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Sex
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Kino: Socks and the City

Traumschuhe, Traumkleider, Traumtaschen: Die New Yorker Kultserie "Sex and the City" hat es auf die Kinoleinwand geschafft.

Beethoven! Ausgerechnet Ludwig van Beethoven spielt eine Schlüsselrolle in diesem Film. Dabei gibt es in der gesamten Musikgeschichte wohl keinen Komponisten, dessen Image weniger zur amerikanischen Kult-und-Kommerz-Serie „Sex and the City“ passt als der genialischbärbeißige Bonner. Der elegante Chopin, ja, auch der Frauenversteher Puccini oder der erfolgsverwöhnte Geschäftsmann Richard Strauss – aber Beethoven? Ein Geizkragen („Die Wut über den verlorenen Groschen“!), der ständig bei seinen Vermietern rausflog (70 Wohnungswechsel!). Und vor allem: absolut beziehungsunwillig.

Worum aber geht es in der bis 2004 ausgestrahlten Serie – und natürlich auch in dem Spielfilm, mit dem der Unterhaltungskonzern Warner Bros. an deren Erfolg anknüpfen will? Um die H-Frage: So geistig wie finanziell unabhängig sich die vier Protagonistinnen auch geben, natürlich träumen Carrie und Charlotte, Miranda und Samantha im Grund ihres Herzens doch vom Heiraten. Von dem Mann fürs Leben, dem verlässlichen Kerl und sensiblen Lover, der zuerst Platz für ihre Overnight-Utensilien in seinem Badezimmerschrank macht und schließlich sagt: „Du bist die eine.“ Typen wie Ludwig van Beethoven können nichts davon bieten – und dennoch rührt der Komponist die Hauptfigur Carrie zu Tränen: mit einem Brief, den er 1812 einer „unsterblichen Geliebten“ geschrieben hat.

Die Ausgangssituation: Nach zehn Jahren harter Beziehungsarbeit wollen Carrie und ihr Mr. Big tatsächlich heiraten. Sofort schleicht sich Abendroutine bei dem Paar ein, man sitzt im Bett, er blättert im „Wall Street Journal“, sie in einem Buch aus der Leihbibliothek, „Liebesbriefe großer Männer, Band 1“. Was haben Voltaire, Napoleon und eben Beethoven für ewig gültige Worte gefunden, um ihren Angebeteten das Gefühl zu geben, „the one“ zu sein! Selbstverständlich kann sich die in Beziehungsdingen manisch masochistische Carrie die Bemerkungen nicht verkneifen, dass er ihr niemals amouröse Post geschickt habe. Noch nicht einmal eine SMS.

Das muss natürlich schiefgehen. Zuerst hat Mr. Big die Hosen gestrichen voll – und dann Charlotte. Das Mädchen aus feinstem Hause, die Park-AvenuePrinzessin, die in einer Folge der Serie schwört, sie würde lieber am Schließmuskelkrampf verenden als in der Wohnung eines Mannes, mit dem sie nicht mindestens verlobt ist, ein großes Geschäft zu machen, ausgerechnet Charlotte also passiert das fatale rektale Malheur, nachdem sie bei einem Mexiko-Urlaub aus Angst vor Salmonellen tagelang nur Chemiepudding gelöffelt hat. So peinigend das für Charlotte sein mag – ihrer Freundin Carrie gibt sie damit das Lachen zurück, reißt sie aus der tiefsten Depression ihres Lebens. Und die Zuschauer zugleich zumindest für einen Moment aus der Enttäuschung darüber, dass dieser Film so brav geworden ist.

Wo sind die Dildos und Bonmots, die zynischen Sprüche, männermordenden Kommentare, politisch unkorrekten Seitenhiebe, die tabulosen, rasant-sinnlich gefilmten Sexszenen? Überhaupt: Wo ist New York? Dieser Film könnte überall spielen, die Stadt der Städte, in der Serie stets die Fünfte im Bunde, hat nur eine Nebenrolle abbekommen.

Zum Beispiel die „Zopfgummi-Episode“: Carrie ist gerade mit einem Schriftsteller liiert, dessen aktueller Roman nur einen Fehler hat: Er lässt darin eine Frau mit Pferdeschwanz durch Manhattan laufen. Undenkbar!, kommentiert Carrie, wer auch nur einen Funken Selbstachtung im Leibe habe, würde das niemals tun! Quatsch, findet er. Dann stehen sie in einer Schlange, die Frau vor ihnen trägt das Streitobjekt im Haar. „Wohnen Sie hier im Viertel?“, fragt Carrie scheinheilig – und die Angesprochene kreischt in perfektem Barbie-Tonfall: „Darling, hast du das gehört, sie hält mich für eine New Yorkerin!“ Natürlich ist sie aus New Jersey.

Genau diesen Frauentyp braucht Warner Bros, wenn der „SatC“-Film an der Kasse ein Erfolg werden soll. Wenn sich Hollywood eines Themas annimmt, muss ein Produkt herauskommen, das konsensfähig ist, das man von der Ost- bis an die Westküste zeigen kann, vor allem auch in den ländlichen Gebieten. Was für die Mädelsclique das erste Date, ist für die US-Filmindustrie nun einmal das Startwochenende. Funkt es nicht sofort, hat die Chose keine Chance.

Natürlich geht es auch im Film um Labels und Liebe, alles ist sogar noch eine Nummer größer als im TV, ein Festival der Nobelmarken, Traumschuhe, Traumkleider, Traumtaschen. Doch Sarah Jessica Parker, Kristin Davies, Kim Cattrall und Cynthia Nixon sind keine Singles mehr, sondern gefangen in ihren Beziehungen, ziehen nicht mehr durch die Bars und Clubs, sondern kreiseln nur noch um sich selbst. Und das ist eben selten witzig.

Trotzdem ist der Film für die Fans ein Muss. Und offensichtlich auch für die seriösesten Zeitungen. Klar, die Klatschpresse schürt, von Werbekunden befeuert, seit Wochen eine umsatzorientierte Vorfreude-Hysterie. Doch auch über die Frage hinaus, wo man sich für welches Outfit verschulden kann, scheint die libidinös-liberale Metropolenserie tatsächlich als Zeitgeistphänomen wahrgenommen zu werden, an deren Fortsetzung nun keiner vorbeikommt.

Das führt zu interessanten Outings: Diedrich Diederichsen, der tiefsinnigste aller Pop-Philosophen, offenbart in der „Zeit“, dass er sich bei dieser Serie gerne unter Niveau amüsiert hat. Selbstverständlich entlarvt er postwendend die „Spießigkeit“ der „Gentrifizierungsgewinnlerinnen“ und geißelt die Flucht der Drehbuchautoren in „heteronormative Stereotypen“. Carrie würde es mit dem typischen Schlüsselsatz ihrer Kolumnen wohl eher so formulieren: „Ich kam nicht umhin, mich zu fragen, ob dieser Film nicht wirkt, als würden wir zu unseren Designer-Kleidern statt der obligatorischen Nylons jetzt plötzlich kuschelige Wollstrümpfe tragen.“ Socks and the City.

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