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Filmkritik: "The Tourist": Das Leben der Oberen

Chirurgie statt Chemie: Florian Henckel von Donnersmarcks Film "The Tourist" löst nahezu nichts davon ein, was dem Regisseur vorgeschwebt haben mag. Trotz Superstars wie Angelina Jolie und Johnny Depp zeichnet sich ein Flop ungeahnten Ausmaßes ab.

Florian Henckel von Donnersmarck ist ein selbstbewusster Mann, der die Welt stets mit Sinn für den größtmöglichen Zusammenhang aus einer Art Feldherrenperspektive betrachtet. Erfolge feiert er als „Siege“, an seinem Beruf als Regisseur genießt der 37-Jährige die „totale Macht“. Als eine seiner „Missionen“ betrachtet er es, dem Filmwesen unseres Landes zu dienen, und über die Dreharbeiten zu „The Tourist“ sagte er dieser Tage: „Vielleicht hat es noch nie in der Geschichte der Menschheit irgendjemand besser gehabt als ich.“

Auch wenn es, in der Geschichte der Menschheit, bereits mancher schlechter hatte und auch noch haben wird als Florian Henckel von Donnersmarck: Von diesem Wochenende an muss der Regisseur womöglich sehr, sehr tapfer sein. Soeben ist „The Tourist“ in Amerika gestartet, am Donnerstag kommt der Film zu uns, und für die 100-Millionen-Dollar-Produktion, in der die Superstars Angelina Jolie und Johnny Depp erstmals gemeinsam vor der Kamera stehen, zeichnet sich ein Flop ungeahnten Ausmaßes ab. Nicht nur fragt die US-Kritik voller Häme, ob der Deutsche seinen Oscar für „Das Leben der Anderen“ diesmal bloß als Türstopper verwendet habe, sondern, was kommerziell wohl schwerer wiegt, auch die Onlinekommentare auf den Filmwebsites gehen auf Distanz. Mildeste Variante, gestern auf imdb.com nachzulesen: „Dieser Tourist wäre wohl besser zu Hause geblieben.“

Tatsächlich: Auch Kritikern, denen das Wohl deutscher Filmkünstler stets am Herzen liegt, macht es „The Tourist“ äußerst schwer, unserem derzeit prominentesten Mann in Hollywood beizuspringen. Zwar mögen, nach seinem Welterfolg aus dem Stand, die Erwartungen wohl unerfüllbar hoch gewesen sein, und Zweitlingsfilme gelten ohnehin als besondere Hürde. Hinzu kamen Besetzungskalamitäten, mit mehrfach auf nahezu allen Positionen ausgetauschten Rollen. Und Probleme mit dem immer wieder und schließlich durch den Regisseur höchstselbst umgeschriebenen Drehbuch. Außerdem eine gewisse Eile beim Dreh, diktiert durch den Terminplan des so viel gefragten wie spät verpflichteten Johnny Depp. Nur ein Übermensch, mithin ein wenig kraftvoller noch als Florian Henckel von Donnersmarck, hätte unter solchen Bedingungen ein Meisterwerk zustande gebracht. Aber musste es stattdessen gleich die dramaturgische und schauspielerische Katastrophe sein?

Angelina Jolie spielt Elise, das Feinsliebchen eines mit Hunderten von Millionen Dollar abgetauchten Geldwäschers, den Scotland Yard und russische Mafiosi gleichermaßen jagen. Im Schnellzug von Paris nach Venedig macht sie sich ablenkungshalber an den – von Johnny Depp gespielten – unbedarften amerikanischen Provinz-Mathelehrer Frank heran, den die Verfolger bitteschön für den Gesuchten halten mögen. Also: eine erotische Verwechslungsdramödie, die in einen Verfolgungsjagdthriller umschlägt. Eine Fake-Romanze, in der es bald um Leben und Tod geht. Die hanebüchene Auflösung mag glauben, wer will: Aber unterwegs kann aus so was, irgendwo zwischen Hitchcock und Chabrol, ein hübscher film très noir werden, Eleganz und Bosheit inklusive.

All das mag Florian Henckel von Donnersmarck vorgeschwebt haben, aber „The Tourist“ löst nahezu nichts davon ein. Johnny Depp absolviert, mit verblüffend aufgedunsenem Gesicht und beträchtlicher Tendenz zur depardieutypischen Bewegungsarmut, seinen Job mit geringstmöglichem Aufwand. Angelina Jolie, sehr mager, sehr großköpfig, wirkt wie von einer Plakatwand herabgestiegen und stets überdimensional ins Bild gesetzt: riesige Lippen, man weiß es – aber sollte die plastische Chirurgie auch bei der Augenvergrößerung bahnbrechende Fortschritte gemacht haben? Keinerlei erotische Chemie andererseits regiert zwischen dem Paar, eher eine selbst dienstlich kaum überwindbare Abstoßungsphysik; sogar das schmale Dialogmaterial leiern die beiden inspirationslos herunter. Die Actionszenen schließlich: ein beherzter Dreh an der Zeitrafferschraube, und sie wären als gemächlich durchgegangen.

Besonders schwer aber wiegt das groteske Genremissverständnis, weil man diesen romantic thriller nachweislich elegant und unterhaltsam in Szene setzen kann. „The Tourist“ ist das Remake von „Anthony Zimmer“ (deutscher Fernsehtitel: Fluchtpunkt Nizza), Jérôme Salles Spielfilmdebüt von 2005. Florian Henckel von Donnersmarck hat den Film des Franzosen, so behauptet er, ausdrücklich nicht gesehen. Warum eigentlich nicht? Niemand in Hollywood verübelt Regisseuren derzeit derlei Recyclingjobs, sofern die Ergebnisse einträglich sind. Zudem zeigt sich in dem wegen Yvan Attals Mimik höchst amüsanten und wegen Sophie Marceaus hinreißender Coolness hoch erotischen Film, wie beiläufig sich das genuine Verführungsspiel des Kinos inszenieren lässt. Gewiss wären auch Spaßpirat Johnny Depp und Angelina Jolie, die zuletzt in „Salt“ die sexy Powerfrau gab, mit der Darbietung einer Variante dieses Vergnügens kaum überfordert gewesen.

Florian Henckel von Donnersmarck aber will Glanz und Gloria, Gala und Größe. Mag sein, dass er im Zeitalter neu erwachender Adelsverehrung und wachsender Sehnsucht nach glitzernden Oberflächen ein Publikum dafür findet – eines, das zur Abwechslung 97 Minuten in einem Film blättert wie in einem People-Magazine oder einem Coffeetable-Book. „The Tourist“ verbindet beide Impulse miteinander, setzt seine Stars in die unverwüstliche Location Venedig, und richtet selber einen touristischen, also äußerlichen Blick auf den eigenen Gegenstand. Wie staunend die Kamera etwa im Innenhof des Luxushotels Danieli hinaufschwenkt zu den für Otto Normalkinogänger unbezahlbaren Suiten! Wer weiß, vielleicht stellt das Danieli die Sequenz bald als Video auf seine Website.

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