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© Illustration: Mahler/Carlsen

Comic-Minimalismus: Kleine Helden in Not

Nasengesichter im Doppelpack: Nicolas Mahler erweist sich mit zwei neuen Bänden erneut als subtiler Beobachter der Wunderlichkeiten dieser Welt.

Zweimal Neues vom umtriebigen Comiczeichner Nicolas Mahler gibt es in diesem Frühling: Der Carlsen-Verlag legt mit „Engelmann“ eine Superheldenparodie um einen Helden der ganz anderen Art vor. Der rosafarbene Engelmann mit hellblauen Flügeln und dem kleinen „e“ auf der Brust tut sich mit den Superkräften Empfindsamkeit, Ambivalenz und Gut-Zuhören-Können schwer bei der brutalitätsaffinen jugendlichen Leserschaft, und ist insgeheim auch selbst nicht ganz zufrieden mit seinem Character-Design. Aber was soll man machen - Engelmann ist per Knebelvertrag an seinen Konzern gebunden und hat bei den „Machos vom Story-Department“ nichts mitzureden. Im Wirrwarr aus bürgerlicher Tarnidentität als Redakteurin bei einer Frauenzeitschrift und verschiedenen Relaunches mit neuem Image - vom blutigen Racheengel (mit Plastikschwert im Heft!) bis zum Ponyhof-Abenteuer „Mein kleines Engelchen“ - ist es kein Wunder, dass der Engelmann ordentlich durcheinandergerät, eine Psychose entwickelt und schließlich ein tragisches Ende nimmt. Da kann ihm auch der Beistand seines einfühlsamen Kollegen Captain Analpho nicht helfen.

Nicht nur mit der so emanzipierten wie sexuell aggressiven Wunden-Woman und dem riesenhaften Superschurken Gender-Bender finden sich viele Anspielungen auf die klassischen Superheldencomics.

Die sich wiederholenden Schemata, denen diese folgen - biederes Alter Ego, der diabolisch lachende Bösewicht (dem hier aus den unteren Etagen des Wolkenkratzers ein „Was GENAU ist da oben so lustig?!!“ entgegenschallt), blutige Actionszenen - werden genauso treffsicher zerlegt wie die Vermarktungsmaschinerie der Comicindustrie. Nicht nur der sensible Engelmann selbst teilt seine Sorgen mit („Außerdem weiß ich nicht mehr, wie ich zu Gewalt wirklich stehe“); auch die verfehlte Zielgruppe der gewaltversessenen Jugendlichen, der junge Regisseur des gefloppten Engelmann-Films und der Mann aus der Konzernkantine kommen zu Wort.

Man muss nicht einschlägig belesen sein, um mit dieser Superhelden-Satire etwas anfangen zu können. Ausbeuterische Verträge, Rechtsstreitigkeiten, Hypes und Flops sind auch aus anderen Bereichen der Unterhaltungsindustrie bekannt. Und so ordentlich unter die Gürtellinie zielende Kleinigkeiten wie der Dialog der beiden Schuljungen („Ganz was anderes: Hast du gehört? Morgen ist schulfrei.“ - „Ja, cool!“), während im Hintergrund Sanitäter eine Reihe von Bleisärgen abtransportieren, werden zwar bestimmt hier und da Empörung hervorrufen, sind aber jedenfalls unmittelbar verständlich und am Ende ja gerade ob ihrer grundlegenden Schmerzbefreitheit so lustig.

Mahlers nasendominierte Figuren erscheinen hier in Farbe und als Hardcover. Auch inhaltlich charmiert der Band mit „zahlreichen Fußnoten des Autors“ und anspielungsreichen Details wie dem Anhang mit „Was wurde aus...“-Teil und diversen Engelmann-Covern.

Lakonischer Humor de luxe

Nach „Kunsttheorie versus Frau Goldgruber“ und „Die Zumutungen der Moderne“ ist nun auch der dritte Band mit autobiografischen Kürzestgeschichten von Nicolas Mahler beim Berliner Reprodukt-Verlag erschienen: „Pornografie und Selbstmord" versammelt Alltagsbeobachtungen, Träume und berufsbedingte Absurditäten. Ebenfalls im minimalistischen Mahler-Stil gezeichnet, erstrecken sich die Episoden über zwei bis vier Seiten mit je vier Einzelbildern.

Deren sture Anordnung wie auch das lange und stocksteife Comic-Alter Ego Mahlers spiegeln die lakonische Erzählweise der Geschichten wider, die dem preisgekrönten Autor bereits mehrfach die Bezeichnung „kafkaesk“ eingetragen hat.

Ob es abseitige Beobachtungen aus der Welt der Cosplay-Spieler sind, halbgare Ratschläge des Großvaters („Niki! Man darf nie zu ernst sein im Leben... Ich war auch immer viel zu ernst!“), oder die schlichte Wunderlichkeit der Menschen um einen herum: alles wirkt, trotz der geschliffenen Sprache, ungefiltert heruntergeschrieben. Der Erzählton legt nahe, dass hierbei keine Miene verzogen wird, sondern man höchstens mal die Brauen hebt. Trocken und kaum zitierbar entzieht sich der durchaus intellektuelle Humor einer wirklich treffenden Beschreibung. Der Band lebt von vollendet auf den Punkt gebrachter Situationskomik: Man muss es selbst gesehen haben.

Mahlers genialisch-unausgefeilt erzählte Geschichten haben keine wirkliche Pointe, sondern versanden irgendwo auf dem Weg - und bilden damit die Verrücktheiten des wirklichen Lebens viel eher nach, in dem ja auch gar nicht mal alles vollständig durchgeplottet ist. Meist, wie Funny van Dannen sang, „fehlt die dramatische Musik“. Gerade das macht die subtile, brauenhebende Komik des auf den ersten Blick vielleicht weniger zugänglichen Bandes aus: Mahler sammelt die merkwürdigsten Synapsenverschaltungen, die man finden kann, samt ihren Folgen ein und legt sie durch reine Wiedergabe bloß. Jede Fehlleistung und jeder absonderliche Dialog wird hier wie in Zeitlupe abgespielt und die Komik, die man auf der Straße vielleicht übersehen hätte, dadurch so deutlich. Es ist schon ein spezieller Humor, und wer mit Mahler nichts anfangen kann, der wird hier wohl nicht bekehrt. Ansonsten aber kann man ihn mit diesem Buch mühelos umso großartiger finden.

Nicolas Mahler: Engelmann - Der gefallene Engel, 96 Seiten, Carlsen, Leseprobe hier.
Pornografie und Selbstmord, 120 Seiten, 14 Euro, Reprodukt, Leseprobe hier.

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