Zum Tod des Schauspielers Gert Voss: König, Clown, Voss
Ein herzzerreißender Komiker, ein furchteinflößender Dämon: So nennt ihn sein langjähriger Weggefährte und Intendant Claus Peymann. Nun ist der große Schauspieler Gert Voss gestorben, in Wien, wo er am Burgtheater seine größten Triumphe gefeiert hat.
Er ist ein gefährlicher, nackter Schauspieler, ein unheimlicher Clown. Ein wilder Stier, aus dem Käfig ausgebrochen in die Theaterwelt.“ - So hat Regisseur George Tabori einst den Schauspieler Gert Voss beschrieben. Kraft, Intensität, Instinkt, Leidenschaft haben Voss auf den deutschsprachigen Bühnen zu einer einzigartigen, vielfach umjubelten Karriere getragen. Nun ist Gert Voss, einer der herausragendsten Schauspieler seiner Generation, in Wien gestorben, am Sonntag, nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 72 Jahren, wie das Burgtheater mitteilte.
Voss war Ehrenmitglied der "Burg" und Träger zahlreicher Auszeichnungen wie des Fritz-Kortner- und des Nestory-Preises. Fast 30 J ahre war das Burgtheater seine künstlerische Heimat. „Das Burgtheater ist in tiefer Trauer über den Verlust dieses in der europäischen Theaterwelt einzigartigen Schauspielers und großen Menschen“, teilte die Bühne mit. „Mit Gert Voss verliert das Burgtheater einen virtuosen Charakterdarsteller mit phänomenaler Strahlkraft“, sagte Interims-Intendantin Karin Bergmann. Nicht nur in Wien hat er zahlreiche große Rollen gespielt, war König und Clown, tobte, litt und weinte wie kein Zweiter. Die Kritiker feierten ihn als den „gewaltigsten deutschen Schauspieler“ („Frankfurter Allgemeine Zeitung“). Die britische Tageszeitung „The Times“ kürte ihn 1995 sogar zum besten Schauspieler Europas.
Seine Rollen, zu denen auch der Salzburger "Jedermann" gehört, lesen sich wie das „Who is Who“ im klassischen Theaterleben: Richard III., Wallenstein, König Lear, Mephisto, Othello. Mit seiner charakteristischen leicht rauen, eindringlichen Stimme und einem Körper, den er jeder Rolle anpasste, lotete er alle Nuancen einer Figur aus: Mal bewegte er sich, als Othello, geschmeidig wie eine Raubkatze über die Bühne, mal war er, als König Lear, ganz in Schmerz aufgelöster alter Mann, oder, in „Maß für Maß“, ein nicht greifbarer, unberechenbarer Vincentino.
Die Liebe zum Schauspiel entdeckte er schon als Kind. Seine Familie lebte damals in China, wo Gert Voss am 10. Oktober 1941 in Shanghai geboren wurde; sein Vater war dort Kaufmann. Oft besuchte er die Kinopaläste Shanghais. Als seine Familie 1947 nach Deutschland zurückkehrte, habe er während der Überfahrt an Bord zahllose Filme angeschaut, erinnerte er sich in seiner 2011 erschienenen Autobiografie „Ich bin kein Papagei“. Als Student trat Voss im Kirchenkabarett und im Tübinger Studententheater auf. Als ihm bei einer Eignungsprüfung Talent bescheinigt wurde, entschied er sich gegen das Studium und für privaten Schauspielunterricht. Nach Stationen in Konstanz, Braunschweig, München, Stuttgart und ab 1979 in Bochum wechselte er 1986 mit Intendant Claus Peymann ans Burgtheater.
Claus Peymann: "Gert Voss ist Teil meines Lebens gewesen."
Das Duo Peymann-Voss mischte die Wiener Burg auf. Die Gunst des Publikums eroberte Voss als Richard III.. Daraus wurde „sofort eine Leidenschaft, eine Leidenschaft zwischen dem Theaterkönig und dem Wiener Publikum“, würdigte ihn die jetzige Interims-Intendantin des Burgtheaters, Karin Bergmann. „Der Spieler-Titan war im Theater-Olymp angekommen.“ Voss' Vision: „Das Schönste wäre, dass man so spielt, dass der Zuschauer noch die ganze Nacht davon träumt oder noch Tage davon erzählt und sich damit beschäftigt.“ Sogar den äußerst kritischen Thomas Bernhard beeindruckte er; in den Achtzigerjahren schrieb der Schriftsteller und Dramatiker für ihn und zwei Kolleginnen ein eigenes Stück, das bis zuletzt in der Originalinszenierung an der Burg gespielt wurde: "Ritter, Dene, Voss".
Claus Peymann, heute Intendant am Berliner Ensemble, hat zutiefst betroffen auf den Tod von Gert Voss reagiert. "Er ist ein Teil meines Lebens gewesen. Mit ihm ist der wichtigste Weggefährte meiner Theaterarbeit verschwunden“, erklärte Peymann am Montag. „Ich könnte heulen.“ Er sei mit Gert Voss durch alle Wonnen des Theaterglücks und alle Schrecken der Theaterhölle gegangen, so Peymann. „Möge er sich im Theaterhimmel zusammen mit Josef Kainz, Orson Welles und den anderen Auserwählten von den Anstrengungen und der Unruhe seiner unstillbaren Leidenschaft erholen.“ Voss sei ein Theatergenie gewesen: „Grandioser, herzzerreißender Komiker - und zugleich furchteinflößender Dämon. Das europäische Theater hat einen seiner ganz Großen verloren.“
Dabei hatte Voss selbst auch ein durchaus distanziertes Verhältnis zum Theaterbetrieb. „Die Dummheit am Theater ist gewaltig“, resümierte er, „die Eitelkeit, auch die Selbstgenügsamkeit.“ Seine Herangehensweise an die Rollen war eher praktisch. „Ich bin kein theorieverliebter Mensch. Ich merke erst beim Probieren, wie gut ein Stück ist, ich muss tun.“ Er hat es in einer Art und Weise getan, die den ehemaligen Co-Direktor des Burgtheaters, Hermann Beil, faszinierte: „Voss verwandelt die Bühne, indem er um sein Leben spielt. Er geht aufs Ganze, und weil er stets aufs Ganze geht, bringt er immer etwas anderes mit auf die Bühne.“
Eine der letzten großen Rollen war "Tartuffe" in einer Inszenierung von Luc Bondy am Wiener Akademietheater. Auch in Filmen trat er immer wieder auf. Zuletzt stand er für "Labyrinth des Schweigens" von Guilio Ricciarelli mit Alexander Fehling vor der Kamera. In dem Film über den Gerichtsprozess um einen ehemaligen Auschwitz-Wärter in den 50er-Jahren spielt er den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer. "Labyrinth des Schweigens" kommt im November in die Kinos. Tsp/dpa
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