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© ddp

Michael Moore: "Wir wollen unser Geld zurück"

Michael Moore als Finanzkrisenmanager: der Dokumentarfilm „Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“.

Die „New York Times“ machte in ihrer Kritik zu Michael Moores neuem Dokumentarfilm darauf aufmerksam, dass einer der Blockbuster des Jahres „Hangover“ heißt und vom Kater nach der großen Sause erzählt. Zwar geht es um die chaotischen Folgen eines Polterabends, aber Katerstimmung grassiert überall im finanzkrisengeschüttelten Amerika. Genau diese bedient Moore, wenn er in „Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte“ mit großen Säcken Amerikas Banken stürmt und das Geld der Bürger zurückfordert. Oder wenn er ein Absperrband rund um den Tatort Wall Street wickelt, die wichtigste crime scene des Spätkapitalismus.

Michael Moore: Infotainer, Provokateur, Populist, Überzeugungstäter. Mit seinem Anti-Bush-Pamphlet „Fahrenheit 9/11“ verbuchte er den größten Dokumentarfilmerfolg aller Zeiten, in „Sicko“ prangerte er das marode US-Gesundheitssystem an. Diesmal zappt er durch sämtliche Schlagzeilen der Wirtschaftskrise, blendet mit Sandalenfilmzitaten zum Niedergang des römischen Imperiums zurück (auch Rom ging an der Gier zugrunde) und datiert den Anfang vom Ende der amerikanischen Demokratie auf die 80er Jahre, als Ronald Reagan die Politik der Macht des Geldes unterwarf.

Moore attackiert sie alle, die Kredithaie, Immobiliengeier und Krisenprofiteure, das Roulettespiel der Banker und Broker, die Bosse von General Motors, die in seiner Heimatstadt Flint auch das Lebensglück seines alten Vaters auf dem Gewissen haben.Der Kopf schwirrt einem schnell angesichts der Fülle von Daten, Fakten, Täterprofilen und Opferschicksalen. It’s Showdown time – der rasante Schnitt und der bombastische Soundtrack lassen daran keinen Zweifel.

Leider geht Moore diesmal weniger gründlich vor. Zwar ist er live mit der Kamera dabei, wenn ein Räumungskommando in ein gepfändetes Haus einbricht – aber warum genau verlieren die Leute ihr abbezahltes Eigenheim? Zwar macht er auf die dramatische Unterbezahlung amerikanischer Piloten aufmerksam, aber was hat das mit der Krise zu tun? Zwar findet er heraus, dass in einer Jugendstrafanstalt mit der Billigarbeit von Tausenden minderjährigen Delinquenten gewaltige Gewinne erzielt werden – aber warum hat niemand den Betreibern das Handwerk gelegt? „Kapitalismus“ ist eine großartige, ungeheuerliche Materialsammlung, aber es geht alles viel zu schnell. Auch bei der Story über Firmen, die zu ihren eigenen Gunsten Lebensversicherungen auf die Angestellten abschließen. Eineinhalb Millionen Dollar verdiente die Amegy Bank am Krebstod eines ihrer Angestellten – und die Witwe mit den zwei Kindern steht mittellos da.

Okay, das System ist selbst so komplex und kompliziert. Vielleicht ist jeder Film über die Verästelungen und Monströsitäten des Kapitalismus zwangsläufig verwirrend. In seinen früheren Werken war der Politclown Moore aber immer auch selbstironisch, brachte die eigene Person als Teil der Entertainment-Industrie ins Spiel. Diesmal geht er vor allem polemisch ans Werk, eine Attitüde, die der Aufklärung abträglich ist. Der Mann, der unerschrocken hohe Politiker und Topmanager behelligte, tritt nun als seine eigene Marke auf – die ahnt, dass sie aus der Mode gekommen ist. So betreibt er Retrospektive auf das eigene Werk und zitiert etwa aus seinem GM-Film „Roger and Me“ von 1989. Alterswerkschau, jetzt schon, mit 55?

Weil der Patriot Moore fest an die Selbstheilungskräfte der Nation glaubt, feiert er am Ende Barack Obama als Erlöser von allen Übeln und wittert in Nachbarschaftsinitiativen, Genossenschaften und Hausbesetzungen die Morgenluft einer Revolution. Moores Appell an die Selbstverantwortung, seine Aufforderung zum zivilen Ungehorsam lässt sich leicht als rührend naiv abtun. Dabei schwingt jedoch der Zynismus all derer mit, die politisches Engagement heutzutage ohnehin für vergeblich halten.

In neun Berliner Kinos. OmU: Babylon Kreuzberg, Hackesche Höfe, OV: Cinestar Sony-Center

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