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© Tobis Film

Film: "Taking Woodstock" - der Mythos lebt

Fußnote und Herzenssache: "Taking Woodstock" ist die zärtliche Hommage an ein Weltereignis - Erinnerungen eines Wegbereiters.

Die medialen Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag von Woodstock sind vorüber; Zeit also, den Dreck einzusammeln, ganz wie bei echten Festivals – und wenn nicht alles täuscht, bleibt da vor allem ein Wettbewerb der schlechten Laune. Die einen rümpften die Nase angesichts von Müll, Schlamm und Kot, den Woodstock hinterließ, andere rügten streng, dass es keinen Busverkehr zur berühmten Spielwiese gab, weshalb alle Welt mit dem Auto stecken blieb. Dritte kritisierten, aktuell krisenbewusst, das kommerzielle Interesse der Veranstalter und knüpften daran die Mahnung, dass das Unternehmen – zumindest zeitweilig – im Finanzdesaster endete. Andere wiederum fanden zwar die Auftritte von Jimi Hendrix und Janis Joplin bemerkenswert, jedoch nur im Hinblick auf die Promi-Drogentotenstatistik. Die Publikumsbeschimpfung selber ging so: Woodstock war das „Überlebenscamp bekiffter Pfadfinder“ – oder auch der „aus dem Ruder gelaufene Kindergeburtstag bleichgesichtiger Babyboomer“. Zartfühlender urteilte „Die Zeit“, die die Massenbewegung als „Volk in Glück und Scheiße“ diagnostizierte.

Vielleicht war es da keine schlechte Idee der Macher von „Taking Woodstock“, die nachgeborenen Rezensenten bei ihren teils waghalsigen Manövern in den Neudeutungshoheitsgewässern gewähren zu lassen und den eigenen Film zum legendären Weltereignis weltweit erst im Frühherbst zu starten. Denn die Legende, so ist das nun mal mit Legenden, ist unkaputtbar. Man muss nur in eine beliebige Stelle des einzig überlieferten Filmdokuments, Michael Wadleighs „Woodstock“ (1970), hineinzappen und ist sofort mitgerissen. Der akustisch-visuelle Cocktail aus drei Tagen und Nächten Bühnenszenen, Impressionen und Interviews, grandios geschnitten von den damals noch unbekannten Martin Scorsese und Thelma Schoonmaker, bleibt unwiderstehlich. Gerade jüngere Leute, vor dem Jubiläums-Hype mit dem Phänomen Woodstock noch kaum in Berührung, bekennen nach der Besichtigung der fast vierstündigen DVD freimütig, das Ding habe sie „total umgehauen“.

Umhauen will Ang Lee, Regisseur von „Taking Woodstock“, wohl niemanden; lieber berührt, verführt, verzaubert er – und verändert so das Publikum auf seine Weise. Auch konkurriert er in seiner Woodstock-Hommage bewusst nicht mit dem WadleighFilm, der seine Kraft aus der dokumentarischen Aufzeichnung des historischen Augenblicks und vor allem aus dem Zentrum des Geschehens gewann. Selbst wenn Ang Lee manche Elemente des Vorgängerfilms – hier ein Hippiemädchenhut, dort die Lendenschurze der Amateurtheatertruppe „Earth Light Players“, hier die Schlammschlacht, dort die Splitscreen-Technik – heiter zitiert: Die Überwältigungstotalen von Woodstock und das musikalische Dauerpochen des Festivals spart er aus. Lieber übersetzt er die zeitliche Peripherie, aus der wir Bewohner des 21. Jahrhunderts auf jenes fern funkelnde Ereignis blicken, ins Räumliche. Und hält sich klug an das, was von dort herübertönt. An das, was bleibt. An das emotionale Echo.

Sein Held Elliot Teichberg (Demetri Martin spielt, mit wunderbar schüchternem Charme, den historischen Elliot Tiber) schafft es kein einziges Mal bis vor die Bühne – dabei ist er, der die terminlich schwer bedrängten Veranstalter mit dem Besitzer des Woodstock-Weidelands zusammenbrachte, der eigentliche Geburtshelfer des Festivals. Als der unermüdlich hilfsbereite Sohn jüdischer Eltern, deren verrottetes Motel er durch die Festivaleinnahmen zumindest finanziell saniert, schließlich loszieht, um vom übergroßen Ganzen doch noch etwas mitzukriegen, strandet er glücklich im VW-Bus eines Hippiepärchens. Auf dem Höhepunkt seines ersten LSD-Trips erscheinen ihm die Hunderttausende von Menschen, die ihn noch von der Bühne trennen, wie eine sanfte schwarze Welle in der Nacht. Die erleuchtete Mitte dort in der Ferne ist umtost von Spiralnebeln, und schließlich erhebt sich aus ihr eine Art Glühen, ein Strudel von allumfassender Wärme.

Das ist das stärkste Bild, das von „Taking Woodstock“ bleiben wird: eine unerhört zarte Vision. Die anderen verbinden sich vor allem mit den Eltern, von denen der bereits zum Mittdreißiger gereifte Junge sich noch nicht gelöst hat: Imelda Staunton spielt, geradezu beängstigend resolut, die alte Hexe von Mutter, Henry Goodman füllt die undankbare Rolle des Pantoffelhelden mit jeder Menge Seele. Wie Elliot dieses doppelt unbewegliche Paar zum Gastgeber eines sofort ausufernden Riesenereignisses macht und sich dabei behutsam aus beider Schatten manövriert, hat Komik, Melancholie, Tragik und Weisheit zugleich. So gesehen, ist „Taking Woodstock“ nicht viel mehr als die genreübliche Coming-of-AgeStory eine Spätzünders, inklusive sanft serviertes Coming-out. Wenn da der Rest, die große Woodstock-Geschichte, nicht wäre.

Nun könnte man darüber streiten, ob Ang Lee seine Zuschauer – nach „Brokeback Mountain“ (2005) und „Gefahr und Begierde“ (2007) – diesmal nicht gar zu gefällig bedient. Den einen bietet er eine bis in die Überzeichnung griffige Familiengeschichte, die allerdings in einer großartig zurückgenommenen Vater-SohnSzene gipfelt. Andere versorgt er mit einer überaus bekömmlichen Version der Frage, welch kuriose Hindernisse in Hinterwald überwunden werden mussten, bis es zum legendären „Drei Tage Love and Peace“-Ereignis kam. Dritte wiederum haben vergnüglich genug damit zu tun, die Bilder aus Wadleighs „Woodstock“ mit Ang Lees liebevoller Festivalfußnote abzugleichen. Ja, man könnte jetzt streiten – und wieder ein bisschen schlechte Laune verbreiten. Man kann es aber auch, ganz einfach, bleiben lassen.

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