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Saviano-Buch "Der Kampf geht weiter": Komm weg mit mir

Reden über Italien und die Mafia: Roberto Saviano gibt den Kampf nicht auf.

Stellen wir uns das einmal vor: Bayern München spielt in der Champions League gegen Real Madrid, parallel läuft im Fernsehen noch das „Dschungelcamp“, aber Quotensieger des TV-Abends wird ein junger Buchautor, der zur selben Zeit auf Arte oder 3sat einfach nur über deutsche Verhältnisse spricht, beispielsweise über die Nazimörderzelle in Thüringen, den Verfassungsschutz oder die Geschäftspraktiken eines Bundespräsidenten. Es wäre ein schlechter, aber schöner Witz. Doch etwas in dieser Art ist geschehen, sogar noch toller, nur nicht bei uns.

Manchmal wollte es ja scheinen, als sei fast ganz Italien entmündigt worden durch anderthalb Jahrzehnte Kitsch, Propaganda und vulgären Schwachsinn der vor allem das Fernsehen beherrschenden Berlusconi-Medien. Aber dann kommt, noch zu Berlusconis Zeiten, der neapolitanische Journalist und Schriftsteller Roberto Saviano, den sein Buch „Gomorrha“ berühmt gemacht und die Verfolgung durch die Camorra beschert hat. In Italien muss er deshalb mit Bodyguards im Untergrund leben – und er kämpft um eine Fernsehsendung.

Spätnachts sah man Saviano schon manchmal auf italienischen Kanälen. Doch nun soll er im Dritten Programm des Staatsfernsehens, auf Rai Tre, unter dem Titel „Vieni via con me“ („Komm weg mit mir“) teils allein, teils mit ein, zwei Gästen nichts weiter tun, als über die italienische Gegenwart und Geschichte, über Politik, soziale Verwerfungen und das organisierte Verbrechen und den Einfluss der Mafia zu sprechen. Die Vorbereitung der Sendung aber wird behindert, das schmale Budget weiter beschnitten, der Autor Saviano wird diffamiert, auch vom damaligen italienischen Innenminister, der gleich mit der Absetzung des Programms droht (und sich kurz darauf entschuldigt).

Als „Vieni via con me“ im November 2010 dann erstmals ausgestrahlt wird, läuft auf den größeren Konkurrenzkanälen die Champions-League-Partie Inter Mailand gegen FC Barcelona und daneben Italiens populäre Version von „Big Brother“. Aber Roberto Saviano gewinnt elf Millionen Zuschauer, rund ein Fünftel der Gesamtbevölkerung, in der Relation ist das mindestens die Resonanz wie bei Thomas Gottschalks Finale von „Wetten dass..?“, und da gab’s nebenan keine Champions League.

Über einige Hintergründe seiner Sendung berichtet Roberto Saviano nun in einer knapp 30-seitigen Einleitung, die er eigens für „Der Kampf geht weiter“, die deutsche Buchausgabe des italienischen Bestsellers „Vieni via con me“, geschrieben hat. „Oft denke ich, dass eine Erzählung wie ein Virus wirkt, denn auch eine Erzählung kann ansteckend sein“, das ist sein Credo und zugleich das Geheimnis seines enormen Erfolgs. Manchmal tritt Saviano, trotz aller Mafiamorddrohungen, auch als Performer im Theater auf – so im Herbst 2010 in der Berliner Volksbühne. Höchstens ein Stuhl, kaum Requisiten, ab und an eine Film- oder Fotoprojektion im Hintergrund, mehr braucht dieser kleine, bleiche Mann von heute 31 Jahren nicht. Seine Augen leuchten dunkel, doch die Erzählungen, Zeugenberichte, Zeugnisse sind hell, klar, entschieden. Wie die Texte, auf denen sie beruhen und die jetzt in dem neuen Buch als Redeessays gesammelt sind.

Dabei spricht Saviano ausdrücklich auch Deutschland und Europa an. Er verweist immer wieder darauf, dass die italienischen Mafiaorganisationen längst international operieren, was deutsche Behörden oder auch nur die Gäste mancher Pizzerien gerne verdrängen. Trotz der sechs Morde in Duisburg 2007 werde insbesondere die Macht der kalabrischen ’Ndrangheta weiter unterschätzt. Nicht nur Saviano hält die Kalabresen, die beispielsweise bei den milliardenschweren Bauten für die Weltausstellung 2015 in Mailand kräftig mitmischen, für international noch erfolgreicher als die sizilianische Cosa Nostra oder die kampanische Camorra rund um Neapel. Alle drei Hauptorganisationen der Mafia profitieren allerdings von der Finanzkrise, weil sie dank hunderter Milliarden Schwarzgeldvermögen Staaten und Banken auf vielerlei Wegen aus Liquiditätsklemmen helfen. So erfährt die Geldwäsche ihren (in-)offiziellen Segen.

Apropos Mailand. Italiens Wirtschaftsmetropole ist auch die Hauptstadt der Lega Nord, Berlusconis langjährigem Koalitionspartner. Und makaber wirkt doch, wie offen Gianfranco Miglio, einer der Gründungsväter der für die Abspaltung des reichen Nordens kämpfenden Regionalistenpartei, über die ökonomische Bedeutung der Mafia und den Süden spricht. Laut Saviano, der aus 2009 gesicherten richterlichen Ermittlungsakten zitiert, habe der Lega-Mann schon zehn Jahre zuvor für eine Art gelenkte Demokratie unter einem „Befehlshaber“ und mit Beteiligung der ’Ndrangheta in Süditalien plädiert. Zitat Miglio: „Der Süden sollte … nicht auf das europäische Modell reduziert werden. Es gibt auch eine gute Form von Klientelismus, der Wirtschaftswachstum generiert.“ Hierzu passt, dass sich Chinas autoritärer Turbokapitalismus seit Jahren in der italienischen (Schatten-)Wirtschaft kräftig engagiert und beispielsweise den Containerhafen Neapels und Teile der Textilindustrie beherrscht.

Auch wenn eine zweite Auflage der deutschen Buchausgabe an einigen Stellen den Regierungswechsel von Berlusconi zu Monti berücksichtigen sollte, sind Savianos Erzählungen und Essays wieder beispielhaft für eine politische Publizistik, die Impressionen und Interpretationen auch von Bruchstücken, die sonst im Dunkel bleiben, zu einem Zeitbild Italiens und Europas machen.

Roberto Saviano: Der Kampf geht weiter. Widerstand gegen Mafia und Korruption. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann und Rita Seuß. Carl Hanser Verlag, München 2012. 175 Seiten, 17,90 Euro.

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