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Abbitte
© dpa

Kino: Stolz und Sinnlichkeit

Verführung pur: Joe Wrights opulente Verfilmung von Ian McEwans Roman „Abbitte“. Eine weitere Zusammenarbeit des Regisseurs mit der Schauspielerin Keira Knightley.

Sie läuft wie ein aufgezogenes Uhrwerk oder wie eine abgeschossene Kugel, unaufhaltsam, unbeirrbar. Klack, klack, klack, die letzten Buchstaben auf der Schreibmaschine, trapp, trapp, trapp, die Treppenstufen im Sturm genommen, ein einziger langer Lauf, der erst am Ende des Tages sein Ende findet. Die 13-jährige Briony hat ihr erstes Theaterstück fertig geschrieben, stolz will sie es der Mutter präsentieren, sucht sie in der Küche, im Wohnzimmer, im Garten – und begreift doch, dass sie nur Randfigur ist, in einem Stück, das andere inszenieren.

Furiose Eingangssequenz, mit der Joe Wrights Verfilmung von Ian McEwans Erfolgsroman „Abbitte“ beginnt. Das rasende Tempo ist vorgegeben, und ebenso die Unausweichlichkeit, mit der an diesem strahlend schönen Sommertag 1935 auf dem Landgut der Familie Tallis eine Tragödie ihren Lauf nimmt. Denn darum geht es: um die verzweifelten Versuche eines frühreifen Kindes, die Regie über das Leben zu erlangen. Über das eigene Leben und über das Leben der anderen, vor allem das Leben der bewunderten älteren Schwester Cecilia, die so cool, so lässig ist, mit den Freunden des Bruders am See abhängt und dann wieder neben Briony auf der Wiese liegt, ganz freundschaftlich, zwei junge Mädchen, die scheinbar nichts trennt.

Bis Robbie (James McAvoy) auf dem Plan erscheint, der gut aussehende Sohn der Haushaltshilfe, für den Briony im Stillen schwärmt und den Cecilia liebt. Und auch er sitzt an der Maschine, klack, klack, klack, schreibt einen Brief, wie Briony ihr Stück, und auch diese Korrespondenz geht schief, nimmt, langer Weg durchs blühende Gras, ihren unaufhaltsamen Lauf wie eine Kugel, die trifft. Und dann ist da diese rätselhafte Szene am Brunnen, die Briony heimlich beobachtet: ein Streit, eine Vase fällt ins Wasser, Briony sieht ihre schöne Schwester, die in den Brunnen springt und wieder auftaucht, eine Venus, das Kleid klebt an ihr, aufreizender als nackt: Sekunden nur, die alles verändern. Briony ahnt die Wahrheit – und behauptet ein Verbrechen.

Die 13-jährige Saoirse Ronan ist eine Idealbesetzung für die junge Briony: mit der ganzen Kantigkeit des Kindes noch in den Gliedern, und diesem ernsten Blick unter exaktem Pony. Kein schönes Kind, aber ein eigensinniges. Locker spielt sie selbst Superstar Keira Knightley an die Wand, die doch als Cecilia in diesem Film so gut ist wie noch nie: In all ihrer zerbrechlichen Schönheit, gespannt wie ein Bogen, traut sie den eigenen Gefühlen nicht, scheint am ganzen Körper zu vibrieren, bevor sie springt: ins Leben.

Es ist wie ein magnetisches Feld, zwischen diesen beiden Schwestern. Wer in der Schilderung eines fatalen Sommertags nur die romantische Coming-of- Age-Geschichte in historischem Kostüm sieht, verkennt die Qualität des Films. Viel weniger von Jane Austen steckt in dieser glänzenden ersten Stunde von „Abbitte“ – Joe Wright hatte mit der viel gelobten Verfilmung von „Stolz und Vorurteil“ vor zwei Jahren seine Visitenkarte abgegeben, ebenfalls mit Keira Knightley in der Hauptrolle – als vielmehr der Geist von Robert Altmans „Gosford Park“: ein Tanz auf dem Vulkan, eine Wohlstandsgesellschaft, die noch einmal ihre Spiele spielt, bevor die Welt zusammenbricht.

Zusammenbrechen wird sie auch in „Abbitte“, mit unvermittelter Härte. Schon im Roman ist es, als ob Ian Mc Ewan zur Hälfte noch einmal von vorn beginnt, mit diesen Schilderungen aus den Schützengräben des Zweiten Weltkriegs. Der Film jedoch kommt hier an seine Grenzen, an die Grenzen des Ausstattungsfilms, und trotz einer spektakulär choreografierten langen Kamerafahrt am Strand von Dünkirchen bleibt er weit hinter Werken wie „Saving Private Ryan“ zurück. Sicher, das Bild des Kinderkarussels, das sich vor feuerroter Brandkulisse mit den letzten verwundeten Soldaten magisch im Kreis dreht, ist stark wie auch die riesigen, rostenden Fabrikareale und alles, was irreal bleibt an dieser so opulent ausgestatteten Szenerie. Doch das europäische Drama, durch das James McAvoy seltsam unbeschadet hindurchgeht, all diese Lazarette und Schützengräben, Sterbenden und Verwundeten hat nichts von der Dramatik des inneren Dramas, welches die erste Stunde bestimmt hatte. Der Krieg ist, mit Verlaub, doch ein zu großes Thema für den Film.

Und doch gewinnt Joe Wright, gewinnt auch die inzwischen gealterte Briony am Ende ihre Deutungsmacht zurück. Mit der Behauptung, dass Literatur stärker sei als das Leben, hat Autor Ian McEwan einen überraschenden Clou für sein Buch geschaffen. Im Film ist es das Gesicht von Vanessa Redgrave, der als greise Briony die zentrale Szene anvertraut ist: eine Sternstunde, ein Beweis, dass die Magie des Kinos mindestens so stark ist wie die der Worte. Viel mehr braucht es kaum als diese Stimme, diese durchdringenden Augen, dieses weise Gesicht, um unseren Glauben noch einmal grundlegend zu erschüttern. Die berückend schönen Szenen zum Schluss, dieses Versprechen von ewiger Liebe und ewiger Jugend, es ist so falsch wie verführerisch. Doch wovon ließen wir uns lieber verführen als vom Kino und seinen Versprechen?

In 10 Berliner Kinos, OV im Cinestar Sony-Center, OmU im Odeon

Christina Tilmann

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