Bayreuther Festspiele 2015: Knall auf Schwall
Christian Thielemann triumphiert, Katharina Wagner probiert: Die Bayreuther Festspiele eröffnen mit „Tristan und Isolde“.
Er stand mal wieder im Zentrum aller Stürme. Die Berliner Philharmoniker sind so zerrissen, dass sie die Chefwahl erstmal platzen lassen? Eva Wagner-Pasquier, noch Ko-Festspielleiterin, darf angeblich den Bayreuther Hügel nicht mehr betreten? Anja Kampe gibt vier Wochen vor der Premiere ihre Rolle als Isolde zurück? Immer soll es etwas mit Christian Thielemann zu tun haben, der plötzlich zum Antagonisten Kirill Petrenkos stilisiert wird – nachdem der ihn bei der Philharmoniker-Wahl ausgestochen hat.
Geht’s noch? Müssen zwei hervorragende Dirigenten, nur weil jeder seinen ganz speziellen Charakter hat, notwendigerweise verfeindet sein? Bei „Tristan und Isolde“, der Premiere der Bayreuther Festspiele, antwortet der Umstrittene, indem er einfach dirigiert. Und das sensationell gut. Gerade weil er sich den Erwartungen verweigert. Weil er nicht besinnungslos eintaucht und orgiastisch untergeht in Richard Wagners „wogenden Schwall, in der Duft-Wellen tönendem Schall, in des Welt-Atems wehendem All“. Das auch, ja, aber immer mit einem völlig überzeugenden Restquantum Kontrolle, einem Zurückhalten, Stauchen, dann wieder frei Fließenlassen des musikalischen Stroms, einer durchdachten Agogik. So als wolle Thielemann sagen: „Seht her, das mit Kirill und mir, das ist alles Quatsch, ich kann genauso analytisch dirigieren wie er, wenn ich will.“
Katharina Wagner muss in ihrer zweiten Regiearbeit zeigen, dass sie’s kann
Zügig geht es los, kaum ist das Licht verloschen, erklingt schon der Tristan-Akkord, und bei dem Tempo bleibt es. Ein licht gestalteter, transparenter, trotz der dumpfen Deckelakustik des Grabens durchhörbarer, in all seinen motivischen Verästelungen klar in Klang gefasster „Tristan“ wird das, der ganz ohne Überwältigungsästhetik auskommt. Am Ende steht Thielemann verschwitzt, aber immer noch akkurat gescheitelt, alleine auf der Bühne, hält sich am Vorhang fest, nimmt das Applausgewitter, in das sich nur ganz wenige Buhs mischen, schüchtern lächelnd entgegen.
Gelegt haben sich also vorerst alle Stürme. Dafür fegt ein veritabler realer Julisturm über den Hügel, lässt die Fahnen im Wind knattern, vertreibt aber auch alle Wolken: traumhaftes, Eröffnungswetter, das im Saal für humane Temperaturen sorgt. Dass Angela Merkels Stuhl in der Pause zusammenbricht: geschenkt. Wichtig ist, dass sie war da, anders als letztes Jahr. Festspielchefin und Wagner-Urenkelin Katharina Wagner muss in ihrer zweiten Regiearbeit nach den nur mäßig aufgenommenen „Meistersingern von Nürnberg“ 2007 zeigen, dass sie’s kann – und die konservativen Wagneranhänger versöhnen, die sich seit Frank Castorfs „Ring“ von 2013 noch nicht beruhigt haben.
Als sich der Vorhang zum ersten Aufzug öffnet, gibt er ein hässliches Treppengebirge frei. Stufen führen in scheinbar wilder Zufälligkeit auf und ab ins Nirgendwo. Sofort ist deutlich, was sich die Regisseurin gedacht : Das Liebespaar findet keinen Ausweg aus seiner fatalen Verschlungenheit. Laut Programmheft diente eine Zeichnung von Piranesi von 1761, ein imaginierter Kerker, als Vorlage. Mit viel gutem Willen kann dies auch ein Schiffsbug sein, wir befinden uns immerhin auf der Überfahrt nach Cornwall. Manche Treppen bewegen sich, eine Anspielung auf Harry Potters Schule Hogwarts, wo sich das Treppenhaus in magischer Willkür ständig verändert? Tristan als Zauberlehrling? Die Spur wird gelegt, aber nicht verfolgt – wie vieles in dieser Inszenierung.
Evelyn Herlitzius steht als Isolde ständig unter Strom
Da kommt auch schon der Ruf, die Stimme, die die Festspiele eröffnet: „Westwärts schweift der Blick.“ Tansel Akzeybek von der Komischen Oper Berlin singt den jungen Seemann, es ist sein Bayreuth- Debüt. Und wie schlägt sich Evelyn Herlitzius, die Einspringerin für Anja Kampe als Isolde? „Sich schlagen“ ist tragischerweise die passende Formulierung. Kampferprobt ist diese Stimme, dauerhysterisch, man hört die Elektra, die Herlitzius demnächst wieder in München singt. Sie gibt alles, steht ständig unter Strom, singt mit einem schmerzhaften Stich ins Metallische – und verfehlt doch die Figur. Wer will eine Frau lieben, die sich nur mit Rüstung ins Bett legt? Was Herlitzius fehlt, was aber auch ein dramatischer Sopran braucht, sind die Zwischentöne und ja, auch das Lyrische. Eine Stimme in Gefahr, man muss sich Sorgen um sie machen.
Tristan und Isolde bauen sich ein Zelt
Seltsame Verkehrung: Isolde, die für die Sonne und dem lichten Tag steht, klingt in Bayreuth wie eine, die alles Entsetzliche dieser Erde gesehen, die durch die Hölle gegangen ist. Und der, der aus der Nacht kommt und nichts mehr ersehnt, als in diese zurückzukehren, dieser Tristan ist bei Stephen Gould ein gesetzter, jovialer, zufrieden bis bräsiger Mann, dem man glaubt, dass er nach der Premiere gern ein Bier zischen würde, aber nicht, dass er, wie Carl Dahlhaus schreibt, die Liebe zu Isolde als Verhängnis spürt, als Bedrohung und Schicksal. Stimmlich ist Gould ein absolut zuverlässiger, balsamischer, wonnevoll-vitaler Tenor, dem man auch die übermenschlichen Mühen des dritten Aktes kaum anhört. Charakterlich bleibt er eine Leerstelle. Und seine Stimme mischt sich nicht gut mit der von Herlitzius. Daneben singt Christa Mayer Brangäne als etwas zopfige Hausfrau, die ihre Gestik nicht unter Kontrolle hat.
Der zweite Akt: Ein Lager. Scheinwerfer. Tristan und Isolde unter Beobachtung. Beide bauen sich ein Zelt, um in Erinnerungen zu schwelgen, während sich Kurwenal (kernig: Iain Paterson) im Hintergrund wälzt – warum, bleibt offen. Zu Isoldes Worten „Wie ertrug ich’s nur? Wie ertrag’ ich’s noch?“, mit der die Gedanken in die Gegenwart zurückkehren, reißt Tristan die provisorische Konstruktion ein. Als die „Nacht der Liebe“ herniedersinkt, drehen sich beide vom Publikum weg, singen auf ein projiziertes Traumbild ihrer selbst (Bühne: Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert).
An der Aufgabe, den von äußerer Handlung nahezu freien zweiten Akt bildlich zu fassen, ist fast jeder Regisseur gescheitert. Auch Katharina Wagner findet den Gral nicht. Dafür ein klapperiges Stahlgerüst, das erst wie ein Fahrradständer wirkt, dann, aufgestellt, wie ein Käfig, um schließlich zur Muschel zu werden, die Mann und Frau zärtlich umschließt – fast, denn bekanntlich wird das Paar, beim berühmtesten coitus interruptus der Musikgeschichte, genau in diesem Moment entdeckt. Georg Zeppenfeld als König Marke wirkt mit seiner schlanken Statur deutlich attraktiver als Tristan und singt mit genau ausbuchstabiertem, sehr textverständlichem Bass.
Hat die Regie bis zu diesem Punkt vieles angestupst und wenig zu Ende geführt, findet sie im dritten Akt immerhin noch zur eigenen Bildsprache. Burg Kareol, äußerste Reduktion, Nebel, aus dem sich ein paar Menschlein herausschälen, als sei’s ein Gemälde von Rembrandt. Wollte Katharina Wagner die „Meisteringer“ noch mit einer oft nervigen Fülle szenischer Späße und Einfälle bewältigen, scheint sie jetzt eher den Weg ihres Onkels Wieland einzuschlagen. Der fiebertraumatisierte Tristan imaginiert Isolde in leuchtenden, schwebenden Dreiecken, deren Spitze nach oben weist – Symbol der Weiblichkeit. Es ist Katharina Wagners überzeugendster szenischer Einfall an diesem Abend, und er verkürzt zugleich die quälenden Längen dieses Aktes.
Katharina Wagner ist offenbar konsensfähig
Ist es wirklich noch der lebende Tristan, der hier seine Geliebte erblickt, oder hat er schon die Grenze zum Tod, dem „unentdeckten Land“, überquert? Den Liebestod verweigert Marke Isolde, indem er sie einfach grapscht und mitzerrt. Der oft als gütiger König dargestellte Marke erweist sich als Fiesling.
Anders als Christian Thielemann zeigt sich die Chefin nur wenige Sekunden lang beim Schlussapplaus, eingerahmt, versteckt von Mitwirkenden. Was für ein abgrundtiefer Unterschied zu Castorf, der vor zwei Jahren 15 Minuten lang einsam die Hasstiraden, die ihm aus dem Parkett entgegenfluteten, ertrug, ja genoss. Katharina Wagner ist offenbar konsensfähig, tut niemandem weh. Ein Lob ist das nicht.