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Kultur: Konkurrenz der Tiere

Meister der kleinen Form: Die Berliner Liebermann-Villa würdigt den Bildhauer August Gaul

Über seine Kunst kann man in Berlin beinahe stolpern. Ein Sandstein-Löwe von ihm steht im Kolonnadenhof vor der Alten Nationalgalerie, in der Wuhlheide balanciert sein Bronze-Bär auf einer Kugel, und der vergoldete Kupfer-Hirsch aus seiner Hand überragt auf einer Säule den Rudolf-Wilde-Park am Schöneberger Rathaus. August Gaul hat das Stadtbild geprägt wie wenige andere Bildhauer. Aber seine Skulpturen, die fast immer ungefähr lebensgroße Tiere zeigen, fallen nicht weiter auf: weil sie so harmlos und realistisch wirken.

Dabei war Gaul durchaus einmal ein Erneuerer, beinahe ein Avantgardist. Eine Ausstellung in der Liebermann-Villa am Wannsee würdigt ihn als ersten modernen Bildhauer Deutschlands, der sich mit seinen auf die wesentlichen Formen reduzierten Werken vom Pomp des wilhelminischen Neobarock abwandte. Der Naturalismus, der sich in der Malerei bereits durchgesetzt hatte, erreicht mit ihm die Bildhauerei. Nach einem Italienaufenthalt beginnt Gaul 1898, neben den ikonografisch bereits eingeführten, oft heroisch aufgeladenen Löwen, Bären und Pferden auch bis dato als minderwertig geltende Haus- und Nutztiere wie Ziegen, Gänse oder Schweine abzubilden. Ein revolutionärer Akt. Mit seinem 1912 entstandenen „Eselreiter“ – das Stück wurde aus dem Spandauer Rathaus entliehen – ironisiert der Künstler das Genre des Reiterdenkmals. Für den Jungen, der breitbeinig auf dem Esel sitzt, dient Gauls Sohn Peter als Modell. Der Esel heißt „Fritze“, er war der Familie von Tilla Durieux geschenkt worden, der Frau von Gauls Galeristen Paul Cassirer.

Die Ausstellung profitiert vom Genius loci. Liebermann war mit Gaul befreundet, beide gehörten zu den Gründern der Berliner Secession. 1909 schenkte der Maler seiner Frau Martha Gauls „Fischotterbrunnen“ zu Weihnachten. Seinen Platz fand der Brunnen an der schönsten Stelle des damals im Bau befindlichen Gartens, auf der Blumenterrasse vor den Fliederbüschen. Ein Standort, den Liebermann mit seinem Berater Alfred Lichtwark festlegte, dem Direktor der Hamburger Kunsthalle. Martha Liebermann wurde 1940 von den Nationalsozialisten aus der Villa gedrängt, 1943 nahm sie sich das Leben, um der Deportation zu entgehen. Seither gilt die Brunnenfigur als verschollen. So ist jetzt bloß ein späterer, leicht vergrößerter Nachguss zu sehen.

„Jede seiner Tierplastiken möchten wir mit zärtlicher Hand liebkosen: Sie gehen uns zu Herzen, weil der Meister ihnen seine Liebe eingeflößt hat“, sagte Liebermann in seiner Grabrede, als Gaul 1921 mit nur 51 Jahren gestorben war. Die Bewohner der 1870 gegründeten Villenkolonie Alsen liebten die Tierplastiken so sehr, dass ein ganzer Zoo von Gaul-Skulpturen am Wannsee entstand. Eine kleine Sensation ist die Rückkehr der Figuren eines „Pinguinbrunnens“ für die Dauer der Ausstellung. Der Brunnen gehörte Liebermanns Nachbarn, dem Chemiker Franz Oppenheim und seiner Frau Margarete, verschwand vor dem Krieg und befindet sich heute in der Schweiz im Besitz der Familie.

August Gaul lernte früh, den Kunstmarkt zu bedienen. Mit dem Relief „Christen in einem römischen Circus“ gewann er 1897 einen Wettbewerb der Königlichen Akademie der Künste. Die dramatische Szene zeigt wehklagende, um ihr Leben flehende oder stoisch ausharrende Märtyrer, noch eindrucksvoller sind die wilden Tiere gestaltet, vor die sie geworfen wurden. Gaul besaß eine Dauerkarte für den Berliner Zoo, beinahe täglich arbeitete er dort an Studien. Seine Kleinbronzen, bestens geeignet als Dekoration für den Kaminsims, tragen Titel wie „Trompetender Elefant“ oder „Schreitender Strauß“. Besonders beliebt ist der „junge sitzende Löwe“, wegen seiner tollpatschigen Haltung auch „Dusselchen“ genannt.

In der Kaiserzeit entfachten Gauls Tiere hitzige Debatten. 1905 siegte der Künstler mit einem monumentalen Brunnenentwurf bei einem Wettbewerb für die Gestaltung des Charlottenburger Steinplatzes. Aus dem Rüssel eines aufgesockelten Elefanten sollte sich Wasser ins Becken ergießen. Den Stadtherren hatte die Idee nicht genug mit dem Freiherrn zu Stein zu tun, sie schrieben einen neuen Wettbewerb aus. Noch in seiner Zeit als Meisterschüler des Erfolgsbildhauers Reinhold Begas hatte August Gaul am Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal mitgearbeitet. 1950 wurde das Hohenzollern-Monument demontiert. Den Abriss überstanden nur zwei Löwengruppen Gauls, heute zu finden im Tierpark Friedrichsfelde.

Liebermann-Villa, bis 27. Februar, Mi–Mo 11–17 Uhr.

Christian Schröder

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