Lana del Rey im Berliner Velodrom: Königin ohne Land
Melancholischer Zeitlupen-Pop: Lana del Rey gibt im Berliner Velodrom vor rund 8000 Zuschauern ein uninspiriertes Konzert. Im Hintergrund flimmern die Videos, mit denen sie bekannt geworden ist. Immerhin lächelt die 26-jährige Sängerin zwischendurch auch mal.
Der amerikanische Traum ist tot. Doch seine Leiche sieht immer noch verdammt gut aus. Seinen morbiden Charme hat in der letzten Zeit kaum jemand so brillant in Szene gesetzt wie Lana del Rey, deren millionenfach geklickte Videos düstere Sehnsuchtscollagen aus schnellen Autos, weißen Villen, torkelnden Starlets und tätowierten Rockertypen sind. Das Sternenbanner flattert auch meist irgendwo umher. Stolz sieht es dabei kaum einmal aus – eher wie der traurige letzte Stofffetzen, der die White-Trash-Massen noch mit ihrem Land verbindet. Und Lana del Rey spielt für sie die kaputte Königin.
Im Berliner Velodrom hängt die US-Flagge etwas lieblos über einer Box hinter dem Gitarristen. Sie ist Teil einer gerümpeligen Art-Déco-Kulisse aus Papplöwen, Palmen und einem Paravent, der als Leinwand dient. Lana del Rey wirkt ein wenig verloren in der Mitte dieses Arrangements, fast wie ein Kind, das sich verlaufen hat. Sie trägt Lolita-Unschuldslook: langärmliges Minikleid, flache weiße Schuhe, den Pony der langen, mittlerweile dunkelbraunen Haare zurückgesteckt. Nach einem kurzen „Wow“ zur Begrüßung singt sie: „My pussy tastes like Pepsi Cola / My eyes are wide like cherry pies / I got a taste for men who’re older / It’s always been so, it’s no surprise“. Vier Zeilen, die das Verruchtheit-trifft-Mädchenhaftigkeit-Konzept der Kunstfigur Lana del Rey kompakt zusammenfassen – eine ideale Show-Eröffnung also. Allerdings spart die 26-jährige Sängerin den lasziven, am Porno-Chic orientierten Teil ihrer Inszenierung auf der Bühne völlig aus. So bleibt nur der brave Girlie-Part mit dem Fünfziger-Jahre-Sekretärinnen-Vibe. Ab und an lächelt Lana del Rey sogar, was sie auf Bildern und in Videos stets vermeidet. Und tatsächlich steht ihren überdimensionierten Lippen der Schmollmund auch deutlich besser als nach oben zeigende Mundwinkel.
Ihre Stimme ist kraftvoll, und ihre somnambule Intonation nimmt sofort gefangen. Backgroundsängerinnen braucht Lana del Rey nicht. Allerdings bereiten ihr die höheren Lagen manchmal Probleme, was sie durch Abkürzungen oder alternative Phrasierungen etwa im Refrain von „Blue Jeans“ zu überdecken versucht. Zum Beweis, dass sie durchaus hoch singen kann, streut die New Yorkerin gelegentlich Passagen mit dekorativem „Uhhh“-Gejodele ein. Die kleinen Unsauberkeiten scheinen mehr eine Konzentrationsfrage zu sein, wie die Coverversion von „Blue Velvet“ zeigt. Hier legt sich Lana del Rey richtig ins Zeug, jeder Ton sitzt und strahlt. Vielleicht ist die Sängerin besonders motiviert, weil sie den Vertrag mit der schwedischen Bekleidungsfirma behalten will, für die sie den Song eingesungen und als Model gearbeitet hat.
Ihren größten Hit singt sie lustlos herunter
Ein erster Konzerthöhepunkt ist nach einer Viertelstunde „Born To Die“. Beim Titellied ihres Debütalbums, das in elf Ländern den ersten Platz der Charts eroberte, lässt sie die Refrainzeile von den 8000 Zuschauern singen. Es klingt mehr wie ein Aufschrei denn wie Gesang. Das kann diesem perfekten Popsong jedoch nichts anhaben, denn die in tiefblaue Melancholie getauchten Strophen sind ohnehin das Faszinierendere daran. Und del Rey zeigt sogar eine kleine Performance-Idee: Während sie vom Highwerden singt, hebt sie beim ersten Mal die Hand zur Nase und deutet beim zweiten Mal einen Zug aus einem Joint an. Ansonsten agiert sie äußerst statisch. Ihr Bewegungsrepertoire besteht aus dem Abschreiten der Bühne sowie dem Auf-die-Knie-Sinken.
Natürlich kann man zu den stets in mittlerem Tempo gehaltenen, atmosphärisch ähnlichen Stücken keine ausgeflippten Choreografien aufs Parkett legen. Dass Lana del Rey allerdings so gar keine Aura entfaltet, macht ihr Konzert zu einer einlullenden Erfahrung. Offenbar ist sich die Sängerin, die sich nach dem Vierziger-Jahre-Star Lana Turner und einem Auto-Modell nannte, ihrer Null-Ausstrahlung bewusst. So geht sie schon während des ersten Stücks in den Graben vor der Bühne und sucht den Kontakt zum kreischenden Publikum, schüttelt Hände, nimmt Zettel und Stofftiere an, lässt sich berühren. Es sieht wie eine Pflichtübung aus und kann die plastikhafte Anmutung ihres Auftritts nicht auffangen. Die Band gibt ihr Bestes, um ein bisschen Seele in die Angelegenheit zu bringen. Vier Streicherinnen und ein Pianist legen geschmackvolle Soundteppiche aus, der Schlagzeuger schlägt dazu präzise wuchtige Hip-Hop-Beats, der Gitarrist setzt verzerrte Akzente. Um ein bisschen Dynamik in das knapp 90-minütige Set zu bringen, spielen sie „Heart Shaped Box“ von Nirvana, was sich aber ziemlich schnell als Schnapsidee erweist. Wenn Lana del Rey versucht, die Verzweiflungsschreie von Kurt Cobain zu kopieren, wirkt sie einfach nur lachhaft.
Das Konzertformat liegt der Sängerin eindeutig nicht. Ihre Stärke sind finster schillernde Popsongs, verpackt in Vintage-Optik-Videos. Letztere laufen denn auch allesamt auf der Leinwand im Hintergrund. Lana del Rey tritt immer wieder zur Seite, damit der Blick darauf unverstellt ist, fast als wolle sie sagen: Seht her, das sind meine wahren Kunstwerke. Ausgerechnet „Video Games“, ihr erster und größter Hit, gerät zum Tiefpunkt der Show. Völlig gelangweilt singt sie das Stück herunter, das vor allem als Youtube-Clip bekannt wurde. Ohne Zugaben und ohne Gruß verlässt die Königin die Bühne. Immerhin: Die Band verbeugt sich noch.
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