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Saralisa Volm und Klaus Lemke.
© Klaus Lemke

Guerilla-Kino: Klaus Lemke: Berlin ist Bombe

"Man muss die Leute bewegen - nicht die Kamera." Klaus Lemke, der letzte Cowboy des deutschen Films, dreht zum ersten Mal in der Hauptstadt.

Klaus Lemke ist in der Stadt, man will es nicht glauben. Der Mann, der Berlin einen subventionierten Unsinn für verspannte Töchter und Söhnen nennt, der König von Schwabing mit Ein-Zimmer-Wohnung ohne Dusche, der 70-jährige Anarcho- Cowboy des deutschen Films, der seit seinem 1967er-Roadmovie „48 Stunden bis Acapulco“ unermüdlich Münchner KiezKomödien und Hamburger Kultstreifen herstellt und die staatliche Filmförderung von Herzen hasst – er dreht in der Hauptstadt der Subventionen? Man schickt eine SMS und prompt ruft Lemke zurück.

Ja, bis Ende Juni ist er hier, mit Saralisa Volm und den anderen Darstellern wie dem Musiker Marco Barotti, einem zugemüllten Hippie-Taxi und einem Fotokameramann. „Berlin für Helden“ heißt die wüste Story über junge Zugezogene, die sich hier um die Liebe prügeln. Ein Dreh nach Lemkes bewährtem Guerilla-Prinzip: ohne Förderung, ohne Script, ohne Genehmigungen, ohne Catering, ohne Crew. Früh um sechs werden die Darsteller per SMS über den Tag informiert, abends bekommen sie 50 Euro auf die Hand. Rund 80 000 Euro kosten Lemke-Filme mittlerweile, das ZDF übernimmt sie für 120 000 Euro ins Nachtprogramm. Das gibt dann einen Nachschlag für die Mitwirkenden.

Aber erst mal hat Klaus Lemke Wichtigeres zu sagen. Die Revolution, ruft er am Telefon, hat schon stattgefunden. Das System schafft sich gerade selbst ab, dieses verkrustete Filmfördersystem, es ist schon weg, wie Mubarak in Ägypten, es hat nur noch keiner gemerkt. Sie wollen beim Dreh zugucken? Aber man sieht doch nichts, die Kamera ist ein Fotoapparat, kommen Sie lieber ins Café Oberholz am Rosenthaler Platz! So ähnlich stellt man sich Lemkes Autorität beim Dreh vor, Widerstand ist jedenfalls zwecklos.

Bis zur Verabredung am Sonntag trudeln noch einige SMS ein. Lemke feuert Sätze los wie scharfe Munition. „Berlin ist eine Kriegserklärung an brav, banal begütigend, schön, frigide, käuflich und selber schuld. Wie Barcelona vor 20 Jahren: hingelümmelt auf das Sprungbrett ins Nirwana mit aufreizender Lässigkeit“, lautet die erste Nachricht. Oder eine andere: „Filmförderung aus Steuermitteln ist so effektiv wie Schwarzfahren gegen den Hunger in der Welt.“ 2010 hatte er zum Hamburger Filmfest ein Manifest zur Abschaffung der Filmförderung verfasst, jedes Wort war in Versalien geschrieben.

Am Sonntag weht ein stürmischer Wind, man trifft sich auf der Straße, erst wird fotografiert. Saralisa Volm streift knallgrüne Pumps über, die Lemke aus einer Tüte hervorkramt, ebenso wie die Protestschilder, die die beiden jetzt hochhalten. Lemke ist nicht nur sein eigener Produzent, Autor, Cutter und Marketingchef, er kocht auch mal Kaffee, trotzdem herrscht Diktatur am Set. Film, sagt er, ist keine Demokratie. „Papas Staatskino ist tot. Lemke“, steht auf den Pappschildern, und die Journalistin soll bitte noch mit aufs Bild. Im Lemke-Universum ist jeder Zuschauer ein Mitmacher.

Gedreht wurde hier auch schon. Eine Eifersuchtsszene, Café-Stühle flogen durch die Luft. Weitere Schauplätze: Barottis Wohnung im Wedding, das Gorki-Theater, Neukölln, der Wrangelkiez, wo ein Anwohner Barotti mit Tomaten bewarf und prompt eine Rolle bekam.

Lemkes Filme sind nicht Berlinale- oder Cannes-kompatibel. Sind weniger Kultur als raue Natur, trashige Widerparts im Bilderfluss des Medienzeitalters. Jedes Jahr entsteht einer. Zur WM drehte er „Finale“, da gibt’s gleich am Anfang schnellen Sex auf der Straße, ein Anti-Sommermärchen. Und im jüngsten Lemke-Werk „3 Kreuze für einen Bestseller“ fängt eine junge Schriftstellerin an, ihr Ding durchzuziehen, bis sie ihren von Lemke gespielten Lehrmeister killt. Wenn der Dreh ins Leere läuft, wenn er einen Film nicht mag, wirft er ihn kurzerhand weg.

Der Vorteil dieser Methode liegt daran, dass das Leben keine Hemmungen hat, in Lemkes Filme einfach hineinzuspazieren. In Berlin funktioniert das besonders gut, nachdem München sich erschöpft hat und auch St. Pauli ausgefilmt ist. „In Berlin hat der Irrsinn wenigstens bessere Laune“, meint Lemke, als wir in die Brunnenstraße einbiegen. „Die Stadt wird überrannt von der Jugend, gerade hier in Mitte mit den billigen Hotels, in denen die Leute für 15 Euro ficken können, wie damals in Barcelona“.

An die drastische Sprache gewöhnt man sich schnell, Lemke sagt Bombe zu allem, was er mag, Dominik Graf findet er Bombe, die Männer sind Cowboys, die Frauen sind Babys oder Schlampen, aber sie stecken die Kerle in die Tasche. Lemkes sexualisierter Jargon hat weniger mit Sexismus zu tun als mit Genrekino, mit der Arbeit am eigenen Mythos und der Energie dessen, der lieber im Fitnessstudio duschen geht, als sein Geld für Schöner Wohnen in Schwabing zu verschwenden. Fassbinder, Wenders, Rudolf Thome, Werner Enke: Das war Lemkes Truppe in München, damals in den 60ern.

Jetzt ist Berlin also Bombe. Die Stadt ist voll von Verrückten , sagt Saralisa Volm. „Hier spielt sofort jeder mit.“ Gleichzeitig könne man nirgendwo so gut unbehelligt auf der Straße drehen. Die 25-Jährige ist zum vierten Mal bei Lemke dabei, sie mag dessen psychologisch-terroristische Art, denn er lässt ihr trotzdem viel Raum. Und die blauen Flecken auf der Stirn? Das schnelle Improvisieren hat den Nachteil, dass für kunstvolle Fake-Prügel keine Zeit bleibt, erklärt sie. „Dafür ist man keine Kunstfigur, sondern nah bei sich.“ Und deshalb ist nach drei-, viermal Schluss – wer will sich schon ständig selbst spielen. Ihr nächstes Projekt: der Fan-finanzierte Erotikfilm „Hotel Desire“.

Lemke habe sie bei H & M hinter der Kasse entdeckt, das steht überall. Die Schauspielerin grinst. Ja, sie war H&M-Verkäuferin, aber kennengelernt haben sie sich über einen anderen LemkeMimen im Hamburger Kiez. Die Story, geschenkt. Als sie neulich im Taxi saßen, vorne Henning, der „Teenager“, und Lemke daneben, sahen die beiden wie Brüder aus. Jeans, weißes Shirt, Schiebermütze, viel zu braun gebrannt: Lemke, der Junge aus dem Kiez, der mit dem Spielen nie aufgehört hat. Vielleicht haftet den Filmen deshalb diese kindliche Selbstvergessenheit an, auch in den Sexszenen .

Wir wechseln das Lokal, sitzen im Spätkauf, Juniorchef Denis spendiert alkoholfreies Weizen. Mit Drogen ist Lemke schon lange durch. Wahre Anarchie verlangt Disziplin, frühes Aufstehen, Pünktlichkeit. „Meine Filme sind italienischer Neorealismus, Howard Hawks – und reiner Zufall“, sagt er. Und dass er seinen Fehlern vertraut, weil das Falsche immer noch besser ist als der Zwang, ein zwei Jahre altes Drehbuch verfilmen zu müssen.

Ein Bier mit Lemke, das ist ein Ritt durch den deutschen Underground, ein Rendezvous mit einem Romantiker der ruppigen Art. Er schimpft auf den Regienachwuchs („abgefischte Stornos“), auf die Filmschulen („Man muss lernen, wie man die Leute bewegt, nicht die Kamera“) und den Sündenfall von Alexander Kluge, der für die Staatsfilm-Knete zu Innenminister Höcherl ging. Lemke blinzelt unter seiner Schiebermütze in die Luft. Kino ist Verführtwerden, sagt er. Ins Chaos, in die Katastrophe. „Wenn es gut geht, passt man hinterher besser zu sich selbst.“

Wenn er nicht dreht, geht er täglich ins Kino. Tom Tykwers „Drei“ fand er entsetzlich bemüht, Lena Lauzemis als Gudrun Ensslin in „Wer wenn nicht wir“ ist Bombe (Lemke wohnte mal mit Andreas Baader zusammen), und auf Hans Janke, den ehemaligen ZDF-Spielfilmchef, lässt er nichts kommen. Dem netten Wenders nimmt er übel, dass der die aufwendige Technik zum Maßstab gemacht hat. Und wenn Iris Berben, die er blutjung von der Straße wegcastete, als Präsidentin der Deutschen Filmakademie auftritt, denkt er: Die ist ein Markenartikel geworden.

Und warum immer die jungen Mädchen in seinen Filmen? „Wenn man jung ist, prallen die Leute, die in einem wohnen, ungebremst aufeinander.“ Wenn sie richtige Darsteller werden, sind sie für ihn passé. Er mag Leute, die noch nicht fertig sind, auch Städte. Berlin, diese räudige Stadt, ist so was von nicht fertig. Als ganz junger Mann hat der gebürtige Landsberger hier mal als Asphaltarbeiter gejobbt.

Klaus Lemke schimpft schon wieder, jetzt über Synchron-Fassungen. „Italien, Spanien, Deutschland, nur in den ehemaligen faschistischen Staaten wollen die Zuschauer immer noch Synchronisiertes. Das ist der Hitler in uns.“ Er findet es gut, dass die jungen Leute in Berlin sich um Hitler nicht mehr scheren.

„Rocker“, sein Hamburger Motorradgang-Melodram von 1972, wird dort bis heute in jährlichen Kultvorführungen bejubelt. „Berlin für Helden“ wird auch so ein Kultding, da ist sich Klaus Lemke ganz sicher. Zum Abschied überreicht er eine Tüte voller Lemke-Filme. Wer nichts zu verlieren hat, hat viel zu verschenken.

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