiere und eher einen weniger experimentellen „Back-to-Basics“-Kurs eingeschlagen habe, werde es wohl vorerst keine weiteren Projekte mit DC geben.
Diese seien bereits in Arbeit und führten sie, wie auch zum Ende ihres Israel-Comics nachzulesen, über die Türkei in den Nordirak und nach Syrien. Auf die Bemerkung von Moderator Michael Kompa, dass sie sich mit derartigen Einträgen im Reisepass in Amerika womöglich nicht mehr blicken lassen könne, versicherte Glidden ruhig und ernst, dass dem keinesfalls so wäre. Sie lenkte das Gesprächsthema zurück auf ihre Arbeitsweise. Mittlerweile experimentiere sie auch mit anderen Maltechniken. Wichtiger Ausgangspunkt seien aber weiterhin Notizen und fotografische Vorlagen, nach denen sie dann ihre Bilder gestalte.
Auf der Suche nach Sicherheit
Fotografien als Arbeitsgrundlage spielen ebenfalls eine Rolle in James Sturms neuem Comic „Markttag“. Im Amerika-Haus hielt er einen Vortrag über sein Werk und führte danach ein Gespräch über einige Aspekte seiner Arbeit mit Andreas Platthaus (FAZ).
Sturm lehnt eine Reduzierung auf einen jüdischen Künstler mit Focus auf diese Themen für sein Werk ab, wenn gleich ein Teil seines Werkes jüdischen Personen gewidmet ist. Der letzte Teil seiner „Americana“-Trilogie erzählt vom jüdischen Baseball-Team „The Mighty Golems“, in dem er deren Geschichte nacherzählt. Den interessierten Zuhörern erklärte Sturm, dass das Spiel als Metapher fungiere: Das Erreichen des nächsten sicheren Standpunktes („Base“) symbolisiere das Umherwandern des jüdischen Volkes auf der Suche nach einem sicheren Platz in der Welt.
Auch wenn die Hauptperson in „Markttag“, der Teppichknüpfer Mendelmann, Jude sei, so Sturm, habe dies nicht unbedingt Bezug zu seiner Person. Dennoch ist die jüdische Identität und Sturms Bezug zu ihr zweifelsohne eine Motivationsquelle, wenn Sturm die Fotos osteuropäischer Juden aus den dreißiger Jahren als Ausgangspunkt für „Markttag“ benennt. „Diese Leute waren besser als die Umstände, in denen sie lebten“, sagte Sturm, und dass er den auf den Fotos liegenden „Schatten des Tragischen durch Würde ersetzen“ wolle.
Weit weniger pathetisch als diese Formulierung legt er dagegen seinen Zeichenstil an. Sein erstes längeres koloriertes Werk nutze die einfarbigen und detailarmen Hintergründe zur Konzentration auf das Zentrum des Bildes und die handelnden Personen. Als Fan von Marjorie Henderson Buells Comic-Strip „Little Lulu“ aus den 1930er Jahren adaptierte er diesen dort ebenfalls praktizierten Stil der Reduktion. Die häufigen Perspektivenwechsel mancher Comiczeichner seien ihm ein Gräuel, so Sturm. Er vermute, dies geschehe zur Kaschierung ihrer substantiell armen Geschichten und um das Interesse der Leser nicht zu verlieren.
Von Teppichknüpfern zu Superhelden
Diese Einschätzung hält ihn aber nicht von kommerzielleren Projekten in der amerikanischen Comic-Großindustrie ab: Seine Arbeit für Marvel-Comics als Autor an deren „Fantastic Four“-Serie habe er als angenehm empfunden. Er würde, wenn man ihn ließe, sogar gern ein weiteres Projekt bei Marvel verwirklichen: Eine Team-Up-Story mit Thor und Hercules im Stil der Clint-Eastwood-Action-Komödie „Der Mann aus San Fernando“. Sein Wunschzeichner dafür wäre Steve Rude („Nexus“), dessen stilistische Nähe zu Jack Kirby ihn besonders für dieses Projekt qualifiziere.
Sturm, dessen Alter jeweils fünfzehn Jahre Abstand zu dem Gliddens und Chaykins aufweist, repräsentiert einen anderen Umgang mit der jüdischen Identität. Sie findet in seinem Werk statt, wird aber nicht biographisch thematisiert, sondern auf metaphorischer oder adaptierender Ebene (Fantastic Four und Jack Kirby) abgehandelt. Howard Chaykins jüdischer Antiheld Reuben M. Flagg, der durchaus selbstreferentielle Züge trägt, ist ohne Kenntnis der biographischen Details des Autors nicht so einfach zu diesem in Bezug zu setzten.
Bei Sarah Glidden hingegen stellt sich diese Frage nicht – ist sie doch selbst die Protagonistin ihres Werkes. Man könnte hier auf eine schleichende Bewusstwerdung in Folge von Zeitlauf und Generationenwechsel schließen. Doch die jüdische Religion ist die eines fortwährenden Studiums der Thora und einer Neuinterpretation ihres Inhaltes. Das unterscheidet sie grundlegend von anderen Religionen. Dies beinhaltet letztendlich eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und ist unabhängig von Glaubens- oder Herkunftsfragen grundsätzlich jedem menschlichen Wesen anzuraten. Wenn jüdische Künstler also Einfluss auf verschiedenste Aspekte von Kultur (und damit auch auf die Comics) hatten, so ist dies weniger einer spezifischen jüdischen Identität der Künstler zuzuschreiben, sondern einem selbstbewussten Umgang mit dieser sowie der jeweiligen Reaktion ihrer Umwelt auf diese Tatsache.
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